Flick – noch immer ein Stück Gegenwart

Von Dr. Tim Schanetzky, Historisches Institut Universität Jena

Dr. Tim Schanetzky
Dr. Tim Schanetzky  | Bild: SWR

Jahrzehnte nach dem Tod des Gründers und ein Vierteljahrhundert nach dem Verkauf des Konzerns ist die Auseinandersetzung mit den Flicks noch immer ein Stück Gegenwart.

Die unternehmerische Geschichte der Flicks endet in der Silvesternacht 1985/86, als die Deutsche Bank den Industriekonzern für 4,85 Milliarden Mark übernimmt. Friedrich Karl Flick macht Kasse und entledigt sich der schweren Last, die ihm das Erbe immer gewesen war.

Weil dieses Milliardengeschäft einen Familienstreit auslöst, interessiert sich die Wirtschaftspresse ein letztes Mal für die Flicks. Die Neffen Gert-Rudolf und Friedrich Christian Flick verlangen einen Anteil am Verkaufserlös; 1975 hatten sie auf ihr Erbe verzichtet und waren dafür finanziell abgefunden worden. Jetzt soll ihr Onkel einen kräftigen Nachschlag zahlen. Dieser geht zwar auf die Forderung ein und bietet fast eine Viertelmilliarde Mark.

Als die Neffen aber eine weitere Aufstockung verlangen, kommt es zum offenen Schlagabtausch, der 1989 mit einem Vergleich endet.

Danach tritt die Familie unternehmerisch nie mehr hervor. Und doch stehen die Nachkommen noch immer im langen Schatten des Konzerngründers Friedrich Flick. Natürlich fasziniert ein Milliardenvermögen das Publikum, und bis heute liefern einige Erben den bunten Blättern mit Ballauftritten oder Traumhochzeiten bereitwillig Anlass zur Berichterstattung.

Aber sie haben auch lernen müssen, dass der Name Flick weiter Anstoß erregt und Fragen nach ihrer historischen Verantwortung aufwirft. Während es Friedrich Karl Flick gelungen war, die unterschriftsreife Entschädigung für eine geringe Zahl ehemaliger Zwangsarbeiterinnen – dem väterlichen Beispiel folgend – auszusitzen, sieht sich die dritte Generation mit kritischen Fragen konfrontiert.

Kurz darauf passiert dem Kunstsammler Friedrich Christian Flick Ähnliches. Er will seine Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich machen und seinen Kindern eine "sinnvolle Möglichkeit zur neuen Identifikation mit unserem Namen" schaffen, wie er 1997 seinem Onkel schreibt.

Drei Jahre später geht er mit seinen Plänen an die Öffentlichkeit: Im Münchner Haus der Kunst sollen 2002 die ersten Stücke aus der "Flick Collection" gezeigt, schon 2003 ein Museumsneubau in Zürich eröffnet werden. Da ist die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" noch kein halbes Jahr alt, und die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft hat noch immer große Mühe, ihren Anteil an der Zwangsarbeiter-Entschädigung aufzubringen. Selbstverständlich waren auch die beiden Flick-Enkel persönlich aufgefordert worden, in den Fonds einzuzahlen.

Dass Friedrich Christian Flick sich weigert, verschärft die Kritik. Dieser ist sich zwar seiner "besonderen Verantwortung" bewusst. Wie er aber mit der Familiengeschichte umgehe, habe mit seiner Sammlung nichts zu tun. Freilich hatte Flick genau diesen Zusammenhang selbst hergestellt, sollte doch die Ausstellung der "dunklen Seite der Familiengeschichte eine hellere" hinzufügen.

Obwohl der Sammler eine Stiftung gegen "Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz" errichtet, scheitert das Zürcher Museumsprojekt ebenso am Protest von Künstlern und Intellektuellen wie die Probeausstellung in München. In Berlin hingegen bekommt er sofort politische Rückendeckung von Gerhard Schröder, und so unterschreiben Flick und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Januar 2003 einen Vertrag, der die "Flick Collection" für zunächst sieben Jahre in die Bundeshauptstadt bringt.

Auch dort beginnt sofort eine hitzige Debatte, die den früheren Auseinandersetzungen gleicht. Erneut geht es um die Verweigerung von Entschädigungszahlungen; daneben steht der Verdacht im Raum, dass rot-grüne Geschichtspolitiker die Konturen einer "Berliner Republik" schärfen wollen, die mit der Vergangenheit abzuschließen gedenkt.

Der Streit eskaliert und lässt Differenzen zwischen den Flick-Erben publik werden. Dagmar Ottmann, die jüngere Schwester von Gert-Rudolf und Friedrich Christian Flick, verwahrt sich in einem offenen Brief gegen die pauschale Beschuldigung aller Familienmitglieder. Sie selbst habe bereits Anfang 2001 in den Zwangsarbeiterfonds eingezahlt – anonym, um ihre Brüder nicht öffentlich bloßzustellen.

Ottmanns Vorschlag, die Ausstellung zu vertagen und zunächst die Ergebnisse eines von ihr angestoßenen Forschungsprojekts abzuwarten, hat keinen Erfolg.

Im September 2004 eröffnet der Bundeskanzler die "Friedrich Christian Flick Collection" und vollzieht in seiner Eröffnungsrede eine erstaunliche Volte.

Schröder erklärt die Debatte plötzlich zum eigentlichen Zweck des Projekts, zeige sie doch gerade, dass nichts "totgeschwiegen oder in die Geschichtsbücher verbannt" werden solle. Tatsächlich sind die Kontroversen Teil einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, die gar nicht abgeschlossen werden kann.

So ist es auch kaum verwunderlich, dass immer wieder neue Flick-Debatten entstehen: Sei es, dass die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Friedrich Flick öffentlich in Frage gestellt wird, sei es, dass sich die Bürger in dessen Geburtsort Kreuztal über der Umbenennung des Friedrich-Flick-Gymnasiums zerstreiten, sei es, dass sich die Stadträte im Oberpfälzer Städtedreieck weigern, die Erinnerung an den früheren Arbeitgeber zu tilgen und die dortigen Friedrich-Flick-Straßen umzubenennen.

Und während Friedrich Christian Flick ein halbes Jahr nach Ausstellungseröffnung fünf Millionen Euro in den Zwangsarbeiterfonds zahlt, hört man von der Linie des 2006 verstorbenen Friedrich Karl Flick in dieser Hinsicht gar nichts.

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