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China: Deutsches Lieferkettengesetz gegen Zwangsarbeit in China?

PlayAußenansicht der chinesischen Firma JinkoSolar.

Seit dem 1. Januar gilt in Deutschland das Lieferkettengesetz. Große Unternehmen müssen nachprüfen, ob alle ihre Zulieferer Umwelt- und Sozialstandards einhalten. Auch die Überprüfung möglicher Zwangsarbeit gehört dazu. Doch wie lässt sich das in Regionen umsetzen, in den Zwang und Unterdrückung normal sind?

Landeanflug auf Xinjiang, der muslimisch geprägten Provinz ganz im Westen von China. Wir sind unterwegs auf einer heiklen Recherchereise. Journalisten sind in dieser Region nicht erwünscht. Die muslimischen Uiguren und andere Minderheiten werden hier systematisch unterdrückt. Satellitenaufnahmen von Lagern und heimlich aufgenommene Videos legen nahe, dass zeitweilig 1,5 Millionen Menschen weggesperrt waren.

Urumqi: Jeder Schritt wird überwacht

Die Stimmung in der Hauptstadt Urumqi ist bedrückend. Überall sehen wir Polizeistationen – so viele, dass sie oftmals in Sichtweite zueinander stehen. Und immer wieder gibt es auch Polizeikontrollen. Jeder Schritt wird überwacht. Der Zugang zu einer Seitenstraße etwa. Er führt durch eine Polizeistation. Nur nach einem Gesichts-Scan geht es weiter. Wir werden hier nicht durchgelassen. Auch der Eingang zum Park ist abgesichert wie ein Flughafen. Jede Tasche muss durchleuchtet werden. Die Gesichtserkennung erfasst jeden.

Über Handy sind wir verbunden mit Abduweli Ayup. Er ist Uigure und hat die Flucht ins sichere Norwegen geschafft. Hier in der Straße hat er gelebt. Aber seit seiner Flucht vor sieben Jahren hat er keinen Kontakt mehr zur Heimat. Für Uiguren hier ist es gefährlich, mit einem Ausländer zu reden oder ins Ausland zu telefonieren. "Wenn sie mit dir sprechen, bringen sie sich in Gefahr. Wenn ein Uigure mit einer ausländischen Journalistin spricht, muss er drei Monate ins Lager. Das ist die Regel", sagt Abduweli Ayup. Er war 15 Monate in China in einem Lager eingesperrt. Sein Vergehen: Er hat Kindern die uigurische Sprache beigebracht: "Es gibt 48 Gründe, warum du in Haft kommen kannst. Sie decken alle Lebensbereiche ab. Und alles nur, weil du Uigure bist."

Elf Stunden im Lager arbeiten

Ein Mann gibt ein Interview über ein Handy-Videoanruf.
Abduweli Ayup war 15 Monate in einem Lager eingesperrt.

Wir wollen zu einem Lager im Norden der Region. Schon am Flughafen werden wir von der Polizei abgefangen. Die Beamten nehmen unsere Personalien auf, fotografieren unseren Pass. Auf uns warten in der Ankunftshalle Angestellte der Stadt. Unsere Reise ist niemandem verborgen geblieben. Überall herrscht Überwachung, ständig werden wir verfolgt.

In Tacheng an der Grenze zu Kasachstan war Erbakit Ortabay vor sechs Jahren in einem Lager eingesperrt. Ihm wurde vorgeworfen, WhatsApp auf sein Handy runtergeladen zu haben. Wir treffen ihn in London. Im Lager sei er zur Arbeit gezwungen worden, elf Stunden am Tag habe er nähen müssen: "Sie haben uns genaue Produktionsvorgaben gemacht. Neben mir saß jemand, der alt war und deshalb nicht schnell genug gearbeitet hat. Zur Strafe haben sie ihn an einen eisernen Folterstuhl gekettet. Er hat nur ein kleines Stück gedämpftes Brot am Tag bekommen. So saß er da 15 Tage."

