So., 25.11.12 | 19:20 Uhr
Ägypten: Gewalt gegen Frauen
Frauen schliessen sich zusammen
Kairo. Die erfolgreiche Revolution hat auf Kosten der Frauen stattgefunden. Wie eine ansteckende Krankheit breitet sich in der ägyptischen Hauptstadt männliche Machogewalt aus, überall in der Stadt - tagsüber, abends und nachts.
Spurensuche…
Bereits während der Revolution kommt es zu den ersten brutalen Übergriffen, eine Aktivistin wird von Dutzenden von Männern sexuell attackiert.
Mädchen
Tahrirplatz vor einem Monat: eine Journalistin wird von Männern begrabscht. Sie versuchen, die Französin auszuziehen, vor laufenden Kameras.
Sonia Dridi, Korrespondentin ‚France 24‘
Wie dramatisch die Lage mittlerweile geworden ist, dokumentiert die Frauenorganisation Harass-Map – übersetzt „Die Landkarte der Belästigungen“. Allein in den vier Tagen des islamischen Opferfestes vergangenen Monat wurden in Kairo rund 700 Übergriffe von Männern gezählt. Und die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein.
Rebekka Chiao, “Harass-Map”
Immer mehr Frauen beginnen, sich gegen die Gewalt zu wehren, und oft können sie dabei auf die Unterstützung von Männern bauen, beileibe nicht jeder Ägypter ist ein Angreifer. Gemeinsame Patrouillen der Gruppe Basma - übersetzt „Der Fingerabdruck“. Sie schützen Passantinnen vor Übergriffen und klären Männer auf. Die Aktivistinnen – allesamt Opfer – fühlten sich früher in ihren Selbsthilfegruppen wie in einer Blase aus Gleichgesinnten, ohne Bezug zur brutalen Realität auf den Straßen. Also nahmen sie sich ein Herz und beschlossen, selbst dorthin zu gehen.
Nihal Zaghloul
Bis in die Nacht stehen die Mitglieder der Gruppe auf dem Platz der Befreiung, sie kämpfen für ihre Menschenrechte. Ihre Befürchtung: die Zivilgesellschaft als solche ist mittlerweile in Gefahr.
Ältere Frau
Zu wenig Polizisten auf den Straßen seit der Revolution, das staatliche Chaos, die Anarchie im Alltag, das Fehlen moralischer Vorbilder, und die große sexuelle Frustration vieler Männer… Für den Soziologen Ahmed Hamid sind dies einige der Faktoren, die zu immer häufigerer Gewalt gegen Frauen führen.
Doch er hat noch eine weitere, aufsehenerregende Erklärung: das reaktionäre Welt- und Frauenbild der Sieger der ägyptischen Revolution.
Ahmed Yehia Hamid, Soziologe Suez-Universität
Wie stehen die angesehenen Imame in den Moscheen zu diesem Phänomen, das Ägypten innerlich zerfrisst? In seiner Freitagspredigt spricht Scheich Shahin das Thema in der bekannten Omar-Makram-Moschee direkt an, es prasselt Vorwürfe, der Imam ist beinhart mit den Tätern.
Scheich Mazhar Shahin, Omar Makram Moschee
Schön zu hören, doch viele Frauen haben ihr Vertrauen in die ägyptischen Männer verloren. Selbstverteidigungskurse boomen, Kick-Boxen, Karateschläge und Beinwürfe – besser als auf männliche Einsicht hoffen.
Auch Maria spielt mit dem Gedanken, sich in Nahkampf ausbilden zu lassen. Selbst hier, im vornehmen Viertel Maadi hatte eine Schar von Jugendlichen sie am helllichten Tag begrabscht! Doch das war nicht einmal das Schlimmste…
Mariya Veleva, Erzieherin
Frauen als Freiwild, sexuelle Belästigung im Alltag. In der ägyptischen Gesellschaft bis vor kurzem ein absolutes Tabu. Zum ersten Mal thematisiert wurden die Missstände im Spielfilm „6,7,8“. Gerade in Bussen und Metros finden die Übergriffe regelmäßig statt, die Frauen in Panik versetzen…
… und genau deshalb haben Frauenrechtlerinnen sich diese öffentliche Bühne für ihre künstlerischen Auftritte ausgesucht. Sie tragen Texte vor von Frauen, denen Männer Gewalt zugefügt haben, wie ihr eigenes Video zeigt. Oft passiert es, wie gerade hier dokumentiert, dass sie von traditionellen, oft verschleierten Frauen für ihre Offenheit beleidigt werden.
Mona El Shimi, Performance-Künstlerin
Frauen-Demo in Kairo, Ende Oktober. Ihre Befürchtung: dass die regierenden Islamisten die Hoffnung auf Demokratie und Rechtsstaat begraben, gerade nach den aktuellen Anordnungen von Muslimbruder Mursi. Die Frauen werden weiter machen, sie haben sich geschworen, nie mehr zu schweigen.
Autor: Thomas Aders
Stand: 25.06.2015 13:45 Uhr
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