So., 13.10.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Japan: Cafe für Demenz-Erkrankte
Neue Servicekräfte in Japans Gastronomie: "Ich bin die Organisatorin, Frau Hirai. Auf gute Zusammenarbeit!" Auch in ihr schlummert Talent: "Hier steht, ich heiße Kin-chan. Aha… Ich stricke gern, trinke hin und wieder ein Bierchen und singe Schlager. Ja, ich singe. Sagt Bescheid, wenn Ihr es hören wollt. War das gut so?"
"Passt-schon"-Café: Demenzpatienten servieren
Bewohnerinnen aus Pflegeheimen sind gekommen, um zu arbeiten. Im Café mit dem Namen: "Passt schon!" Das Restaurant der vergessenen Bestellungen in der Stadt Nishinomiya. Kin-chan zählt stolze 101 Jahre. Mit dem Gedächtnis klappt es nicht mehr so gut. Trotzdem tischt sie hier auf. Ein Experiment. Aber Moment, selber hinsetzen sollte sie sich nicht. Freundliche Helfer erinnern sie an ihre Aufgabe. Einige Gäste holen sich ihr Besteck lieber rasch selbst. Die Serviererinnen leiden an Demenz.
Kollege Ei-chan vergisst sofort etwas. Das Tablett in die Küche zu bringen. Aber wenn die Kunden Humor bewahren, dann passt es eben schon! Den lästigen Gehwagen findet Kin-chan plötzlich ganz hilfreich. Aber welcher Gast bekommt welches Essen? Na ja, sollen die Kunden selbst entscheiden. Die 82-jährige Masuko vermisst ihr Namensschild. Ihr entfällt öfter, wie sie heißt. Wie gut, dass es jemand findet. "Die Kellnerinnen vergessen vermutlich gleich wieder, was sie tun. Aber das Lächeln der Gäste behalten sie vielleicht auf Dauer in Erinnerung", sagt ein Gast.
Kin-chan zaubert allen ein Lächeln ins Gesicht. Auch ihrer Familie, dem Schwiegersohn und der Tochter. Leicht machen sie es ihr nicht. Getränkebestellung – schwarz auf weiß, zeigen, was sie drauf hat. Kin-chan geht so in der Arbeit auf, dass sie ihren Wagen stehen lässt. Rätselraten am Tresen. Soll der Kaffee jetzt heiß sein oder, wie oft in Japan, eisgekühlt? Kin-chan kann nunmal nicht an alles denken.
Café an wechselnden Orten
Die Eigentümer des Lokals stellen die Räume vorübergehend zur Verfügung. Ideengeberin Makiko Hirai bietet das "Passt-schon"-Café an wechselnden Orten an. Sie hat selbst eine Mutter wie Kin-chan und will anderen die Scheu vor Demenzpatienten nehmen.
Kellnerin Masuko lässt sich gerade ein wenig ablenken. Das Essen spielt hier nur eine Nebenrolle. "Die Gäste finden das interessant. Ich denke, beim nächsten Mal werden wir noch mehr Zeit für das Gespräch einplanen. Das ist ja der Sinn der Sache. Die Serviererinnen dürfen nicht zu beschäftigt sein, es muss genug Zeit bleiben, sich mit den Leuten zu unterhalten", sagt Makiko Hirai. Für den Plausch bei Tee und Kaffee findet sich immer ein Thema.
Nach drei Stunden schließt das "Passt-schon"-Café, um bald an einem anderen Ort in der Region wieder zu öffnen. Demenz – ein Thema das viele beschäftigt. In Nishinomiya im Westen Japans zählt mehr als ein Viertel der Bevölkerung zur Altersgruppe 65 plus. Mit den Jahren steigt das Risiko für Demenz. Bald soll einer von sieben Senioren in Japan betroffen sein. Allein in Nishinomiya rechnen sie mit einem Anstieg auf mehr als 20.000 Demenzpatienten. Ein drängendes Problem in einem Land, in dem es an Kindern ebenso fehlt wie an Pflegekräften für die Alten. Aufhalten lässt sich die Entwicklung wohl nicht. Makiko Hirai arbeitet daran, dass es mit der Verständigung besser klappt. Die Erinnerung schwindet schnell. Auch die an den Lohn zum Abschluss. "Im Umgang mit den Demenzpatienten zählt das Hier und Jetzt. Und wenn ich in die Gesichter schaue, dann erkenne ich, dass sie alle den Moment genießen. Das macht mich auch glücklich", sagt Makiko Hirai.
Autor: Ulrich Mendgen, ARD-Studio Tokio
Stand: 13.10.2024 20:30 Uhr
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