So., 22.07.12 | 19:20 Uhr
Das Erste
Syrien: Unter Rebellen – Der qualvolle Kampf um Rastan
Vor dem Krieg lebten in Rastan 55.000 Menschen. Die allermeisten sind aus der Stadt geflüchtet. Diejenigen, die noch geblieben sind, muss man in den Kellern der Stadt suchen. Sie harren hier aus, weil sie den Fluchtweg aus der Stadt für mindestens genau so gefährlich halten: "Wir gehen nicht hinaus. Höchstens um ein Huhn hier unten in den Stall zu treiben. So leben wir hier. Wir haben große Angst um die Kinder. Der Kleine versteht doch nicht, was los ist. Wir achten darauf, dass sie nicht hinausgehen. Das ist unsere Hauptmahlzeit. Frisches Brot vom Bäcker gibt´s nicht mehr."
Seit vier Monaten wird Rastan von den syrischen Regierungstruppen beschossen. Sie haben ihre Panzer um die Stadt herum postiert. Auch am Stadtrand vor dem Nationalkrankenhaus, das Assads Soldaten in eine Kommandozentrale für die Belagerung umfunktioniert haben: "Kommen Sie auf diese Seite, von da drüben wird geschossen. Hier waren früher Geschäfte, das war eine Einkaufsstraße. Die haben die Regierungstruppen komplett verwüstet."
Die Panzer da draußen unschädlich zu machen, ist für die Rebellen kaum möglich. Abu Ahmad kämpft auf Seiten der Aufständischen. Im März haben sie im Häuserkampf und unter hohen Verlusten Assads Truppen aus Rastan vertrieben. Seitdem halten die Rebellen die Stadt. Sie nennen sich "Brigade des Kalifen Ali", eine von vielen über ganz Syrien verstreuten Einheiten der selbsternannten "Freien Syrischen Armee". Die Brigade nimmt uns mit auf eine Aktion, die "gefährlich" werden könnte, wie sie sagen.
Da weiter vorne könnte die Armee sein, sagt Abu Ahmad. Sie wollen auskundschaften, ob die Regierungstruppen noch einen bestimmten Posten am Südrand der Stadt besetzt halten. Falls nicht, wollen sie den Posten einnehmen. Falls Assads Leute noch da sind, könnte ein Feuergefecht losgehen. Die Rebellen vermuten den Feind ein paar Häuserzeilen weiter vorne. Zu sehen bekommen sie ihn nicht.
Plötzlich taucht ein Hubschrauber auf. Unter den Rebellen macht sich große Unruhe breit. Hat der Feind sie gesehen? Sie wollen hier weg. Zunehmend setzt Asad Kampfhubschrauber ein, um den Aufstand zu stoppen, nicht nur in Damaskus, auch in Rastan. Immer wieder trifft es die wenigen zurückgebliebenen Zivilisten. Viele Kinder sind unter den Opfern. Einzige Hoffnung der Verwundeten: ein improvisierte Lazarett in einem Keller.
Ein Junge ist von einem Granatsplitter durch den Rücken ins Herz getroffen worden. Eine Stunde ringt er mit dem Tod, dann stirbt er. 20 Kinder haben wir in acht Tagen in Rastan sterben sehen. Der Vater nimmt die Leiche des gerade verstorbenen Jungen entgegen.
Diesmal wird ein gut gefülltes Lebensmitteldepot gezielt getroffen. Für solche Schläge benötigt man präzise Informationen. Hat die Armee Spitzel in der Stadt?
Rund 3.000 der 60.000 Einwohner sind noch in der belagerten Stadt. Gerade hat es ein Kleinlaster nach Rastan geschafft, mit Gasflaschen zum Kochen. Für alle wird die Notlieferung nicht reichen. So ist es in Rastan. Filme das, filme wie die Menschen in Rastan leben. Ein Erdbeben könnte in diesem Land nicht anrichten, was Bashar al-Asad angerichtet hat. Seine Armee beschießt uns, statt uns zu beschützen. Die Truppe beschützt dieses verbrecherische Regime.
