So., 29.03.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
Eritrea/Europa: Exil-Eritreer zahlen Zwangssteuern an die Diktatur
Sie fliehen vor Armut und Unterdrückung – und werden dann gezwungen, das diktatorische System weiter zu finanzieren, durch eine sogenannte "Aufbau-Steuer". Eritreer in aller Welt zahlen zwei Prozent ihres Einkommens an die eritreische Regierung. Wenn sie dies nicht tun, erhalten sie von ihrem Geburtsland weder einen neuen Pass noch offizielle Dokumente.
Eritrea steht in der Kritik der UN, denn das totalitäre Regime unterstützt die Opposition der Nachbarstaaten – auch militante Gruppen wie Al Shabab. Doch trotz UN Sanktionen unternehmen europäische Regierungen nichts dagegen, dass Exil-Eritreer und anerkannte eritreische Asylbewerber dazu gezwungen werden, Geld nach Eritrea zu überweisen.
Einzige Gegenmaßnahme der Bundesregierung und anderer EU-Staaten: das Geld darf nicht mehr durch die Botschaften oder Konsulate eingetrieben werden. Doch Recherchen von SWR und NDR zeigen, dass dies weiterhin geschieht. Und da teils auch Sozialhilfeempfänger zahlen, fließt somit Geld aus Staatskassen – auch aus deutschen – in die Destabilisierung des Horns von Afrika.
Autorinnen: Esther Saoub und Lena Kampf, ARD
Fünf Jahre war Natnael Tesfai auf der Flucht, bis er hier ankam: in Schwedens Hauptstadt Stockholm. Eine Odyssee kreuz und quer durch Afrika – nur um der Diktatur seiner Heimat zu entkommen. "Ich bin von Eritrea aus über Äthiopien in den Sudan geflohen. Dort wurde ich entführt und nach Ägypten gebracht, ich kam frei und wurde abgeschoben zurück nach Äthiopien. Dann bin ich wieder los in den Sudan, ich wurde nochmal entführt und musste Lösegeld zahlen. Schließlich hab ich es über Libyen nach Italien geschafft und von dort hier her nach Schweden."
2%-Zwangsabgabe an die Diktatur
Im Oktober 2013 hat er die verheerende Bootskatastrophe vor Lampedusa überlebt. Ein Schock, der sich mit der Zeit in Trauer verwandelt hat. Aber alles ist besser als die Unterdrückung in Eritrea. Nur: die könnte ihn bald wieder einholen: Sobald sein Pass abläuft, muss Natnael Tesfai hier vorsprechen, im eritreischen Konsulat von Stockholm. Oppositionelle geben uns ein heimlich gedrehtes Video. Es zeigt, was hier hauptsächlich geschieht: es werden keine normalen Gebühren berechnet, sondern Steuern eingetrieben. Jeder Exileritreer, der eine Dienstleistung vom Konsulat will, muss zahlen. 2% seines Einkommens, rückwirkend, ab dem Datum der Ausreise. Kaum einer zahlt freiwillig, aber wenn Schweden offizielle Papiere fordert, haben sie keine andere Wahl. Die Steuer ist eine Zwangsabgabe an den Diktator, über die nur wenige Eritreer offen sprechen. Die Angst vor dem Regime reicht bis nach Europa. Anonymisierte Quittungen, wie diese vom Juni 2014, zeigen, welche Summen fällig werden können: hier sind es rund 5.000 Euro.
Die Journalistin Meron Estefanos hat uns die Unterlagen gegeben. Sie selbst hat noch nie bezahlt. Seit bald 30 Jahren lebt sie in Schweden und kämpft gegen die Gängelung ihrer Landsleute. "Es gibt diesen Spruch in Eritrea, die Regierung verbreitet ihn: "Unser Arm ist lang genug, um dich zu erreichen - wo immer du bist, das sagen sie". Sie unterstützt eritreische Flüchtlinge, die neu in Schweden ankommen - auch Natnael Tesfai hat sie geholfen, Asyl zu beantragen. "Die Flüchtlinge haben Angst. In Eritrea wird dir alles vorgeschrieben: wie du lebst, was du denkst, in welche Schule du gehst – alles entscheidet die Regierung." Gegen diese Bevormundung versucht Meron Estefanos anzugehen. Sie arbeitet für Radio Erena, das von Paris aus nach Eritrea sendet um die Menschen dort wachzurütteln. Für die Oppositionelle ist die Regierung in Asmara menschenverachtend und deren Behauptung, Exileritreer würden freiwillig die 2%-Steuer zahlen, widerlegt sie mit gut dokumentierten Beispielen. "Ich kenne diese Frau, sie hat gezahlt, weil sie von ihrer Mutter ein Haus geerbt hat. Sie wollte es ihren Brüdern in Eritrea überschreiben. Die Regierung teilte ihr mit, dafür brauche sie eine Vollmacht und für die sollte sie die 2%-Steuer zahlen. Sie hat bewiesen, dass sie nie gearbeitet hat, trotzdem musste sie zahlen." Und zwar von ihrer Sozialhilfe. Geld aus der schwedischen Staatskasse floss also nach Eritrea. Damit möglichst viele Exilanten die 2%-Steuer zu zahlen, setzt die eritreische Regierung sogar deren Angehörige in der Heimat unter Druck. Die sogenannte "Aufbausteuer" ist eine sichere Devisenquelle.
