So., 23.06.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Brasilien - Wut im WM-Land
Mit dem Bus und in Begleitung der Mutter kommt die 10-jährige Juliana zur Schule. In die zehntbeste in ganz Brasilien! Und die liegt in prominenter Nachbarschaft. Direkt neben dem legendären Maracana. Dem Fußballheiligtum Brasiliens, das jetzt fitgemacht wird für die WM und dafür soll Julianas Grundschule zum Ende des Schuljahres abgerissen werden.
O-Ton Juliana Araujo, Schülerin
Für Sportveranstaltungen gibt der Staat Milliardenbeträge aus, aber nicht für die wahren Bedürfnisse. So die Klagen der Jugend und Mittelschicht. Mehr Geld für Bildung ist eine ihrer Kernforderungen. Wie paradox, dass wegen der Fußball WM auch noch die Schule neben dem Maracana verschwinden soll, findet auch Julianas Lehrerin.
O-Ton Carolina Martins, Lehrerin
12 Stadien sind für die WM gebaut worden. Und manches, wie das in Brasilia wird wohl nach der WM ungenutzt herumstehen. Romario, Ex-Weltmeister und Parlamentsabgeordneter, klagt in einer Videobotschaft über die Vorgaben der FIFA.
O-Ton Romario
Brasilien hat sich die letzten Jahre zur sechstgrößten Volkswirtschaft katapultiert. „Aber wenn Dein Sohn krank ist, bring ihn ins Stadion“, so steht es auf diesem Protestschild. Denn im Gesundheitswesen kam der Wirtschaftsaufschwung nicht an. Da hat sich nichts verbessert. Es ist marode und es fehlt an allem.
O-Ton Rodolfo Acatauassú. Krankenhausdirektor Rio
Massive Polizeieinsätze, Gewalt gegen die Protestierenden und Verletzte. Vielerorts standen den Demonstranten Polizeieinheiten gegenüber, die sonst die Drogenbanden bekämpfen. Dieses Vorgehen hätte zu der Gewaltspirale deutlich beigetragen, so die Protestbewegung.
Brasilien erlebt Massendemonstrationen. Über eine Million, die landesweit protestieren. Das gab es seit Jahrzehnten nicht. Auslöser waren die Preiserhöhungen des Nahverkehrs in Sao Paulo, die mittlerweile zurückgenommen wurden.
O-Ton Ricardo Ismael, Politologe PUC-Universität, Rio de Janeiro
Die Regierung hat nun Reformen angekündigt. Der Präsidentin gibt die Protestbewegung die Chance ihre Versprechen in Taten umzusetzen. Schließlich ist Dilma Rousseff nach wie vor populär, auch weil sie selbst in den Sechzigern gegen die damalige Militärregierung kämpfte.
Wut im WM Land. Die Brasilianer wollen Veränderungen und das schnell. Statt Stadien lieber Schulen. Der Ball liegt jetzt bei der Regierung.
O-Ton Demonstrant
O-Ton Demonstrant
Das Brasilienbild hat sich verändert. Und viele sagen, die Demokratie im Land sei durch die Proteste stärker geworden.
Autor: Michael Stocks, ARD Studio Rio de Janeiro
Stand: 15.04.2014 11:18 Uhr
Kommentare