Wir fahren zu dem Lager. Chinas Regierung behauptet, es gäbe diese Camps nicht mehr. Vor Ort warten offenbar schon Aufpasser auf uns. Wir dürfen nicht anhalten, filmen sei strengstens verboten, weil es ein Militärgelände ist, sagt der Mann uns. Wir zeigen Erbakit Ortabay die Aufnahmen: "Das ist das Lager dort. Sie haben das Äußere verändert, aber innendrin ist es immer noch dasselbe. Wenn du fragen würdest, können wir mal rein gucken, würden sie dich niemals reinlassen. Das sind Lügner!"

Lieferkettengesetz kaum umsetzbar

So wie Erbakit Ortabay zwingt die chinesische Regierung viele Zehntausende der uigurischen und kasachischen Minderheit zur Arbeit. Auch für Waren, die dann in Deutschland verkauft werden. Zwangsarbeit in Produkten für den deutschen Markt. Das wollte der deutsche Gesetzgeber verhindern. Seit diesem Jahr gilt das sogenannte Lieferkettengesetz. Unternehmen müssen alle Schritte ihrer Produktion auf Sozial- und Umweltstandards überprüfen – auch auf Zwangsarbeit. Aber wie kann das in China umgesetzt werden? "Sie behaupten, es gäbe keine Zwangsarbeit. Aber wie kann man ihnen vertrauen?", sagt Abduweli Ayup.

Wir können mit einem Unternehmensprüfer sprechen, der schon mehr als 100 Mal in China war. Auch in Xinjiang – aber das sei inzwischen zu gefährlich. Er spricht nur anonym mit uns, um seine chinesischen Kollegen zu schützen. "Ich kenne Firmen, die dort Unternehmen geprüft haben. Aber danach hat die chinesische Polizei oder Geheimdienst die Mitarbeiter zu Hause aufgesucht. Überprüfungen sind zwar theoretisch möglich, aber mit jedem Monat schwieriger geworden."

In Xinjiang ist die Unterdrückung perfektioniert

Außenansicht der chinesischen Firma JinkoSolar.
Nur wenige Hundert Meter entfernt von der Solarfirma JinkoSolar befinden sich zwei riesige Lager.

Dabei wäre eine Prüfung auf Zwangsarbeit in Xinjiang gerade jetzt besonders wichtig. Die Region ist fast unersetzlich für unsere Energiewende. Die weltweit größten Hersteller von Photovoltaik-Materialien sind hier beheimatet – etwa JinkoSolar. Satellitenaufnahmen zeigen: Nur wenige Hundert Meter entfernt von der Solarfirma befinden sich zwei riesige Lager. Vor Ort sehen wir die hohen Mauern, Wachtürme, doppelter Stacheldraht. Werden von hier Arbeiter in die Fabriken gebracht? Mit unseren Recherchen kommen wir nicht weiter. Die Polizei nimmt uns mit auf die Wache.

Zurück in Peking: Dort treffen wir den Vertreter der deutschen Wirtschaft. Er macht wenig Hoffnung, dass durch das neue Gesetz Verstrickungen deutscher Unternehmen mit Zwangsarbeit aufgedeckt werden. "Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Sie können auf die Instrumente zurückgreifen, die zur Verfügung stehen. Sie können womöglich – wo es möglich ist, Audits durchzuführen, Selbstauskünfte, Verhaltenskodizes", erklärt Jens Hildebrandt, Geschäftsführer AHK China.

Selbstauskünfte, Verhaltenskodizes? Für Erbaqit Ortabay ist so ein Gesetz wertlos. "Es müsste Untersuchungen geben. Es sollte belegt werden müssen, dass keine Zwangsarbeit zum Einsatz kam." In Xinjiang ist die Unterdrückung perfektioniert. Unabhängige Recherchen nach Zwangsarbeit sind unmöglich. Wir werden bis zum Abflug-Gate am Flughafen von der Polizei begleitet.

Autorin: Tamara Anthony, Florian Guckelsberger und Manuel Daubenberger, ARD-Studio Peking

Stand: 27.03.2023 08:44 Uhr

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