So., 13.10.13 | 19:20 Uhr
Tunesien - letzte Hoffnung Europa
Ein Fischerboot verlässt den Hafen von Ellouza – harmlos sieht das aus, doch fast jeder hier kann dramatisches erzählen: nämlich vom Versuch, auf die italienische Insel Lampedusa zu gelangen. Die liegt nur 70 Seemeilen entfernt. Für die Fischer Malek und Bilal das gelobte Land. Die letzte Überfahrt endete kläglich - der Motor fiel aus, drei Tage lang trieben sie auf hoher See.
Malek Dahech
Sie werden es wieder versuchen.
Bilal Betaief
Eine Moschee, ein paar tausend Einwohner – Ellouza wäre nicht der Rede wert, wäre da nicht die Nähe zu Lampedusa. Selbst im Senegal soll der Ort bekannt sein, als Sprungbrett nach Europa.
Mit Malek und Bilal besuchen wir die Familie von Ayadi Ismail – dessen Söhne leben fast alle in Italien. Der alte Fischer ist verbittert.
Ayadi Ismail, Fischer
Und Betten haben sie auch keine, sie müssen auf dem Fußboden schlafen.
An eine Perspektive in Tunesien glaubt in diesem Haus keiner – die Euphorie nach dem arabischen Frühling ist verflogen.
Ayadi Ismail, Fischer
Wir zeigen der Familie Bilder von den Schiffsunglücken bei Lampedusa – natürlich haben die Tragödien der letzten Tage auch die Menschen an der tunesischen Küste erschüttert.
Doch sie sehen die Ereignisse mit einem für uns fast seltsamen Gleichmut – wer ein besseres Leben wolle, so hören wir es in Ellouza immer wieder, der müsse auch den Tod riskieren.
Ayadi Ismail, Fischer
Ilyes Ismail
sagt sein jüngster Sohn,
Dorfvorsteher bringen uns zur einzigen Fabrik in Ellouza, oder was davon noch übrig geblieben ist. Fischkonserven für den Export in die Europäische Union wurden hier hergestellt – bis die Firma vor Jahren geschlossen wurde. Grund: der Betrieb entsprach nicht den Produktionsnormen der EU. Nun bleibe der Jugend doch erst recht nur noch der Weg übers Meer, sagt man uns empört.
Khafi Ellouzi, Dorfkomitee Ellouza
sagt Khafi Ellouzi,
Die Clique von Malik verbringt den Tag meist im Café oder am Strand – viele von ihnen haben einen Schulabschluss, manche sogar studiert – in Tunesien sind es gerade auch die Gebildeten, die auf die andere Seite des Meers wollen.
Malek Dahech
sagt Malik.
In der Hauptstadt Tunis kümmern sich Hilfsorganisationen um tausende von Landsleuten, die die gefährliche Reise Jahr für Jahr unternehmen. Und sie machen auf das Schicksal von vielen Verschwundenen aufmerksam – verschollen im Mittelmeer.
Die Haltung Europas nach der Tragödie von Lampedusa wird hier als zynisch verurteilt.
Alaa Talbi, Sozialforum Tunesien
An der Küste treffen wir noch einen ehemaligen Schlepper -Ali Ben Brahim zeigt uns einen Sammelpunkt außerhalb von Ellouza – von hier aus hat er Illegale aus dem Senegal, Marokko und Tunesien zu seinem Boot und dann nach Lampedusa gebracht, für tausend Euro pro Person – ein lukratives Geschäft. Ali saß dafür lange im Gefängnis, diese Zeit hat ihn verändert.
Ali Ben Brahim, ehemaliger Schlepper
Solche Einsichten können junge Leute wie Malik nicht stoppen. Mit diesem kleinen Boot wollen er und seine Kumpel in den nächsten Wochen die Überfahrt noch einmal wagen.
Malek Dahech
ruft uns Malik scherzhaft zu.
Dann starten sie den Motor für eine Probefahrt. Unwirklich ruhig und idyllisch erscheint das Mittelmeer, dabei wird es in diesen Tagen doch immer mehr zur tödlichen Falle.
Autor: Stefan Schaaf, ARD Studio Madrid
Stand: 15.04.2014 11:02 Uhr
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