Mo., 07.11.16 | 04:50 Uhr
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Irak: Ami go home – Amerikaner, bleibt bitte im Land!
Bei jedem Schritt schlagen sie sich die Geißel auf den Rücken. Das tut nicht weh, sagt Ahmed Abdul Sada, ist nur symbolisch. Aschura-Fest in Sadr City. Tausende Schiiten gedenken ihres Imam Hussein. Im siebten Jahrhundert wurde der in der Schlacht bei Kerbala regelrecht massakriert, das besiegelte die Trennung von Schiiten und Sunniten im Islam.
Keine Veränderung nach den Wahlen
Es stinkt gewaltig in Sadr City. Abwasser steht in offenen Gräben, die Straßen sind unbefestigt. Müll türmt sich in den Hinterhöfen. "Seit dem Fall von Saddam hat sich keiner um Sadr City gekümmert. Es gibt keine Kanalisation, dauernd fällt der Strom aus. Die Politiker kommen immer nur vor den Wahlen vorbei", berichtet Ahmed Abdul Sada.
Aber nach den Wahlen ändert sich wieder nichts. Sadr City, Hochburg des Schiiten-Geistlichen Moktada Al Sadr. 2008 liefern sich US-Truppen heftige Kämpfe mit Al Sadrs Miliz. Heute nennen sich die Kämpfer Al Sadrs "Friedens-Brigade". Ahmed gehört dazu. "Seit der US-Invasion 2003 haben die Amerikaner uns nur Leid zugefügt. Sie haben uns zwar von einem Diktator befreit, aber sie haben uns nichts Besseres gegeben. Die Regierung ist korrupt und kümmert sich um nichts. Mit dem Irak geht es bergab und schuld sind die Amerikaner", erzählt er.
Heute kämpft Al Sadrs sogenannte Friedens-Brigade nicht mehr gegen US-Truppen, sondern gegen einen neuen Feind: die sunnitischen Terroristen vom Islamischen Staat. Immer weiter haben sie den IS zurückgedrängt. Jetzt sichern Al Sadrs Männer die zurückeroberten Gebiete.
Irak – ein Land in Trümmern
Ahmed ist jeweils zehn Tage an der Front, dann hat er wieder zehn Tage frei. Am anderen Ufer des Thathar-Sees herrscht noch der IS, manchmal wagen sie einen Angriff. "Leider ist der Irak heute gespalten. Daran sind die Politiker schuld, die sind korrupt und machen alles kaputt. Sie sind schuld daran, dass wir in Kurden, Schiiten und Sunniten zerfallen sind. Dabei sind wir doch ein Volk", findet Ahmed Abdul Sada.
Plötzlich fallen Schüsse. Weit und breit ist kein IS zu sehen. Die sollen wissen, dass wir noch da sind, sagen die Kämpfer. Da müsse man ab und zu ein bisschen in die Luft schießen. Der IS konnte stark werden, weil die USA den Irak schwach gemacht haben, sagen die schiitischen Kämpfer. Der Krieg gegen den IS sei jetzt nur ein Vorwand, wieder mehr US-Soldaten ins Land zu bringen. Der Irak sei ein Spielball fremder Mächte. "Erst wenn die Amerikaner und alle anderen, auch die Iraner von hier verschwunden sind, erst dann sind die Iraker in ihrem eigenen Land wirklich frei", meint ein schiitischer Kämpfer aus Nadschaf.
Die US-Politik sei immer die gleiche, egal wer Präsident ist. In jedem Falle sei sie immer schlecht für den Irak. Irak 2016 – ein Land in Trümmern. Das sind die Ruinen von Ramadi. Hier leben Sunniten wie Quassai Abdul Kahlek. Nichts ist übrig von seinem Haus – amerikanische Fliegerbomben haben es zerstört, als der IS aus Ramadi vertrieben wurde.
Hoher Preis für die Befreiung der Stadt
"Hier haben die Amerikaner angegriffen. Hier war die Frontlinie. Wir waren dort und der IS war da drüben. Die Terrormiliz und die Amerikaner haben unsere Häuser zerstört. Die US-Soldaten haben ziemlich schlecht gezielt. Das war nicht in Ordnung", erzählt Qussai Abdul Khalek.
Ein großer Teil von Ramadi sieht heute so aus. Mehr als 3.000 Häuser in Trümmern. Die Bewohner Ramadis haben einen hohen Preis für die Befreiung ihrer Stadt bezahlt. Überall sind noch Minen und Sprengsätze versteckt. Ein amerikanisches Unternehmen sollte sie eigentlich räumen, aber die haben den Job an irakische Subunternehmer vergeben, sagt Qussai.
Und jetzt passiert gar nichts mehr. Er soll helfen. Khalid Zeidan. Der letzte einer Gruppe von sieben Bomben-Entschärfern aus Ramadi. "Alle meine Kameraden wurden beim Entschärfen getötet, ich bin der Letzte. Ich habe geschworen, ich mach das nicht mehr." Er lässt sich dann am Ende doch breitschlagen. 150 Dollar Prämie pro entschärfte Bombe sind offenbar ein gutes Argument.
Auf der Suche nach der letzten Hoffnung
Eine Sprengfalle liegt hier im Busch. Wären die Amerikaner geblieben, wäre das alles nicht passiert, sagen die Männer. Der Abzug der US-Kampftruppen sei der Anfang vom Ende gewesen. Damit habe man den Irak den Terroristen überlassen und ihren heimtückischen Sprengfallen. "Es sind einfach zu viele Sprengsätze, sie sind überall. Sogar die eingestürzten Häuser haben sie noch vermint. Nicht mal auf den Trümmern kann man laufen, alles ist voller Bomben", berichtet Qussai Abdul Khalek.
Wie die schiitischen Kämpfer werfen auch die Sunniten in Ramadi der irakischen Regierung Unfähigkeit vor. Doch anders als für die Schiiten sind die Amerikaner hier nicht die Schuldigen. Sondern die letzte Hoffnung. Ein Kommandant von Qussai Abdul Khalek sagt: "Wenn nur die Amerikaner zurück kämen. Wenn nicht, dann ist das Land verloren. Nur mit den Amerikanern können wir den Irak wieder aufbauen. Das meinen wir alle. Oder?" Die USA haben dieses Chaos angerichtet, meinen die einen. Nur die USA können es beenden, die andern. Der Irak ist ein Trümmerfeld. Und die Amerikaner sind mittendrin.
Bericht: Volker Schwenck/ARD Studio Kairo
Stand: 13.07.2019 04:41 Uhr
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