So., 12.01.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Venezuela: Der Niedergang
Der Präsident weiß sich nicht mehr anders zu behelfen: Um den Niedergang der Wirtschaft zu bremsen, kündigt er an, in seinem Land die Inflation zu verbieten. Mal ruft er indirekt zum Plündern auf. Mal will er die sozialistische Revolution unumkehrbar machen. Die Rede ist von Venezuela, eigentlich eines der reichsten Länder des amerikanischen Kontinents. Öl gibt es im Überfluss, aber in den Regalen der Geschäfte steht fast nichts mehr. Nicht einmal Toilettenpapier. Die Währung verfällt, die Geldentwertung liegt bei 50 Prozent und Schwarzmärkte sind zum wichtigsten Handelsort in den Städten des Landes geworden. Ein Bericht über ein Land im beschleunigten Niedergang von Peter Sonnenberg, ARD Mexiko.
Was man in Venezuela gar nicht mag, ist zu zeigen, was nicht gut läuft. Deshalb konnten wir im Supermarkt nur mit versteckter Kamera drehen. Hier läuft´s alles andere als gut. Egal in welchem Markt in welcher Stadt man Lebensmittel sucht, es fehlt überall am Nötigsten. Milch, Reis, Zucker, Hühnchen oder Toilettenpapier. Und wenn es dann mal welches gibt, kaufen gleich die ersten Kunden die Regale wieder leer. Schuld sei die Regierung, weil sie gesetzlich vorschreibe, dass alles billig verkauft werden muss, sagt Fernando Campos, Sprecher einer Supermarktkette. "Es rentiert sich für die Hersteller nicht mehr Lebensmittel hier in Venezuela zu produzieren, es ist einfacher sie zu importieren, deshalb liegt unsere eigene Produktion am Boden. Beim Import gibt es aber auch eine Reihe von Problemen. Die Ware kommt nicht zur richtigen Zeit, deshalb kommt es immer wieder zu Engpässen."
Oswaldo Gonzalez ist Landwirt. Er baut Brokoli an, Bananen, Avocado und Kohl und verkauft sein Gemüse an illegalen Straßenständen, denn nur da kann er den Preis verlangen den er zum Produzieren braucht und zum Überleben. Daß nur ein Sohn mitarbeitet liegt daran, daß seine Frau und die anderen sechs Kinder in Caracas Geld dazuverdienen müssen, sonst reicht es nicht. "Der Staat kauft Gemüse billig auf, und verkauft alles, egal ob Bohnen oder Kohl, für 25 Bolivares das Kilo – umgerechnet 35 Cent. Die kommen mit zwei riesigen Lastwagen hier in meine Gemeinde und verkaufen zu diesem Preis, den ich nicht bieten kann. Die machen mir Konkurrenz anstatt uns Armen zu helfen. Wenn meine Ware wenigstens besser wäre", sagt er, "dann könnte ich meinen Kunden den Preisunterschied erklären." Aber die Ernte ist auch nicht mehr so toll. Die Firma, die ihm früher Dünger, Samen und Gift gegen Schädlinge verkauft hat wurde enteignet. Seit diese Firma verstaatlicht wurde, läuft da nichts mehr. Früher konnte ich bei denen alles kaufen, was ich brauchte. Heute stehen wir erst mal Schlange, müssen vorbestellen und irgendwann bekommt dann jeder einen Bruchteil von dem zugewiesen, was er bestellt hat. Deshalb haben viele Landwirte aufgegeben und produzieren nichts mehr. Und die Regale sind leer, es gibt nichts Vernünftiges zu kaufen.
Er will sein Land aus der Krise befreien: Nicolas Maduro, der Ex-Busfahrer, der politische Erbe von Hugo Chavez, macht aber mehr durch peinliche Auftritte als durch Krisenmanagement von sich reden. Venezolanische Internetmedien haben ihren Spaß, wenn er erzählt, Chavez sei ihm als Vögelchen begegnet und habe ihm Tipps zugezwitschert. Oder dass er gerne am Sarg von Chavez übernachte, um ihm nah zu sein. Oder als ihm heraus rutschte, die Kapitalisten würden ihr Volk doch genauso beklauen wie sie, die Sozialisten selber. In Maduros erstem Amtsjahr geht es mit der Wirtschaft steil bergab. Die Inflation schnellt offiziell auf 56 Prozent. Maduros Lösung: Geschäfte müssen per Verordnung ihre Preise senken. Sie würden sowieso auf Kosten der Bevölkerung zu hohe Gewinne machen. Was er nicht bedachte, Geschäfte die keine Gewinne mehr machen, können nicht überleben. Und deshalb sehen die Ladenzeilen der Städte heute so aus.
Was sie am Lager haben müssen sie aufgrund der Verordnung verkaufen, aber zum Nachbestellen kann sie keiner zwingen. Und so sind die meisten Geschäfte Venezuelas heute fast leer. "Wofür Investieren, wenn die Regierung Dich zwingt Dein Geld zu verlieren", fragt sich Henderson Barrios, Geschäftsführer von General Import Caracas. "Wir haben noch viel Ware im Geschäft, andere sind schon völlig leer. Aber warum sollten wir nachkaufen, um mit Verlusten zu verkaufen? Nein, das macht keinen Sinn."
So manches in Venezuela macht keinen Sinn. Wir treffen uns am Abend mit einem Mann, der nicht erkannt werden will, weil er etwas tut, was nicht ganz legal ist. Wir gehen in ein Hotelzimmer und er erklärt uns, wie er die Politik seines Landes ausnutzt, um an Devisen heranzukommen, die ihm in Venezuela ein gutes Leben ermöglichen. "Der Staat", erklärt er, "erlaubt jedem Venezolaner, der genügend Ersparnisse auf dem Konto hat, einmal im Jahr mit seiner Kreditkarte im Ausland Geld abzuheben. Bis zu 3.000 Dollar, eigentlich um dort Urlaub zu machen." Für einen Dollar bekommt man in Venezuela laut dem offiziellen Wechselkurs gut sechs Bolivar. Auf dem Schwarzmarkt aber mehr als sechzig. Deshalb fliegen zur Zeit viele Venezolaner ins Ausland, nur um dort Dollars abzuheben die sie später, zurück zu Hause, bei einem Schwarzmarkthändler in Bolivar zurück tauschen, so verzehnfachen sie ihr Geld. Unser Informant aber fälscht Antrag und Reiseunterlagen, die er der Bank vorlegen muss, um die Freigabe zu bekommen, im Ausland Geld abzuheben. Ein Bekannter in der Bank genehmigt die Transaktion. Unser Mann spart sich die Ausgaben für die Reise. "Mit einem Kartenlesegerät und einer Software gaukel ich der Bank vor, der Besitzer der Kreditkarte sei im Ausland und überweise das Geld auf mein Auslandskonto. Von dort kann ich es in Dollar an den Besitzer der Kreditkarte zurücküberweisen."
Wer kein Erspartes hat, kann auch nichts in Dollar tauschen. Wie Oswaldo Gonzalez. Oswaldo Gonzalez ist sauer auf Maduro, weil der so tut, als würde er den Armen helfen, dabei gehe es ihm immer schlechter."Ich habe nicht viel und es reicht nur, weil meine ganze Familie nicht mehr zuhause lebt."Würde auch er sein Gemüse zum niedrigen Einheitspreis an den Staat verkaufen, würde es für ihn nicht mehr reichen. Dann könnte auch er seinen Hof dicht machen und Venezuelas Lebensmittelnot wäre noch ein Stück größer.
Stand: 15.04.2014 10:35 Uhr
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