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Syrien: Die starken Frauen von Idlib

Syrien: Die starken Frauen von Idlib | Bild: SWR

Zwei Schwestern in der Provinz Idlib, der Provinz in der die jetzt Mächtigen schon in den vergangenen Jahren das Sagen hatte. Sie tragen Kopftuch, die eine ist Krankenschwester, die andere kümmert sich um die Ausbildung von Frauen. Sie sagen: "Wir haben für diese Revolution gekämpft, jetzt werden wir uns von den neuen Machthabern unsere Freiheiten nicht nehmen lassen."

Frauen als vergessene Opfer des Krieges

Zabadani, eine Kleinstadt in der Provinz Damaskus. Die Ärztin Fatin Ramadan fährt zum ersten Mal nach 10 Jahren wieder durch die Trümmerlandschaft ihrer Heimatstadt. 'Frei von Fesseln' – das Logo auf dem Kleinbus ihrer NGO. Sie will die Verbrechen des Assad-Regimes dokumentieren, in Zabadani bekämpfte das Regime die Opposition ab 2012 mit Mörsergranaten und Bomben. Hier, zeigt sie mir, hatte ich während des Kriegs ein geheimes Feldlazarett, wo ich die verwundeten Rebellen behandelt habe. Da war mein OP. "Baschar al Assad ließ gezielt unsere Feldlazarette angreifen, da drüben starben alle Patienten, als das Gebäude einstürzte." Fatin sagt: schlimmer als unter Assad könne es auch für Frauen gar nicht mehr werden. Im Ort hat sie zu einer Gesprächsrunde eingeladen. Fatin selbst wurde inhaftiert und vergewaltigt, weil sie die Opposition unterstützte.

Fatin Ramadan
Fatin Ramadan  | Bild: SWR

Ein Schicksal, das sie mit anderen im Raum teilt. Afaf Yousef leitete früher den Kindergarten. "Sie haben mich im Gefängnis alle zwei Tage verhört. Ich bekam einen Nervenzusammenbruch. Sie haben mich gefoltert, damit ich antworte, aber ich konnte einfach nicht mehr." Frauen sind die vergessenen Opfer des Krieges. Jetzt fordern sie Gerechtigkeit. Fatin dokumentiert ihre Geschichten, um später anzuklagen. "Wir geben diese Unterlagen an internationale Organisationen weiter und hoffen, die Täter vor Gericht zu bringen. Wir wollen die Verbrechen des Assad-Regimes beweisen."

Der Wunsch: frei zu leben

Nach vielen Jahren sieht Fatin ihre Familie wieder. Nichte Shimaa war noch ein Kind, als die Tante ins Ausland geflohen ist. Wie stellt sie sich ihre Zukunft vor und hat sie Sorge vor den neuen islamistischen Machthabern? "Ich möchte was bewirken im Leben. Und meine Familie unterstützt mich, sie sagen mir, geh raus, mach etwas aus Dir. Wir Mädchen sollten nicht daran gehindert werden, uns zu zeigen, wir wollen ganz normal und frei leben." Fatin ist optimistisch. Sie hat mit ihrer Organisation auch in Idlib gearbeitet, in dem Gebiet also, das von der islamistischen HTS kontrolliert wurde. "Ich wurde in Idlib nicht gezwungen, Kopftuch zu tragen. Vier Jahre habe ich mit den Leuten von der HTS zusammengearbeitet. Ich wollte sehen, wie die Realität dort ist."

Amneh al Bish
Amneh al Bish | Bild: SWR

2015 war aber auch das die Realität: Ein islamistischer Scharia-Richter, der die Hinrichtung von zwei Frauen anordnet, angeblich wegen Prostitution. Der Mann im blauen Anorak, macht jetzt Schlagzeilen, weil er von der HTS zum neuen Justizminister ernannt wurde. Ich fahre nach Idlib, weil ich mir selbst ein Bild davon machen will, wie die Frauen in der Hochburg der HTS-Miliz leben. Und treffe Amneh al Bish. Sie arbeitet bei der Organisation Weißhelme. Zivilschutz und medizinische Versorgung der Bevölkerung. Hausbesuch bei dem neunjährigen Haji. Der Junge hat mit dem Gewehr seines Vaters gespielt und sich dabei selbst das Bein durchschossen. Amneh leitet eine kleine Dorfambulanz in der Provinz Idlib. Eines von 39 Versorgungszentren der Weißhelme, die alleine von Frauen gemanagt werden. Auf ihre Krankenschwesterausbildung hat Amni noch ein Betriebswirtschaftsstudium draufgesetzt. "Im Zivilschutz haben wir die Chance bekommen, uns zu beweisen und unsere Stärken zu entwickeln. Wir syrischen Frauen haben während der ganzen 14 Kriegsjahre gezeigt, wozu wir fähig sind. Wir sind erfolgreich in allen Bereichen."

Keine Chance für Islamisten

Am Abend lädt Amneh uns zu sich nach Hause ein. Ihre Schwester Dalal kommt zu Besuch. Amneh hat 5 Kinder, sie ist die Ernährerin der Familie. Beide Schwestern wurden sehr jung verheiratet, die Gesellschaft hier war immer konservativ. Doch die Islamisten in Idlib hätten dazugelernt sagen sie. "Ich habe nie gehört, dass die HTS uns verboten hätte, zu arbeiten. Weder im Zivilschutz noch sonst wo. Sie haben sie uns an nichts gehindert." Und Dalal meint: "Wenn Frauen unterdrückt werden und keine Freiheit haben, dann gibt es auch fürs ganze Volk keine Freiheit."

Frau schneidet Stoff mit Schere
Hier können Frauen das Schneiderhandwerk lernen  | Bild: SWR

Dalal al Bish hat an der Nordgrenze der Provinz nahe der Türkei ein Frauenzentrum gegründet. Der Krieg hat viele Frauen hierher vertrieben. Bei Dalal können sie das Schneider- und Friseurhandwerk lernen. Und so ihr eigenes Geld verdienen, anstatt betteln zu müssen. Frauen und Mädchen stärken, das ist Dalals Ziel. Hunderttausende syrische Frauen leben als Binnenflüchtlinge in Lagern wie diesem. Dalal besucht die Camps und versucht, das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken. Sie sind vor Assads Bomben geflohen, seit fünf Jahren leben sie in Zelten. Dalal erklärt ihnen, wie wichtig Bildung für sie und ihre Kinder sei. "Wir wünschen uns ein festes Dach überm Kopf", erzählen die Frauen, "wegen des Kriegs haben unsere Kinder viel zu früh mit der Schule aufgehört." Dalal al Bish sagt: "Das Ziel der syrischen Revolution war von Anfang an Freiheit. Auch die Freiheit der Frauen und unser Recht, auf Gleichberechtigung mit den Männern. Wir wollen unseren Platz in dieser Gesellschaft haben." Wenn man uns daran hindern will, sagt Dalal, machen wir eine neue Revolution und gehen wieder auf die Straße. Geht es nach diesen starken Frauen, haben radikale Islamisten keine Macht über sie.

Autorin: Ute Brucker

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