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Großbritannien: "Kirche" für Atheisten

Großbritannien: Kirche für Atheisten | Bild: BR
Eine singende Frau
Eine singende Frau | Bild: Bild: BR

Sie singen beseelt im Chor - wie bei einem Gottesdienst. Sie halten stille Andacht - wie in der christlichen Messe. Sie haben sogar eine Kollekte wie in der Kirche. Was sie nicht haben – ist Gott.

Sanderson Jones:

»Wir sind eine gottlose Versammlung. Wir wollen besser leben und wollen öfter über das Wunder des Lebens staunen.«

Um Sinnfragen geht es nach dem Singen. Sunday Assembly nennen sie sich: Sonntagsversammlung. Das Thema heute heißt Tod. Die Stimmung ist dennoch nicht düster. Auch wenn es eine traurige Erfahrung ist, suchen sie nach dem Positiven.

"Meine Mutter starb, als ich Zehn war“, erzählt Assembly-Gründer Sanderson Jones. "Aber statt zu klagen, dass ich sie verloren habe, denke ich daran, dass ich sie ganze zehn Jahre hatte.“

Manche wischen eine Träne weg. Dieser Gottesdienst ohne Gott ist eine emotionale Achterbahn. Hinterher sind manche in der Tat verwundert, am meisten über sich selbst.

Lauren Harris, Teilnehmerin:

»Wir Briten reden kaum mit Fremden, schon Blickkontakt in der U-Bahn ist uns peinlich. Hier aber fühlst du dich willkommen und sagst ‚Hallo‘ zu deinem Sitznachbarn.«

In London startete die Sunday Assembly vor gut einem Jahr. In der anonymen Stadt vermissen viele Nähe und Spiritualität. Und bei den Briten waren sinngebende Alternativen zur offiziellen Kirche stets populär.

Sanderson Jones
Sanderson Jones | Bild: Bild: BR

Die Beatles machten in den 60ern den Maharishi Yogi zum Kult. Ist der Anführer der Sunday Assembly, Sanderson Jones, der nächste Guru?

Sanderson Jones:

»Ich bin kein Guru. Das sage ich ganz deutlich. Es ist einfach so, dass die Leute auf das, was wir machen stark reagieren.«

Sanderson Jones ist eigentlich Komödiant. Weil er auch über die ernsten Fragen des Daseins reden will, hat er die Assembly gegründet, erzählt er uns zu Hause in London. Er will keine Sekte, sondern Lebensfreude stiften ohne Dogma.

Sanderson Jones, Gründer Sunday Assembly:

»Wenn Leute anderswo eine Sonntagsversammlung gründen wollen, sagen wir: 'Gut! Sie können es auf eigene Art machen, aber es sollte unserer Assembly ähneln.‘ Wenn sieben Leute im Dunkeln alle zehn Sekunden auf eine Trommel hauen, ist das wunderbar. Aber das wäre keine Sunday Assembly.«

Die Fangemeinde wächst um den Showmann und Sinnstifter, der kein pseudoreligiöser Guru sein will.

Sanderson Jones:

»Wer von Euch war schon mal hier?«

Nick Spencer
Nick Spencer | Bild: Bild: BR

Abwarten und Tee trinken, meint Nick Spencer. Der Atheismus-Forscher zweifelt, dass die Assembly lange hält, weil ihre Anhänger anders als in der Kirche nicht an dasselbe glauben.

Nick Spencer, Atheismus-Forscher:

»Sie sind vereint durch das, was sie nicht haben, dass sie nicht glauben, kann sie für gewisse Zeit verbinden. Aber damit die Gruppe Bestand hat, brauchst du etwas, an das alle glauben, was alle bejahen. Das fehlt ihnen.«

Rosa Julian mit anderen Besuchern der Assembly
Rosa Julian mit anderen Besuchern der Assembly | Bild: Bild: BR

Doch derzeit ist die Assembly im Aufwind. 40 Gruppen hat sie bereits in Großbritannien, auch im südenglischen Brighton. Zu den Anhängern hier gehören Rosa Julian und ihr Mann Andrew, die einen T-Shirt-Laden führen. Die Sunday Assembly, sagen sie, füllt eine Lücke in ihrem Leben.

Rosa Julian:

»Es ist eine Bereicherung für das Leben. Es erfüllt dich. Es lässt dich innehalten und durchatmen. All das, wozu du im Alltag nicht kommst.«

Sonntags genießt Rosa nun mit ihrem Mann die Gemeinschaft der Assembly. Sohn Magnus ist auch dabei. Sie singen nicht nur, sie verabreden sich zum Baumpflanzen und anderen Gemeinschaftsprojekten. Die Atheisten treffen sich in einer Kirche, weil die leer ist. Welche Ironie, denn mit Religion kann Rosa nichts mehr anfangen.

Rosa Julian:

»Ich habe mich irgendwann fremdgefühlt in der Kirche. Schon wegen der Sprache. Sie reden immer nur über IHN, den Herren. Alles ist männlich. Schon mit 14 hatte die kleine Feministin in mir davon genug. Ich bin dann nicht mehr mit meinem Vater in die Kirche gegangen.«

"Wir sind nicht religiös“, sagen 76 Prozent der Briten. Die Anglikanische Staatskirche steckt mit ihrer Mission in einer Misere. Premierminister Cameron springt ihr mit einem Glaubensbekenntnis bei und erntet Widerspruch. "Wir sind kein christliches Land“, protestieren führende Intellektuelle. "Sind wir wohl“, beharrt die Kirche, gesteht aber ein, ihr laufen die Kirchgänger davon.

Dave Tomlinson
Dave Tomlinson | Bild: Bild: BR

Die Kirche in Brighton ist an diesem Sonntag gut gefüllt - nur eben mit Nichtgläubigen wie Rosa und Andrew. Der Mann am Mikro ist zwar ein Vikar, aber nur Gast. Dave Tomlinson sagt, seine Kirche müsse von der Assembly lernen, wie man die Herzen der Menschen heutzutage erreicht.

Dave Tomlinson, Vikar:

»Ich denke nicht, dass sich meine anglikanische Kirche durch die Sonntagsversammlung bedroht fühlen sollte. Die Kirche wurde im Lauf der Geschichte immer wiedergeboren. Wir müssen uns erneuern. Wenn unser christlicher Glaube für die Menschen keinen Sinn mehr ergibt, dann wird unsere Religion sterben. Und dann hätte sie es auch verdient.«

Ihm sind auch Christen willkommen, sagt Sanderson Jones in London. Aber Gott bleibt vor der Tür.

"Wir kommen auch nach Berlin“, erklärt er, ganz der Entertainer. "Ihr wollt eine Assembly? Wir helfen Euch!“

Manche prophezeien der Sunday Assembly ein kurzes Leben. Doch der Glaube ohne Gott wirkt hier äußerst lebendig.

Autor: Frank Jahn / ARD London

Stand: 05.01.2015 09:21 Uhr

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