So., 13.10.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Neuseeland: Farmer kämpfen um die Zukunft
1.000 Schafe müssen runter zur Mangatoitoi-Farm auf der Nordinsel Neuseelands. Die Kulisse könnte schöner nicht sein, findet Bauer Chris Cave. Er gehört schon zur dritten Generation der Familie, die hier im Tal von der Schafzucht lebt. Eine Muskelverletzung macht ihm gerade zu schaffen. Nach der OP und mit Oberschenkel-Orthese verkörpert er buchstäblich die Lage der angeschlagenen, neuseeländischen Wollindustrie. Einzig das Wetter hellt heute seine Stimmung auf. "An Tagen wie diesen, wenn die Sonne scheint, kann man schonmal die schlechten Tage vergessen. Das ist ein positives Umfeld!"
Hinter der Bilderbuch-Romantik versteckt sich ein Riesenproblem. Neuseeland ist zwar immer noch eine der größte Wollexportnationen der Welt. Aber die Branche steht kurz vor dem Kollaps. Im Schuppen nebenan schuftet eine Schafscherer-Gruppe. Das Personal macht einen Knochenjob und lässt sich das gut bezahlen, dazu Betrieb und Wartung der Maschinen.
Wolle ist nur noch ein Nebenprodukt
Um ein Kilogramm Wolle scheren zu lassen, muss Chris ungefähr drei Dollar zahlen. Beim Verkauf bekommt er nur zwei Dollar. Ein Minusgeschäft, das seine Existenz bedroht: "Zu meines Vaters Zeiten bedeutete das Geld vom Wollverkauf alles. Wir haben so viel Wert aufs Scheren gelegt. Und jetzt ist Wolle nur noch ein Nebenprodukt. Wir machen das eigentlich nur noch aus gesundheitlichen Gründen, den Tieren zuliebe." Um Kosten fürs Scheren zu sparen, sind manche Farmer in Neuseeland schon umgestiegen auf Schafe, die ihre Wolle von allein verlieren. Aber auch so ein Umstieg kostet Zeit und Geduld. Darum wollen sie auf der Farm von Chris Cave erstmal bei ihrer Rasse bleiben.
Eine Lagerhalle in der Kleinstadt Gisborne: Von hier aus verkauft Henry Hansen die neuseeländische Wolle. Ein Drittel geht nach China. Der Rest nach Amerika und Europa. Während er uns seine Wollvorräte zeigt, fühle ich mich ein bisschen schäbig, mit meiner synthetischen Regenjacke. Er trägt natürlich was aus Wolle. In Neuseeland selbst findet er kaum Abnehmer, weil niemand in die Branche investieren will, es kaum noch Maschinen und Verarbeitungsbetriebe gibt: "Wir verkaufen unsere ganze Wolle ins Ausland. Zu anderen Firmen, die dann damit Geld verdienen. Wir sollten aber die Produkte in Neuseeland herstellen. Und sie in die ganze Welt vermarkten als Neuseelands Woll-Produkte."
Wolle statt Kunststoffe
Aber wie überzeugt man die ganze Welt? Henry fängt zuhause an. Dort hat sich nun auch seine Frau anstecken lassen von der Mission, Wolle aus Neuseeland wieder wertvoll zu machen. Nicky will beweisen: Mit Plastikprodukten wie Schaumstoff, Polstern oder Kissen kann Wolle locker mithalten. "Ich mache gerade einen Vergleich, welche Art von Wolle dieses Stück Schaumstoff am besten imitiert. Und ich glaube das hier ist es!" Nicky ist eigentlich seit drei Jahren im Ruhestand. Nun tüftelt sie täglich an Methoden, Kunststoffe durch Wolle zu ersetzen. Ihre Meinung: Wolle ist zwar nicht billiger, aber besser. Das müssten alle Verbraucher begreifen, findet sie. Auch wenn es, wie bei ihr ein paar Jahre dauert. "Ich kann gar nicht glauben, dass ich so lange mit einem Mann aus der Wollindustrie zusammenlebe aber erst vor kurzem richtig eingestiegen bin. Hätte ich mich 20 Jahre vorher mal damit beschäftigt, dann hätte ich besser geschlafen, mich besser gefühlt. Wir alle! Die Welt wäre ein besserer Ort gewesen."
Auch in dieser Teppichfabrik dreht sich nun alles um wolle. Teurer aber langlebiger finden sie das. Sie profitieren dabei von der Strategie der Regierung. Die lässt beim Neubau von öffentlichen Gebäuden Wollteppiche aus Neuseeland verlegen, nicht mehr Kunststoffböden aus China. "Die Plastikindustrie hat Millionen von Dollar investiert, um die Natur zu imitieren. Das gilt auch für Produkte in der Teppich-Industrie. Aber Wolle ist das echte Material. Das ist der echte Stoff, der aus der Natur kommt", sagt Rochelle Flint vom Teppichunternehmen Bremsworth
Ideen, Initiativen, Unterstützung für die Wollindustrie
Auch Neuseelands Erfinder wollen mitstricken an einer neuen Erfolgsgeschichte der Wollindustrie. Logan Williams hat mit diesem Kajak Schlagzeilen gemacht: Es besteht zu 30 Prozent aus Wolle, fährt sich wie ein klassisches Kunststoffkajak und verkauft sich gut. Hier hat er getüftelt, mitten auf dem Land, in einem 20-Fußcontainer mit Mini-Labor. Einfach mal rumgesponnen. Am Ende war es einfacher als gedacht. "Ich habe eine elektrische Bratpfanne gekauft, Polymilchsäure geschmolzen und dann Wolle reingehackt. Das Ganze habe ich nochmal in einen Toaster gesteckt und die harten Platten in kleine Pellets gehäckselt. Und diese Pellets sind die Basis für jedes Produkt aus Plastik um uns herum."
Jede Menge Ideen, Initiativen, Unterstützung von Investoren und der Regierung. Und die Schafzüchter wollen das Familienerbe weiterführen – so auch Chris Cave: "Das motiviert uns natürlich, dass mein Großvater das hier aufgebaut hat. Meine Mutter wurde hier geboren. Wir haben eine Verbindung zu dem Land und zu der Tradition. Aber Tradition zahlt die Rechnungen nicht." Trotz aller Schafzüchter-Romantik und vielen guten Ideen für die Zukunft der Wolle: Den Farmern in Neuseeland läuft die Zeit davon.
Florian Bahrdt, ARD-Studio Singapur
Stand: 13.10.2024 20:31 Uhr
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