Mo., 22.06.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Syrien/Irak: Bedrohtes Weltkulturerbe
Die antike Oasenstadt Palmyra ist ein Juwel. Zeugnis vollkommener antiker Baukunst. Die einstige Handelsmetropole in der syrischen Wüste gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Doch jetzt herrscht die Terrormiliz "Islamischer Staat" über die antiken Stätten und die Welt fürchtet einmal mehr, dass die fanatischen Kämpfer des IS auch Palmyra dem Erdboden gleichmachen wollen. Thomas Aders (ARD-Korrespondent Kairo) und Esther Saoub (SWR Stuttgart) gehen der Frage nach: Was kann getan werden, um das bedrohte Weltkulturerbe in Syrien und im Irak zu schützen.
Thomas Aders, Studio Kairo und Esther Saoub, SWR Stuttgart
Schäferstündchen im Innenhof des Nationalmuseums in Damaskus. Viele Liebespaare schätzen die Ruhe und die einzigartige Kulisse, etwa das Tor des 1300 Jahre alten Umayyaden-Schlosses von Qasr Heir, westlich von Palmyra. Seit seinem Amtsantritt im Sommer 2012 hat der syrische Antikenchef Maamoun Abdulkarim alles in seiner Macht stehende getan, das Weltkulturerbe vor Krieg, Vandalismus und Extremismus zu schützen. Anders als im Irak ist es ihm gelungen, 300.000 Kunstschätze vor der Zerstörung zu retten. Auch wenn natürlich schwere Säulen und ganze Gebäude unmöglich zu transportieren sind; was Abdulkarim getan hat, ist von größtem Wert für das Kulturerbe der Menschheit. Denn nirgendwo auf der Welt sind antike Objekte so gefährdet wie im Nahen Osten. "Es gibt drei Phasen der Zerstörung: zuerst die Kampfhandlungen im Bürgerkrieg in Syrien, durch die viele Altertümer zerstört wurden. Danach folgten die Angriffe der Mafia auf viele Ausgrabungsstätten, sogar mit Bulldozern. Und schließlich die Sprengung von großen Statuen und Gebäuden durch die fundamentalistischen IS-Brigaden. Wir sind dabei, unser kulturelles Erbe zu verlieren! Wenn die Krise so weiter geht, werden wir ein Ausmaß an Zerstörungen erleben, das dramatischer ist als irgendwo sonst auf der Welt."
Das Kulturerbe der Menschheit steht auf dem Spiel
Beinahe zwei Jahrtausende alte Mosaike wie dieses – Zeugnisse einzigartiger kultureller Vielfalt in der Wiege der Menschheit. Aramäische und assyrische Artefakte, griechische, römische, judäische, phönizische, osmanische und – derzeit besonders gefährdet – palmyrische! "Schauen Sie sich mal diesen wunderbaren Faltenwurf an – und die seitlichen Dekorationen – und den Schmuck! Das sind wunderbare Artefakte, das ist eine phantastische Kunst! Wenn diese Büsten in die Hand des Islamischen Staates fallen würden – ich bin mir sicher – würden die Extremisten sie nicht auf dem Schwarzmarkt verkaufen, sondern zerstören. Es wäre ein Desaster für die Kultur von Palmyra."
Die Antikenbehörde tut was sie kann
Unfassbar, dass die Antikenbehörde mit 2.500 Angestellten überhaupt noch funktioniert und weiter Objekte wie diese rettet, mit Staatsgeldern. Von den arabischen Nachbarländern bekommt Abdulkarim, den wir einige Tage später in Paris treffen, keine Unterstützung, nur libanesische Behörden und deutsche Archäologen stehen ihm zur Seite. Also wirbt er weiter für Verständnis und die Solidarität der internationalen Gemeinschaft. Unermüdlich. "Wir können doch keine ganzen archäologischen Stätten nach Damaskus transportieren. Allenfalls Einzelobjekte. Offengesagt: wir sind alleine. Und erschöpft. Wir haben nie behauptet, dass wir stark sind. Das hier übersteigt die Möglichkeiten der Antikenverwaltung. Es ist schade um das kulturelle Erbe eines Landes, das so reich ist wie Syrien. Eines Tages wird es völlig zerstört sein und ausgeraubt!"
"Mission Impossible" nennt der Antikendirektor seinen Job. Er sitzt zwischen allen Stühlen. Denn als Regierungsangestellter darf er die Schuldigen für die Zerstörung nicht einmal benennen. Ähnlich geht es dem ehemaligen Grabungsleiter in Palmyra. Der Archäologe Mohamad Tahar gehört seit zehn Jahren zur syrischen Opposition und sorgt sich nun von Paris aus um seine Heimat. Aktivisten schicken ihm Fotos und berichten ihm per Skype vom Leben unter den Milizen des IS. "Der Islamische Staat hat in Palmyra versucht, das Vertrauen der Leute zu gewinnen. Die erste Erklärung, die sie auf dem Marktplatz verlesen haben, lautete: wir werden die antike Stadt nicht antasten. Denn sie wissen, wie eng die Bevölkerung von Palmyra mit ihren Altertümern verbunden ist."
3D-Rekonstruktion als einzige Erinnerung
Wechselt der Islamische Staat seine Strategie? Noch im Februar zerstörte er medienwirksam Antiken im nordirakischen Mosul. Wie lässt sich das je wieder herstellen? Fragte sich daraufhin ein Spezialist für Digitalisierung in Stuttgart. "Die Zerstörung im Museum von Mosul auf dem Video bricht einem das Herz! Wir wollten irgendwas tun, schließlich forschen wir zum Weltkulturerbe", sagt Chance Coughenour vom Institut für Photogrammetrie an der Universität Stuttgart. "Ich habe vorgeschlagen, dass wir 3D-Rekonstruktionen anfertigen, wenn wir genug Bilder bekommen, von Touristen, oder Leuten die das Museum früher besucht haben." So entstand das Portal "projectmosul.com", über das jedermann private Bilder hochladen kann. Über 800 Fotos sind schon zusammengekommen – je mehr Perspektiven eines Objekts dabei sind, desto genauer wird die dreidimensionale Rekonstruktion oft bereits zerstörter Kulturgüter. Wenigstens virtuell bleibt so das Weltkulturerbe erhalten.
Zurück in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Ein wenig überrascht stellen wir fest, dass die geretteten Kunstgegenstände auch in den Mauern des ehrwürdigen Nationalmuseums noch immer nicht in Sicherheit zu sein scheinen. Nach und nach werden die Büsten, Statuen und Streitwagen in Holzkisten verpackt, um danach an streng geheimen Orten in Kellern und Erdgruben für Jahre zu verschwinden. Dies für den Fall der Fälle, dass es die Islamisten doch noch schaffen, Damaskus zu erobern. Auch wenn die Terrormilizen Palmyra derzeit noch verschonen – Vertrauen ist gut, Vergraben ist besser.
Stand: 05.07.2019 11:17 Uhr
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