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Tunesien - letzte Hoffnung Europa

Tunesien - letzte Hoffnung Europa | Bild: WDR

Ein Fischerboot verlässt den Hafen von Ellouza – harmlos sieht das aus, doch fast jeder hier kann dramatisches erzählen: nämlich vom Versuch, auf die italienische Insel Lampedusa zu gelangen. Die liegt nur 70 Seemeilen entfernt. Für die Fischer Malek und Bilal das gelobte Land. Die letzte Überfahrt endete kläglich - der Motor fiel aus, drei Tage lang trieben sie auf hoher See.

Malek Dahech

»Uns ging es richtig dreckig,“ erzählt Malek, „wir hatten kein Wasser und  nichts zu essen, und immer starken Wind. Erst nach drei Tagen hat uns die Küstenwache gesehen.«

Sie werden es wieder versuchen.

Bilal Betaief

»Nein, von der Gefahr lasse ich mich nicht abhalten,“ meint Bilal. „Ich will meinen Traum verwirklichen. Und ich weiß um das Risiko, aber das ist es mir wert.«

Eine Moschee, ein paar tausend Einwohner – Ellouza wäre nicht der Rede wert, wäre da nicht die Nähe zu Lampedusa. Selbst im Senegal soll der Ort bekannt sein, als Sprungbrett nach Europa.

Mit Malek und Bilal besuchen wir die Familie von Ayadi Ismail – dessen Söhne leben fast alle in Italien. Der alte Fischer ist verbittert.

Ayadi Ismail, Fischer

»Kommen Sie nur, sagt er uns, sehen Sie, wie wir leben müssen. Das ist eine Schande. Hier die Küche, es gibt keinen Strom, und kein Dach über dem Kopf.«

Und Betten haben sie auch keine, sie müssen auf dem Fußboden schlafen.

An eine Perspektive in Tunesien glaubt in diesem Haus keiner – die Euphorie nach dem arabischen Frühling ist verflogen.

Ayadi Ismail, Fischer

»Für unsere Kinder gibt es keine Zukunft, die stehen morgens früh auf, und haben nichts zu tun. Sie sitzen einfach nur rum, ohne nur einen einzigen Dinar zu verdienen.«

70 Seemeilen von Lampedusa
70 Seemeilen von Lampedusa

Wir zeigen der Familie Bilder von den Schiffsunglücken bei Lampedusa – natürlich haben die Tragödien der letzten Tage auch die Menschen an der tunesischen Küste erschüttert.

Doch sie sehen die Ereignisse mit einem für uns fast seltsamen Gleichmut – wer ein besseres Leben wolle, so hören wir es in Ellouza immer wieder, der müsse auch den Tod riskieren.

Ayadi Ismail, Fischer

»Natürlich habe ich Angst um meine Kinder,“ sagt Ayadi, „und  ich fühle mit den Eltern der Ertrunkenen. Aber ich kann meine Kinder nicht aufhalten.«

Ilyes Ismail

»Ich will weg,«

sagt sein jüngster Sohn,

»in Europa ist es einfach besser. Ich kenne einige Freunde, die waren dort, und die sind mit Geld und einem Auto zurückgekommen.«

Unwirklich erscheint das Mittelmeer
Unwirklich erscheint das Mittelmeer

Dorfvorsteher bringen uns zur einzigen Fabrik in Ellouza, oder was davon noch übrig geblieben ist. Fischkonserven für den Export in die Europäische Union wurden hier hergestellt – bis die Firma vor Jahren geschlossen wurde. Grund: der Betrieb entsprach nicht den Produktionsnormen der EU. Nun bleibe der Jugend doch erst recht nur noch der Weg übers Meer, sagt man uns empört.

Khafi Ellouzi, Dorfkomitee Ellouza

»Das war für uns eine Katastrophe,«

sagt Khafi Ellouzi,

»300 Jobs für Frauen und Männer sind mit einem Mal verloren gegangen, nun gibt es nur noch Arbeitslosigkeit.«

Die Clique von Malik verbringt den Tag meist im Café oder am Strand – viele von ihnen haben einen Schulabschluss, manche sogar studiert – in Tunesien sind es gerade auch die Gebildeten, die auf die andere Seite des Meers wollen.

Malek Dahech

»In Tunesien wird sich nichts bewegen, die Politiker hier tun nichts für uns,«

sagt Malik.

»Deswegen will ich nach Europa.«

Der Jugend  bleibt nur der Weg übers Meer
Der Jugend bleibt nur der Weg übers Meer

In der Hauptstadt Tunis kümmern sich Hilfsorganisationen um tausende von Landsleuten, die die gefährliche Reise Jahr für Jahr unternehmen. Und sie machen auf das Schicksal von vielen Verschwundenen aufmerksam – verschollen im Mittelmeer.

Die Haltung Europas nach der Tragödie von Lampedusa wird hier als zynisch verurteilt.

Alaa Talbi, Sozialforum Tunesien

»Europa fehlt der Wille, eine wirkliche Lösung zu finden. Europa geht es nur um den Ausbau seiner Grenzsicherung, aber das kann keine Lösung sein.«

An der Küste treffen wir noch einen ehemaligen Schlepper -Ali Ben Brahim zeigt uns einen Sammelpunkt außerhalb von Ellouza – von hier aus hat er Illegale aus dem Senegal, Marokko und Tunesien zu seinem Boot und dann nach Lampedusa gebracht, für tausend Euro pro Person – ein lukratives Geschäft. Ali saß dafür lange im Gefängnis, diese Zeit hat ihn verändert.

Ali Ben Brahim, ehemaliger Schlepper

»Die Reise nach Europa lohnt sich nicht, das sage ich jedem. Ohne Papiere findest Du keinen Job, und dann bleibt Dir nur noch der Drogenhandel, die Kriminalität.«

Solche Einsichten können junge Leute wie Malik nicht stoppen. Mit diesem kleinen Boot wollen er und seine Kumpel in den nächsten Wochen die Überfahrt noch einmal wagen.

Malek Dahech

»Wir sehen uns in Italien«

ruft uns Malik scherzhaft zu.

Dann starten sie den Motor für eine Probefahrt. Unwirklich ruhig und idyllisch erscheint das Mittelmeer, dabei wird es in diesen Tagen doch immer mehr zur tödlichen Falle.

Autor: Stefan Schaaf, ARD Studio Madrid

Stand: 15.04.2014 11:02 Uhr

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