Fr., 21.06.19 | 12:38 Uhr
Sri Lanka: Christen und Muslime kämpfen gegen Islamisten
Es ist noch früh am Morgen in Batticaloa. Die katholischen Mönche versammeln sich zum Gebet. Seit dem Anschlag auf die Zions-Kirche der Stadt am Ostersonntag ist es mehr als ein Ritual. In der kleinen Stadt in der Ostprovinz Sri Lankas ist es äußerlich ruhig, doch zur Ruhe gekommen ist die Provinz noch nicht.
Christen kämpfen gegen die Angst in der Stadt
Die katholischen Brüder waren mit die ersten, die nach dem Selbstmordanschlag den Verletzten zu Hilfe eilten. Jetzt versuchen sie den Traumatisierten zu helfen. Sie betreiben auf ihrem Gelände eine Vorschule. Die haben sie zum Anlaufzentrum für die Opfer des Anschlags gemacht. Die Christen kämpfen gegen die Angst in der Stadt: "Unsere Lehrer kümmern sich normalerweise um unsere Kinder. Aber jetzt machen wir mehr. Wir arbeiten mit den Leuten hier im Ort. Wir machen sie auf ihr Trauma aufmerksam und geben ihn Informationen, wie dieses Trauma zu bewältigen ist", erklärt Bruder Wilfred Mariathas Michael von der Bruderschaft der Nächstenliebe in Batticaloa.
Die Eltern bringen ihre Kinder am Morgen zum Spielplatz neben der Vorschule auf dem Gelände der Bruderschaft. Jeder kann kommen, Religion spielt keine Rolle. Nach den Anschlägen am Ostersonntag ließen viele Eltern ihre Kinder nicht mehr aus dem Haus. Brigita Thevakumar war mit ihren Kindern in der Zionskirche von Batticaloa während des Selbstmordattentats. Seitdem kann sie kaum sprechen, sie hört schlecht: "Da ist immer die Furcht, dass noch mehr passieren könnte. Davor habe ich Angst. Das ist immer in meinem Kopf und es ist schwierig, einmal nicht daran zu denken. Die Erinnerungen kommen immer wieder."
"Wir hassen nicht, weil wir tief an Jesus glauben"
Shalisha singt für ihre Schwester Sahra und ihren Bruder Sharon. Sie wurden getötet, als der Selbstmordattentäter sich während des Kindergottesdienstes in der Zionskirche in die Luft sprengte. An diesem Tag war ihr Onkel Stanley der Pfarrer in der Kirche. Die Familie versucht irgendwie weiter zu leben. Obwohl sie erst viereinhalb Jahre ist, versteht die Kleine was passiert ist. Sie weiß, dass nicht nur Sarah und Sharon, sondern 29 Kinder dieses Gottesdienstes nicht mehr am Leben sind. Sie sagt, ihre Geschwister seien im Himmel. Dort gehe es ihnen gut. Der Glaube gibt der Familie Halt.
"Wir glauben stark daran, was Jesus sagt: 'Liebe deine Feinde'. Wir hassen nicht, weil wir tief an Jesus glauben", erklärt Stanley Nagamuthu, Pfarrer der Zions-Kirche Batticaloa.
Wahabisten und Sufis: Streit um Auslegung des Korans
Der Angriff kam von Männern um Zahran Hashim, mutmaßlicher Kopf und Anführer der Selbstmordattentäter am Ostersonntag. Er ist in Batticaloa gut bekannt, denn er hat in der Nachbarstadt Kattankudy gelebt und hier den Koran studiert. In Kattankudy wohnen fast ausschließlich Muslime. Die Mehrheit ist in den letzten Jahrzehnten zum Wahhabismus übergewechselt, der strengen Richtung des Islam, der aus Saudi-Arabien nach Sri Lanka gelangt ist.
Einst folgten sie hier alle der gemäßigten Sufi-Tradition, jetzt sind sie die Minderheit. Die Sufi-Gemeinde hat jahrelang in Angst gelebt. Sie seien Gewalt ausgesetzt gewesen und attackiert worden. Der Grund: Es tobt ein Streit zwischen Wahhabisten und Sufis um die Auslegung des Korans. Die Sufi-Gemeinde zeigt uns Fotos. Sie sollen belegen, dass sie von den radikalen Wahhabisten angegriffen worden sind. Der Drahtzieher im Hintergrund: Zahran Hashim. Die Sufis protestierten öffentlich gegen ihn, informierten den muslimischen Gouverneur der Provinzregierung, aber nichts passierte. Wer über den Konflikt redete, begab sich in Gefahr. "In den Schulen passiert folgendes: In öffentlichen Aushängen werden unsere Namen genannt. Und zwar mit dem Zusatz: Diese Leute werden ermordet – im Namen des Islam. Das passiert in den Schulen. Ich habe das selbst erlebt", erzählt Hussain Nifras, Software-Ingenieur aus Kattankudy.
Sufis und Christen wollen den Dialog
Die Sufis fühlen sich als Muslime verantwortlich für das, was in der Nachbarstadt den Christen angetan worden ist. Und sie wollen den Konflikt in der muslimischen Gemeinschaft beilegen. "Unser Ziel ist es unsere Sufi-Grundsätze unter den Muslimen zu verbreiten. Dazu gehört es, friedlich zu leben, in Koexistenz", sagt Pressesprecher Hayathu Muhammad Ameer.
Für seine Stadt hat Hayathu Muhammad Ameer einen Traum: Er steht auf dem Dach der neuen Moschee der Sufi-Gemeinde. Sie soll die größte in der Stadt werden. Hier wollen die Sufis ihre Kinder unterrichten. Nur durch Bildung ließe sich die radikal-konservative Auslegung des Islam zurückdrängen. Und den Christen in der Nachbarschaft bieten sie den Dialog an.
Genau das will auch die katholische Bruderschaft. Die Angst müsse gemeinsam bekämpft werden. Das sei eine Frage der Humanität, sagt der Prior. Die Christen und Muslime Sri Lankas sollten sich mit allen anderen Religionsgemeinschaften an einen Tisch setzen, um in dem Land dauerhaft den Frieden zu sichern.
Autorin: Sibylle Licht, ARD Studio Neu-Delhi
Stand: 21.06.2019 13:31 Uhr
Kommentare