So., 11.05.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Ukraine: Was geschah im Gewerkschaftshaus?
Es ist ein Geschichte, die aus wackeligen Bildern besteht. Die unscharf daherkommt, bruchstückhaft - mit Handyaufnahmen und Youtube-Videos. Bilder, die nicht alles beantworten, aber so drängende Fragen aufwerfen, dass diese Geschichte erzählt werden muss.
Timur Badschikow, Einwohner Odessas:
Es sind schwere Anschuldigungen, die vor dem Gewerkschaftshaus in Odessa erhoben werden. Bei allem, was man nicht weiß – soviel ist sicher: 46 Menschen starben hier - viele grausam verbrannt. Seit einer Woche ist es ein Ort der Trauer. Auch für Timur Badschikow. Er ist in der Stadt geboren, der Konflikt mit Russland war ihm lange egal. Doch seit einer Woche sieht er sein Land, die Ukraine, die Revolution hier mit anderen Augen.
Timur Badschikow, Einwohner Odessas:
Hat hier in Odessa wirklich ein Pogrom stattgefunden, wie es auch der Kreml behauptet? Die Videos zeigen, wie Brandsätze auf das Haus fliegen.
Voice-Over:
Springt doch, rufen sie hier den Menschen im brennenden Haus zu. Ein anderer: In Kiew haben sie unseren Aktivisten Leute die Köpfe abgehackt.
Die Aufnahmen zeigen rasende Wut im Inneren des Gebäudes. Sogar geschossen wurde auf das brennende Gebäude. Ein wütender Mob, der – soviel kann man schon dem Anschein nach sagen, nichts mit Selbstverteidigung zu tun hat, und mit friedlicher Revolution schon gar nicht.
Aber ist das die ganze Geschichte? Der Journalist Sergeij Dibrov hat an jenem Nachmittag gefilmt, acht, neun Stunden lang. Die Gewalt hat auch ihn schockiert, in Odessa, dieser Stadt, die sich selbst für so tolerant hält. Jetzt versucht er mit anderen Bürgern der Stadt die Vorgänge zu rekonstruieren.
Sergeij Dibrov, Journalist:
Sergeij Dibrov zeigt uns die Szenen – rekonstruiert aus hunderten Internetvideos: Schon Stunden vor dem verheerenden Brand hatte es in der Innenstadt von Odessa schwere Straßenschlachten gegeben – angezettelt den Bilder nach von Pro-russischen Separatisten. Oder dieser Ausschnitt: Noch vor dem Brand werden vom Dach des Gewerkschaftshauses Steine geworfen - auf die pro-ukrainischen Demonstranten. Wollte hier jemand den Angriff förmlich provozieren, fragt Sergeij?
Und auch das hier – zeigt er uns - ist Odessa am 2. Mai: Menschen versuchen mit Seilen und Bettüchern den Eingeschlossenen aus dem brennenden Haus zu helfen: Als wieder ein Molotow-Cocktail fliegt, gehen sie auf den Angreifer zu: Was machst du da, du Idiot? Szenen, die für Sergej zeigen: Vieles in diesem Konflikt hat mehr mit Psychologie als mit Politik zu tun.
Sergeij Dibrow, Journalist:
Die Katastrophe von Odessa: Sergeij Dibrow weiß, dass es dafür vielleicht Erklärungen gibt – aber sicher keine Rechtfertigung. Er spricht mit Polizisten, Demonstranten, Einsatzkräften. Schlicht die Fakten sammeln will er, möglichst schnell - auch wenn sie beschämend sind. Damit auf der Asche der Toten im Gewerkschaftshaus keine Verschwörungstheorien gedeihen. Und damit vielleicht schon der Vorwand für die nächste Katastrophe – in diesem so zerbrechlichen Land.
Autor: Markus Preiß/ARD Studio Moskau
Stand: 12.05.2014 09:42 Uhr
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