Die Botschaft organisiert den Geldtransfer
Rund 1 Million Eritreer leben im Ausland. Die meisten von ihnen im Sudan, Saudi-Arabien und den Emiraten. Gefolgt von den USA und Kanada. Hinzukommen Skandinavien und die Schweiz. Die größte eritreische Exilgemeinde Europas lebt in Deutschland – rund 50.000, und sie werden täglich mehr. Wir treffen einen Eritreer, der sich lange geweigert hat, Steuern zu zahlen, nun hat er kapituliert. Er will unerkannt bleiben – hat Angst, dass das Regime auch hier nach ihm greift. "Ich lebe seit 12 Jahren in Deutschland, könnte längst deutscher Staatsbürger sein, aber dafür brauche ich Dokumente von der eritreischen Botschaft. Die bekomme ich nur, wenn ich jetzt die Steuer zahle". Vor wenigen Wochen hat er sein Konsulat angerufen. Die Antwort: er muss rückwirkend zahlen, und zwar mehrere Tausend Euro. Dabei hat Eritrea im Juli 2011 der Bundesregierung zugesichert, dass das Geld nicht mehr über diplomatische Vertretungen eingezogen würde. Ein Interview dazu bekommen wir nicht. Auch das Auswärtige Amt gibt uns keine Auskunft vor der Kamera. Aber eine Anfrage der Grünen Abgeordneten Luise Amtsberg zeigt, dass die Bundesregierung Eritrea vertraut. Zitat: "Die Steuer wird nicht mehr von der Botschaft eingetrieben" Stimmt nicht! Die Botschaft organisiert immer noch den Geldtransfer - nur eingezahlt wird jetzt direkt in Eritrea. Wir bekommen ein Botschaftsdokument in dem steht: "Bescheide und Quittungen werden weiterhin in Berlin bearbeitet und erledigt".
Die Frankfurter Rechtsanwältin Antje Becker ist spezialisiert auf Ausländerrecht. Sie kennt die Probleme der Eritreer die keine Steuer zahlen: Ohne Identitätsnachweis, kein Führerschein, kein Bankkonto, keine Einbürgerung. Sie zeigt uns Dokumente die beweisen: Sogar deutsche Sozialabgaben wandern nach Eritrea. "Also dieser Betrag ist ganz klar Sozialhilfebezug. Das setzen die mit – können Sie ja ausrechnen: 10 Euro im Monat an." Dabei könnte Deutschland den Betroffenen helfen, die Steuer zu umgehen, etwa mit einem Identitätsnachweis vom Notar. Aber die Ausländerbehörden bestehen in der Regel auf eritreischen Papieren. "Damit wird praktisch in Deutschland zwangsweiseüber die Ausländerbehörden die Steuer für Eritrea beigetrieben."
Wohin fließt das Geld?
Geld kommt aus der ganzen Welt. Insbesondere eritreische Arbeitsmigranten in Saudi-Arabien und am Persischen Golf zahlen, denn sie haben keine Möglichkeit, die Steuer zu umgehen. Und was passiert mit dem Geld? Wir fahren nach Den Haag um einen Insider zu treffen. Kubrom Dafla hat Anfang der 90er Jahre das System mit aufgebaut, über das Geld aus dem Ausland nach Eritrea fließt. Das war kurz nach der Unabhängigkeit, der heutige Diktator galt damals vielen als Hoffnungsträger. 2009 hat Dafla Eritrea verlassen und in den Niederlanden politisches Asyl erhalten. Er gehört heute zu den schärfsten Kritikern seiner ehemaligen Parteigenossen. Wir zeigen ihm Zahlungsquittungen aus Schweden und Deutschland und erfahren, dass dieses Geld in den eritreischen Finanzbehörden nie ankommt! "Diese Steuer fällt nicht unter das Steuer-Erhebungsgesetz. Ich war mehr als drei Jahre Chef der Steuerbehörde, ich kenne alle Steuern im Land." Die sogenannte Aufbausteuer gehöre nicht dazu, erklärt Dafla, denn das Geld der Exileritreer gehe an der Steuerbehörde vorbei direkt ans Büro des Präsidenten. "Um es ganz präzise zu sagen: dieses Geld wird verwendet für die Pläne des Präsidenten." Glauben Sie, dass die eritreische Regierung mit diesem Geld Terrorgruppen in den Nachbarstaaten finanziert? "Mit Sicherheit! Dabei ist es nicht wichtig, ob die 2%-Steuer direkt an diese Gruppen geht. Sie ist Teil eines Fonds, der hierfür verwendet wird. Nicht unbedingt direkt für Waffenkäufe, es wird ein ganzes System unterstützt: Auch Terroristen, die in anderen Ländern agieren um diese zu destabilisieren!"
Mogadischu im Februar. Nach wie vor besteht der Verdacht, dass die eritreische Regierung Gruppen unterstützt, die solche Anschläge verüben. Natnael Tesfai will das Regime, vor dem er geflohen ist, nicht auch noch von Stockholm aus finanzieren. Und Staaten, die Menschen wie ihm Asyl geben, sagt die Journalistin Meron Estefanos, sollten sie auch vor dem langen Arm der Diktatur schützen, vor der sie geflohen sind.
Stand: 30.03.2015 11:37 Uhr
Kommentare