So., 23.03.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Spanien/Marokko: Der tödliche Zaun von Melilla
Nato-Draht wird er genannt: Er kann tödlich sein. In den letzten Wochen haben Tausende Menschen versucht, auf die spanische Exklave Melilla zu gelangen um Asyl zu beantragen. Melilla ist eine Art Landgrenze zwischen Europa und Afrika und wird geschützt von einem 7 Meter hohen und kilometerlangen Zaun aus Stacheldraht. Er ist so scharf, dass viele, die versuchen ihn zu überwinden, sich tiefe Wunden zuziehen. Ärzte berichten, dass manche sogar an ihren Wunden verblutet sind. Trotzdem reißt der Strom der überwiegend afrikanischen Flüchtlinge nicht ab. Wer nicht über den Zaun kommt, versucht es über Wasser. Viele ertrinken dabei. Nach Lampedusa steht Europa vor einer zweiten Flüchtlingskatastrophe. Stefan Schaaf, ARD-Studio Madrid, hat rund um Melilla mit Asylsuchenden, mit verletzten und verzweifelten Flüchtlingen gesprochen.
"Macht schnell", sagen uns die beiden Männer mit dem Brennholz, "Sonst sieht uns noch die marokkanische Polizei." Wir sind auf dem Weg zu ihrem Camp. Das Lager im Wald: Zelte im Gehölz, dreihundert Menschen hausen hier. Sie alle kommen von der Elfenbeinküste, und nur ein Gedanke treibt sie an: Europa. Wir sind auf dem Berg Gurugu auf marokkanischer Seite, direkt an der Grenze zur spanischen Exklave Melilla. Tiefe Schnittwunden zeigen sie uns und sagen: das ist von Eurer Grenze. "Es ist wirklich sehr schwierig", erzählt einer der Flüchtlinge, " eigentlich ist es fast ausgeschlossen, dort hinüberzukommen, aber wenn Du arm bist, musst Du das unmögliche versuchen." Ein anderer ergänzt: "Sehen Sie, da unten liegt Melilla, die Stadt unserer Träume, und hier ist die Hölle."
Hinter ihnen liegt der lange Weg durch die Sahara. Tausende von Migranten sollen sich am Berg Gurugu versteckt halten, und sie alle blicken auf Melilla: im Sonnenlicht wirkt es wie eine Verheißung. Unten im Tal, auf spanischer Seite fährt die Guardia Civil Patrouille. Sieben Meter hoch und elf Kilometer lang ist er, der Grenzzaun. In der Sonne glänzen messerscharfe Klingen, das ist der berüchtigte Nato-Stacheldraht. Wärmekameras melden immer öfter in den frühen Morgenstunden eine Massenbewegung – meist kommen die Migranten zu hunderten vom Berg herunter und stürmen gemeinsam auf die hochgerüstete Grenze zu. Mit dem Mut der Verzweiflung erklimmen sie den hohen Zaun – sie alle haben nichts mehr zu verlieren. Wer es geschafft hat, kommt in das Auffanglager von Melilla. Sie glauben, ihr Traum von Europa sei wahr geworden. Für die spanische Stadt Melilla werden die Attacken der letzten Wochen zum Alptraum – das Auffanglager ist hoffnungslos überfüllt. Die spanischen Behörden sehen Schlepperbanden am Werk, und weisen Kritik an der hochgerüsteten Grenze zurück – in Melilla werde ganz Europa verteidigt. "Es gibt viel Heuchelei, die Guardia Civil verteidigt die Grenze und erfüllt damit das Gesetz", meint Juan José Imbroda, der Präsident von Melilla. "Diejenigen, die illegal Spanien betreten, brechen das Gesetz."
Zurück in Marokko, dieses Mal in der Nähe der spanischen Exklave Ceuta - Männer aus Kamerun führen uns zu ihrem Lager. Die meisten leben hier schon seit mehr als einem Jahr, Essen suchen sie im Abfall der umliegenden Dörfer. Früh morgens verstecken sie sich, denn dann kommt oft die marokkanische Polizei, um ihre Zelte zu zerstören. Doch uns wollen sie vom sechsten Februar dieses Jahr erzählen, als sie von der Guardia Civil angegriffen wurden. "Wir wollten am frühen Morgen über die Grenze", erzählt Jimmy, " aber dann haben die Spanier, die Guardia Civil begonnen, auf uns zu schießen." Amateur-Aufnahmen von jenem Tag – die Afrikaner wollten auf die spanische Seite schwimmen. Eine Gruppe ist im Meer zu erkennen, dann fallen Schüsse – die Guardia Civil feuerte Gummimunition und Tränengas ins Wasser. "Ich war auch im Meer, in einer Wolke von Tränengas, ich weiß nicht, wie ich da herausgekommen bin." Bislang lehnt die spanische Regierung jede Verantwortung ab – aber an diesem Tag sind 15 Menschen ertrunken. "Wir verstehen das nicht", klagt Jimmy. "Wir sind ja die Gewalt der Marokkaner gewöhnt, aber dieses Mal waren es die Spanier, die getötet haben." Ihr Ziel bleibe trotzdem Europa, sagen sie, das seien sie ihren Familien schuldig. Und so leben sie gefangen im Niemandsland dieses Waldes.
Im nächsten Dorf treffen wir auf eine aufgebrachte Menschenmenge. Ihre Wut richtet sich gegen die Afrikaner im Wald, erfahren wir. Die Flüchtlinge würden die marokkanischen Frauen belästigen. Inszeniert wirkt diese spontane Demonstration. Nein, willkommen sind die Männer aus Afrika nicht. Abends in Marokkos Hauptstadt Rabat – irgendwo in einem ärmlichen Mietshaus treffen wir auf weitere Opfer der mörderischen Grenze. Bandagierte Arme, gegipste Füße – hier pflegen viele Verletzte ihre Wunden. Sie haben die Festung Europa bislang nicht überwinden können. "Es passieren schlimme Dinge, all die Verwundeten, die Sie hier sehen, sind eine Folge dieser Grenze", sagt ein Flüchtling." Wir konnten dem Tod bisher entkommen, aber wir haben einige Brüder schon verloren."
Auf spanischer Seite fühlt man sich von Europa alleingelassen. Man müsse gemeinsam über die Aufnahme von Flüchtlingen entscheiden, sonst drohe eine weitere Katastrophe. "Wenn abertausende von verzweifelten Menschen an dieser Grenze weiter rütteln, dann kann sich jederzeit erneut eine Tragödie abspielen, das macht mir wirklich Angst", so Juan José Imbroda, Präsident von Melilla.Von Melilla aus hat man einen guten Blick auf den Berg Gurugu. Dort treffen wir auch zwei 15 jährige, fast noch Kinder. Die Sahara haben sie in Mali und Algerien durchquert, das war schlimm, sagen sie leise, nun liegt ihr Ziel zum Greifen nah. "Nein, ich bin nicht traurig, ohne meine Eltern zu sein", meint Kanga, "weil ich doch auch für sie der Armut entkommen will." Was er in Europa machen wolle, frage ich. "Ich möchte Fußball-Profi werden, so wie Cristiano Ronaldo oder Didier Drogba. Das ist mein Traum." Der Blick vom Berg macht sie verrückt – hinter ihnen liegt die Hölle, vor ihnen Europa, das Paradies.
Stand: 15.04.2014 10:43 Uhr
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