Die Verteilung der Gasflaschen ist ohne Raketenbeschuss über die Bühne gegangen. Die Phasen der Ruhe sind genauso willkürlich wie die des Terrors. Ohne diesen Keller würde der Aufstand in Rastan verhungern. Eine improvisierte Großküche, in der Freiwillige kochen für die Kämpfer. "Jeden Tag kommen wir zwischen 8.00 und 8.30 Uhr. Dann haben die Jungs hier schon Lebensmittel aus dem Umland gestapelt." Auch die Zivilisten können sich hier ab und zu etwas zu essen holen. Die Notrationen bestehen aus Kartoffeln, Tomaten und Gurken. Etwas anderes gibt es auch nicht mehr.
In ruhigen Momenten nutzen die Rebellen, die Zeit zur militärischen Ausbildung. Heute üben sie den Überfall auf einen Armeeposten und eine Straßensperre. So haben sie weite Teile Syriens unter ihre Kontrolle gebracht und so hoffen sie, bald die Belagerung von Rastan zu brechen.
Nächster Teil der Schulung: Entführung eines Mitarbeiters des Regimes. Solche Entführungen gehören tatsächlich zum Programm der Rebellen, erklärt einer ihrer Anführer. Das Ziel ist, von entführten Amtsträgern des Regimes Informationen zu erhalten. Oder die Entführten gegen Gefangene aus unseren Reihen auszutauschen: „Für einen hochrangigen Amtsträger bekommen wir manchmal hunderte von unseren Leuten frei.“
Der Ausbilder Abu Bashar war früher Geheimdienstoffizier und ist zu den Rebellen übergelaufen. Die Expertise aus seiner früheren Arbeit nutze er für den Aufstand, sagt er. "Eure Körpersprache muss kraftvoll und Ausdruck eines starken Willens sein. So schlagt ihr den Feind in die Flucht."
Die meisten Rekruten der Rebellen sind Jugendliche im wehrpflichtigen Alter, die sich dem Aufstand anschließen statt zu Assads Armee zu gehen. Hier wird der Guerillakrieg perfektioniert. Rebellen bauen Sprengfallen aus alten Raketenteilen, TNT und Klebeband. Damit wollen sie Fahrzeuge der Regimetruppen in die Luft jagen: "Unsere Ausrüstung ist begrenzt. Wir benutzen Waffenteile, mit denen Asad uns beschossen hat und die nicht explodiert sind. Mit der Fernbedienung können wir diese Bomben aus 200 Metern zünden. Wir vergraben sie im Boden. Zum Abschießen fehlt uns die Ausrüstung."
Tagelang haben wir uns um ein Treffen mit dem starken Mann von Rastan bemüht, dem Rebellenführer Abd az-Razzaq Tlass. Dann zeigt er sich endlich. Tlass war zu Beginn des Aufstandes Offizier in Asads Streitkräften. Er war einer der ersten Überläufer und Mitbegründer der Freien Syrischen Armee. Er stammt aus Rastan. hat aber auch in Homs und anderswo die Fäden des bewaffneten Aufstandes gezogen. Er stellt seine Entourage vor, allesamt desertierte, sunnitische Offiziere, die jetzt das Regime stürzen wollen.
Der Onkel des Überläufers war Verteidigungsminister des alawitisch dominierten Asad-Regimes. Tlass betont jetzt seine Zugehörigkeit und die seiner Familie zum sunnitischen Islam. Er sagt aber, dass es nach dem Sieg der Revolution keine kollektive Rache an den Alawiten geben wird. "Wir werden uns an den Mördern rächen. Wer Kinder umgebracht und Frauen geschändet hat, an dem werden wir uns rächen. Aber die Rache wird sich nicht gegen eine ganze Sekte richten. Wir wollen nicht, dass die Revolution einen sektiererischen Anstrich bekommt."
Im Syrien nach Assad strebt der Rebellenoffizier aus Rastan eine gewichtige Rolle an. Seit einem Jahr trägt ihn eine Welle der Sympathie immer weiter nach oben, eine Sympathie, die die syrische Exilopposition hier nicht genießt. Abd ar Razzaq Tlass macht keinen Hehl daraus, dass die Sunniten im neuen Syrien den Ton angeben werden.
Aber noch ist es nicht soweit. Noch hält sich das Regime in Damaskus und Aleppo und noch belagern die Regierungstruppen Rastan und viele andere Städte.
Autoren: Marcel Mettelsiefen/Stefan Buchen
Stand: 22.04.2014 14:56 Uhr
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