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Westjordanland/palästinensische Gebiete: Die Waisenkinder von Bethlehem

Westjordanland/palästinensische Gebiete: Die Waisenkinder von Bethlehem | Bild: NDR

Schwester Denise ist froh und traurig zugleich: Mit ihren Helferinnen konnte sie wieder ein Baby retten. Ein zwei Monate altes Mädchen – verstoßen von der palästinensischen Gesellschaft. Wir nennen es Larin. "Die Kleine hat Hunger und will an Mamis Brust. Ich fühle so mit ihr", sagt Schwester Denise.

"Meine Arbeit ist sehr hart, aber auch erfüllend"

Larins 19 Jahre alte Mutter hat gegen die Zwangsehe mit einem doppelt so alten Mann rebelliert. Sie wurde außerehelich schwanger. Die Strafe: zwei Jahre Haft. Ihr Baby muss sie weggeben. Gerade hat Schwester Denise das Kind aus dem Gefängnis geholt. "Meine Arbeit ist sehr hart, aber auch erfüllend. Jedes Mal wenn wir ein neues Kind bekommen, konnten wir immerhin sein Leben retten. Aber alle dieser Kinder wurden den Armen ihrer Mütter entrissen. Sie müssen ohne Eltern aufwachsen, wie ein Baum ohne Wurzeln. Es ist eine so ungerechte Gesellschaft. Ungerecht vor allem gegenüber Frauen. Egal, was man ihnen angetan hat, die Frauen haben immer Schuld. Und die Opfer sind die Kinder." Das Ziel ihrer Fahrt ist Betlehem im palästinenischen Westjordanland. Das Gesetz, das hier gilt, richtet sich nach der islamischen Scharia. Auf Ehebruch steht Gefängnis und Kindesentzug.

Bereits 20 Babys in diesem Jahr aufgenommen

Zwei Babys liegen in ihren Betten
Religion, Rasse oder Hautfarbe der Babys spielt für die Schwestern keine Rolle. | Bild: NDR

In der biblischen Geburtsstadt Jesu betreibt die katholische Frauengemeinschaft der Vinzentinerinnen seit 1885 das erste Waisenhaus im Heiligen Land und das bisher einzige in den palästinensischen Gebieten, das Babys unmittelbar nach der Geburt aufnimmt. Die Kinderkrippe der Heiligen Familie. Hier wird die kleine Larin die erste Nacht ohne ihre leibliche Mutter verbringen – und wohl bleiben, bis sie in die Schule kommt. Viele der Kinder hat Schwester Denise wie Larin kurz nach ihrer Geburt abgeholt. Andere hat sie vor der Tür ihrer Kapelle gefunden. Wieder andere wurden hier geboren und zurückgelassen, oft von unverheirateten Frauen, die Angst hatten wegen dieser Schande von ihrer Familie getötet zu werden. Zum Schutz der Frauen und Kinder nennt sie keine Details. Auch wir dürfen das nicht. "Dieses Jahr war ein Rekord. In den vergangenen hatten wir jeweils 15 oder 16 Babys. In diesem Jahr bereits 20", sagt Schwester Denise.
 
Das Waisenhaus zur Heiligen Familie in Bethlehem führen vier Schwestern des Vizentiner-Ordens, ihnen stehen rund 50 freiwillige Pflegerinnen zur Seite. Etwa 100 Kinder haben sie derzeit. Knapp die Hälfte davon sind Waisenkinder. Die anderen kommen aus problematischen Familien und werden in der Krippe tagsüber betreut. Viele sind Opfer von psychischer und/oder physischer Gewalt. Einige sind körperlich oder geistig behindert – oft die Folge von Medikamentenmissbrauch oder verzweifelten Abtreibungsversuchen.

"Wir sind alle eine Familie"

Schwester mit einem Baby auf dem Arm
Vier Schwestern des Vizentiner-Ordens führen das Waisenhaus. | Bild: NDR

Schwester Denise ist vor 20 Jahren aus dem Libanon zunächst nach Jerusalem gekommen. Seit zwei Jahren leitet sie das Waisenhaus in Bethlehem. "Wir sind alle eine Familie. Wir versuchen diese Kinder großzuziehen und ihnen Werte zu vermitteln. Dabei spielt es für uns überhaupt keine Rolle, dass die meisten muslimische Kinder sind. Wir fragen uns nicht, welcher Religion, Rasse oder Hautfarbe jemand angehört, wenn er Hilfe braucht."

Eine große Rolle spielt die Religion aber, wenn es um die Frage einer möglichen Adoption geht. Nach islamischem Recht dürfen die Schwestern ein muslimisches Kind nicht zur Adoption freigeben. Auch Larins leibliche Mutter darf ihr Kind nicht wieder zu sich zu holen, wenn sie aus dem Gefängnis entlassen wird.

In wenigen Tagen werden die Waisenkinder Weihnachten feiern. „Aber hier bei uns in der Kinderkrippe ist ja eigentlich jeden Tag Weihnachten!“, freut sich Schwester Denise, in Bethlehem, dem Geburtsort Jesu. Die frauen- und kinderverachtenden Gesetze kann Schwester Denise nicht ändern, aber immerhin deren Auswirkungen ein wenig lindern.

Autorin: Dr. Susanne Glass, ARD-Studio Tel Aviv

Stand: 13.07.2019 12:24 Uhr

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