Mo., 24.10.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Senegal: Der aussichtslose Kampf der Fischer
Mor Mbengul fischt noch immer wie er es von seinem Großvater gelernt hat. Und doch gibt es einen Unterschied: Seine Vorfahren konnten von dem Fang leben. Mor und seine Freunde nicht mehr. Das Meer vor Senegals Küste ist abgefischt von internationalen Fangflotten.
Ein Jahr lang haben Umweltorganisationen mit GPS und Satelliten-Nachverfolgungssysteme die großen Trawler aus China, Russland und der EU beobachtet. Sie haben festgestellt, dass die Großfischer weit mehr fischen als sie offiziell dürfen. Mit mafiösen Methoden versuchen viele, dies zu verschleiern. Senegals Fischer sind arbeitslos. Tausende wollen nach Europa fliehen, dorthin – so sagen sie – wohin ihr Reichtum schon abgewandert ist.
Es ist früh am Morgen in Kayar, einem Fischerort im Senegal. Viele Pirogen fahren heute nicht raus. Es ist zu stürmisch. Mor und seine Truppe jedoch lassen sich nicht abhalten. Ihnen ist egal, wie der Atlantik gelaunt ist. Hier ist jeder Tag ein Kampf ums Überleben. Mor und die anderen fischen noch so wie ihr Väter und Urgroßväter. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied. Ihre Vorfahren konnten von ihrem Fang gut leben. Ihre Ausbeute wird immer spärlicher. "Früher musste man zum Fischen nicht weit rausfahren", erzählt Mor Mbengul, "unsere Väter haben nah an der der Küste große Fische gefangen und viel mehr als wir. Doch unsere Bevölkerung wächst. Und es gibt immer mehr Fischer. Und dann sind da auch die ausländischen Boote."
Der Fischreichtum versiegt
Eigentlich gehören Westafrikas Fischgründe zu den reichsten der Welt. Doch der scheinbar unerschöpfliche Reichtum versiegt. Das liegt auch an ihnen: den Fischfangflotten aus China, Russland oder der EU. Senegals Regierung erteilt ihnen großzügige Fang-Lizenzen. Doch das scheint ihnen nicht zu reichen: viele ausländische Fangflotten fischen mehr als sie dürfen, illegal. Man braucht nicht viel Phantasie, um zu sehen: mit solchen Methoden können Mor und die anderen nicht konkurrieren. "Die holen an einem Tag das aus dem Meer, wofür 300 unserer Pirogen einen Monat bräuchten. Wir gehen jeden Tag fischen, es reicht trotzdem nicht. Aber was sollen wir sonst tun? Es gibt keine andere Arbeit."
Es ist diese Perspektivlosigkeit, warum Tausende Fischer aus dem Senegal versucht haben, nach Europa zu fliehen. Auch Mor. Neun Tage war er auf See, wäre fast ertrunken. Mit letzter Kraft hat er die spanische Küste erreicht. Nach 36 Tagen wurde er abgeschoben. Er will das nie wieder erleben. Seine Freunde jedoch möchten alle weg. Dabei ist Senegal ein friedliches Land. Es herrscht kein Krieg, es gibt Demokratie. Und doch träumen so viele Menschen von Europa. Warum?
Forderungen an die EU
Weil die jungen Leute nicht wissen, wovon sie leben sollen. Und weil Europa mit daran schuld ist, sagt Mor. Er und einige andere Fischer haben sich zu einer Art Aktionsgruppe zusammen getan. Abdullahi Ndiayi führt ihre Gruppe an. Sie wollen Europas Politikern klar machen: Migration hat auch etwas mit eurer Politik zu tun. "Wenn die EU sagt, wir leisten doch Entwicklungshilfe, dann können sie nicht gleichzeitig unsere Industrie kaputt machen", meint der Aktivist Abdullahi Ndiayi. "Wenn die EU uns helfen will, dann sollte sie ihre Märkte für uns öffnen. Uns die Ausrüstung geben, damit wir unseren Thunfisch selbst fangen und verarbeiten können. Was tatsächlich nötig ist, ist dass wir hier vor Ort mehr von unseren Ressourcen profitieren."
