So., 10.04.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Ukraine: Leihmütter und nicht abgeholte Babys
Die Neugeborenen liegen gewickelt und umsorgt im Keller der Klinik. Und täglich werden es mehr. Ihre biologischen Eltern können sie nicht abholen. Denn sie leben in Deutschland, den USA oder Frankreich. Frauen, die ihr Kind von einer Leihmutter haben austragen lassen. In der EU ist Leihmutterschaft verboten. Deshalb können die Babys nicht einfach in ein EU-Land gebracht werden. Die genetischen Eltern müssen sie persönlich in der Ukraine abholen, und das geht wegen des Krieges nur selten.
Dazu auch der Weltspiegel Podcast: "Babys in Bunkern – Leihmütter im Ukraine-Krieg". Zu finden in der ARD-Audiothek und überall da, wo es Podcasts gibt.
Babys warten im Keller auf ihre Eltern
Sie sind im Krieg geboren – und leben seitdem in diesem Keller in der ukrainischen Hauptstadt. Ukrainische Frauen haben sie als Leihmütter ausgetragen – die Eltern kommen aus China, Deutschland oder Italien. Aber bisher hat der Krieg ihnen den Weg in die ukrainische Hauptstadt versperrt. So lange kümmern sich zum Beispiel Kindermädchen Irina und Krankenschwester Svetlana. "Wie alle Kinder brauchen sie Wärme und Zärtlichkeit. Wir versuchen ihnen diese Wärme, die sie sonst von Mama und Papa bekommen, zu geben."
Die beiden Frauen leben seit Wochen mit den Babys im Keller, haben sich gegen eine Flucht entschieden. "Ich bin ja schon älter als meine Kolleginnen", sagt Krankenschwester Svetlana. "Die haben kleine Kinder. Meine sind erwachsen. Wäre ich gegangen, wer würde sich kümmern? Ich konnte die Babys nicht verlassen."
Dieser Junge, den sie hier Valeriy nennen, kann schon seit Monaten nicht von seinen chinesischen Eltern abgeholt werden, erst kam Covid, dann der Krieg. Es ist ruhiger geworden, jetzt da die russische Armee von Kiew abgerückt ist. Immer mehr Eltern schaffen nun den Weg zu ihrem Kind. "Wir wünschen uns sehr, dass jetzt alle ihr Baby abholen können", sagt Kinderpflegerin Irina. "Es ist so schade, dass die Babys diese Zeit nicht mit ihren Eltern verbringen können, dass sie nicht die Sprache ihrer Eltern hören, sondern unsere."
Schwanger im Krieg
In einer Klinik in Kiew steht an diesem Morgen eine planmäßige Untersuchung für Leihmütter an – die Zweite seit der Invasion. Die Klinik gehört der größten Firma der Branche. Gegen sie liefen bereits Ermittlungen, auch wegen Menschenhandel. Die Geschäfte laufen seit Jahren gut. Die meisten Frauen hier erzählen uns, dass sie mit dem verdienten Geld eine Wohnung für ihre eigene Familie finanzieren wollen, auch Irina. Schwanger zu sein im Krieg, und dann auch noch als Leihmutter, sei eine extreme Belastung. Irina trägt das Kind eines israelischen Paares aus – und geriet in Panik als sie kurz nach Invasion niemanden von der Firma erreichen konnte. "Ich dachte am Anfang: das war’s jetzt. Wie soll ich jetzt weiter machen? Ich habe ja selbst zwei Kinder und was mache ich mit einem Dritten? Und man hat auch gesagt: Wir dürfen sie gar nicht selbst behalten. Nicht, dass ich ins Gefängnis komme – wer kümmert sich dann um meine Kinder?"
Mittlerweile machen sie hier erst einmal weiter wie vor der Invasion. Auch Nastja ist für den Moment zuversichtlich, dass die Abholung schon klappen wird. Sie bekommt das Kind für eine bulgarische Familie. Nastja selbst hat zwei Kinder, ist alleinerziehend, stammt aus einem Kiewer Vorort – und entschied sich gegen die Flucht. "Meine Mutter wollte mit mir fliehen. Ich hatte wegen des Kindes große Angst, seiner Gesundheit zu schaden, wenn unterwegs etwas passiert wie Schüsse oder Explosionen. Nach einigen Wochen haben sich die Leute zu Hause sicherer gefühlt als draußen. Ich habe also entschieden zu bleiben." Aber sie alle hier fragen sich: Wie geht es weiter mit dem Krieg? Wie wird die Lage sein, wenn die Geburt ansteht?
Übergabe der Babys gleich am Bahnhof
Im Lager zeigt der medizinische Direktor die Vorräte. Jetzt wo die Panik der ersten Wochen verflogen sei, habe man alles unter Kontrolle. Auch das Problem mit Leihmüttern, die nach Polen geflohen seien. Dort könnten sie ohnehin nicht bleiben. "In Polen ist Leihmutterschaft verboten. Aber viele unserer Mädchen sind dorthin, etwa 10, aber ich bin beruhigt, wenn sie in der 12., 16. oder 20. Woche sind. Ich habe ihr Versprechen, dass sie in der 28. Woche in die Ukraine zurückkehren. Warum genau dann? Ab der 28. Woche kann ein Kind nämlich lebensfähig sein."
Auch mit diesem Video auf der Firmenwebseite will man die Kunden beruhigen: In gesicherten Fahrzeugen und bewaffnet holt der medizinische Direktor Neugeborene aus den Kliniken ab. Nach Corona ist dies die zweite Krise für die Leihmutter-Industrie im Land. "Damals gab es Quarantäne-Regeln – jetzt hält vor allem Angst die Eltern ab. Ich verneige mich vor den Eltern, die trotz allem nach Kiew gekommen sind: Trotz Beschuss und Luftalarm. Sie sind gekommen: In den Schutzkeller, in dem die Babys leben oder zum Bahnhof – wir haben Kinder direkt am Zug übergeben. Auch das gab‘s. Das sind echte Eltern." Die ukrainischen Behörden haben die bürokratischen Abläufe bereits vereinfacht, um die Abholung der Kinder zu erleichtern. Für die Pflegerin Irina steht fest: Sie wird bleiben und sich kümmern, um die Babys, die schon da sind und jene, die noch geboren werden. So lange wie nötig, egal wie der Krieg weitergeht.
Autorinnen: Mareike Aden
Stand: 26.05.2022 12:45 Uhr
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