Siemens Mitarbeiter unterschreiben 2013 Vertrag trotz Verpflichtungserklärung zum Israel-Boykott

Zugverkauf in die Türkei

Mainz. 2013 unterzeichnete die Siemens AG einen Vertrag mit der türkischen Staatsbahn TCDD über die Lieferung von sechs Hochgeschwindigkeitszügen im Wert von 245 Millionen Euro. Unterschrieben ist der Vertrag, der dem SWR vorliegt, von dem deutschen „Vice President High Speed“ und einem „BID Manager“ der Siemens AG.

Für die Finanzierung des Kaufs hatte die TCDD ein Darlehn bei der saudischen Islamic Development Bank (IsDB) beantragt. Im Vertrag zwischen TCDD und Siemens werden die Boykottbestimmungen der IsDB aufgeführt. Darin heißt es, "dass in der Ausschreibung unmissverständlich festgelegt wird, dass die vom Auftragnehmer und seinen Partnern und Unterauftragnehmern gelieferten Waren, Arbeiten und/oder damit zusammenhängenden Dienstleistungen in strikter Übereinstimmung mit den Boykottbestimmungen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit, der Liga der Arabischen Staaten und der Afrikanischen Union (Boykottbestimmungen) stehen müssen." Auch diese Seite ist mit „Contractor Siemens Aktiengesellschaft“ gestempelt und mit Namenskürzel abgezeichnet.

Demnach akzeptierte Siemens die Forderung der IsDB, dass bei dem Geschäft mit der türkischen Staatsbahn, keinerlei Komponenten oder Dienstleistungen aus Israel kommen dürfen.

Der §7 der deutschen Außenwirtschaftsverordnung untersagt deutschen Unternehmen und Bürgern die Unterzeichnung einer solchen Boykotterklärung. Ein Verstoß zählt als Ordnungswidrigkeit und kann für ein Unternehmen Strafzahlungen in Höhe von bis zu 500.000 Euro nach sich ziehen.

Mit den Unterlagen konfrontiert, erklärt der Siemens-Unternehmenssprecher: „Bezüglich der von Ihnen übermittelten Unterlagen möchten wir darauf hinweisen, dass dies keine Boykotterklärung der Firma Siemens ist. Es handelt sich dabei um die Kenntnisnahme der Vertragsbedingungen der IsDB, die der Kunde mit seiner Bank abgeschlossen hat. Siemens steht in keinem direkten Verhältnis mit der finanzierenden Bank. Diese wählt der jeweilige Kunde selbst. Wir wollen an dieser Stelle mit Nachdruck festhalten, dass Siemens 2013 keine Erklärungen abgegeben hat, die einen Boykott gegen Israel zum Gegenstand haben. “

Arnold Wallraff, bis 2017 Präsident des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, bewertet die Unterzeichnung des Vertrages: „Im Ergebnis kann in der Tat der Eindruck entstehen, dass die Siemens AG Erlangen mit diesem Vertrag sich den Boykott-Regeln der finanzierenden IsDB unterwirft.“

Anfang Februar hat der SWR bei tagesschau.de über den Vertrag aus dem Jahr 2018 mit Siemens über die Lieferung von 12 Hochgeschwindigkeitszügen an die türkische Staatsbahn TCDD berichtet, der zustande kam, obwohl die Islamic Developement Bank erneut einen Israel-Boykott gefordert hatte. Siemens hat damals gegenüber dem SWR behauptet, nie eine Boykotterklärung unterschrieben zu haben, sondern lediglich eine Positivliste abgegeben zu haben. Volker Beck, Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft, hatte nach Erscheinen des Artikels Anzeige gegen Siemens beim Zollamt in Augsburg wegen eines möglichen Verstoßes gegen Paragraf 7 der deutschen Außenwirtschaftsverordnung erstattet. Auch wenn das Vorgehen der Siemens AG von 2013 möglicherweise strafrechtlich verjährt ist, übt Volker Beck, scharfe Kritik: „Vor dem Hintergrund des vorliegenden Dokuments glaube ich der Siemens AG kein Wort mehr. Ich fühle mich belogen. Siemens hatte mir gegenüber erklärt, dass die Siemens AG hier keinerlei Boykotterklärung unterschrieben hat. Das ist ja nun erwiesenermaßen für den Deal von 2013 unwahr.“

Thomas Beschorner, Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen, kritisiert: Unternehmen wie Siemens würden in ihren Nachhaltigkeit-Programmen ethische Werte hochhalten, aber es gäbe ein „GAP“, eine Lücke zwischen dem, was man artikuliere und die Art, wie man handele. Er fordert ein Unternehmensstrafrecht, das für Unternehmen ökonomisch spürbare Strafen vorsieht, wie es in Österreich, Frankreich oder den Niederlanden existiert: „Dann hätten Unternehmen wie Siemens sich vielleicht anders entschieden, wenn im Falle eines Vergehens nicht 500.000 Euro, sondern 100 Millionen Euro als Strafe drohen würden.“, so der Professor für Wirtschaftsethik.