Doch stattdessen passiert das Gegenteil. Die Megatrawler plündern diese Ressourcen. Und zwar mehr als sie dürfen. Das ist das Ergebnis von neuen Studien mehrerer Umweltgruppen, wie dem EJF und dem "Overseas Development Institute". Sie haben ein Jahr lang die Methoden der großen Trawler beobachtet. Und gesehen: Viele Fangflotten fischen doppelt so viel wie sie eigentlich dürfen. Um das zu vertuschen, wird der Fisch noch auf hoher See eingefroren, in Containerschiffe umgeladen und weggebracht. Unbemerkt und unkontrolliert.
Schäden durch illegalen Fischfang
Ishbel Matheson ist eine der Autorinnen der Studie. Durch den illegalen Fischfang verliert Westafrika etwa 1,2 Milliarden Euro – pro Jahr, so ihr Fazit. Für Entwicklungsländer wie dem Senegal eine wirtschaftliche Katastrophe. "Wir gehen davon aus, dass 300.000 neue Jobs in der Region geschaffen werden könnten, wenn dieses Geld in die lokale Fischerei-Industrie investiert werden würde. Es würde zu mehr Wohlstand und zu mehr Perspektiven führen. Die Menschen würden in ihrer Heimat bleiben und nicht versuchen, woanders einen Job zu finden."
Senegals Regierung versucht nur halbherzig, den illegalen Fischfang zu unterbinden. Mit Patrouillen zum Beispiel. Doch schnell wird deutlich: das ist ein Kampf David gegen Goliath. Die ausländischen Schiffe wollen scheinbar nicht kontrolliert werden und fahren unbeeindruckt davon. "Wir bräuchten mehr und größere Boote, bessere Verfolgungs-Technologie", sagt Bonaki Camara, von der Fischerei Kontroll-Behörde. "Und wir bräuchten Training. Damit auch wir den Standard haben, den die Europäer beispielsweise haben." Einen Standard, der illegales Fischen verhindert. Doch ist das gewollt?
Spirale der Hoffnungslosigkeit
Wie so viele afrikanische Länder ist Senegal reich an Ressourcen. Doch die werden von der eigenen Regierung verscherbelt, von ausländischen Konzernen ausgebeutet. So verdient eine kleine Elite viel Geld damit. Die Bevölkerung hat nichts davon. Im Gegenteil: seit der Fisch knapper wird, wird er auch immer teurer. So verliert die Bevölkerung nicht nur eine wichtige Einnahmequelle, sondern zunehmend auch eine wichtige Ernährungsquelle. Es ist diese Spirale der Hoffnungslosigkeit, die viele von Europa träumen lässt. Mor versucht seinen Freunden dennoch einzuschärfen: versucht nicht nach Europa zu gehen. Es lohnt sich nicht, dafür euer Leben zu riskieren. "Was ist unser Leben hier schon wert. Wir verdienen einfach kein Geld." mein ein junger Mann. Ein anderer sagt: "Wir schauen nicht auf die, die im Meer ertrunken sind. Wir gucken auf die, die es geschafft haben. Die jetzt Geld nach Hause schicken und ihre Familien hier unterstützen."
Das Einzige, was sie daran hindert, sofort nach Europa aufzubrechen ist, dass sie kein Geld für die Schlepper haben. Doch wenn die Welt nicht aufhöre, ihnen die Lebensgrundlage zu nehmen, würden ihre Kinder die nächsten sein, die keinen Job finden und von Europa träumen.
Ein Film von Shafagh Laghai (ARD-Studio Nairobi).
Stand: 13.07.2019 02:01 Uhr
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