Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 08.11.2023

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Sonja Zekri, Dirk Roßmann, Hubert Aiwanger, Petra Gerster, Robin Alexander, Ricarda Lang
Die Gäste (v.l.n.r.): Sonja Zekri, Dirk Roßmann, Hubert Aiwanger, Petra Gerster, Robin Alexander, Ricarda Lang | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Welche Herkunft haben die Menschen, die seit letztem Jahr nach Deutschland gekommen sind?
  • Widerspricht es der Genfer Flüchtlingskonvention, Menschen an der Grenze ohne Asylverfahren abzuweisen?
  • Hat die Grünen-Bundesgeschäftsführerin gesagt, man müsse sich die Demokratie "zurückerobern"?
  • Gibt es methodische Verzerrungen in der BKA-Statistik zu politisch motivierter Kriminalität?

Welche Herkunft haben die Menschen, die seit letztem Jahr nach Deutschland gekommen sind?

Die Grünen-Parteivorsitzende Ricarda Lang und der stellvertretende Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Bayerns Hubert Aiwanger (Freie Wähler) diskutierten in der Sendung u.a. über die Migrationspolitik. Hier blieben am Ende Unklarheiten darüber, woher die Menschen stammen, die seit dem letzten Jahr nach Deutschland gekommen sind. Die konkreten Zahlen schauen wir uns hier noch einmal genauer an.

Diskussion um Migrationspolitik: Welche Herkunft haben die Menschen, die seit letztem Jahr nach Deutschland gekommen sind?

Aiwanger: "Man sieht ja diese aggressiven Demos, die wir die letzten Wochen gesehen haben mit überwiegend auch islamistischen Elementen dabei, die hier wirklich aggressiv gegen Israel vorgehen, die gegen israelische Einrichtungen hier vorgehen. Das ist Unsinn, den wir uns ins Land geholt haben. Wir haben uns Antisemitismus ins Land geholt, importiert, ohne Not."

(…)

Lang: "Es gibt die Möglichkeit der Ausweisung innerhalb unseres Rechtsstaats. Ich will aber auch sagen, man macht es sich zu leicht, wenn man so tut, als ob sich ein Problem einfach wegschieben lässt. Wir reden über Menschen, die häufig nicht seit ein paar Monaten hier leben, sondern in der zweiten, in der dritten, in der vierten Generation hier leben, die den deutschen Pass haben. Das heißt, wir haben ein Problem hier in Deutschland. Und ich finde da brauchen wir eine Mischung. Innenpolitische Härte, Vereinsverbote durchsetzen auf der einen Seite, aber auch Integrationsbemühungen."

Aiwanger: "Aber es kommen täglich 1.000 neue [Menschen] hinzu."

Lang: "Wir müssen es ja hinbekommen, [die] Staatsräson, [den] Schutz Israels, das in einer Einwanderungsgesellschaft nicht als frommen Wunsch, sondern wirklich zur Realität werden zu lassen."

Aiwanger: "Wir haben eine Zuwanderung derzeit von rund 1.000 Menschen pro Tag. Über 300.000 werden in diesem Jahr nach Deutschland kommen. Viele aus diesen Kulturkreisen. Und viele werden auffällig, bis hin zu Gewalttaten nicht nur im Hinblick auf Antisemitismus, sondern auch Schlägereien, Gewalttaten und so weiter. Und diese Menschen, da tun Sie zu wenig als Ampel, um die wieder außer Landes zu bekommen oder gar nicht erst ins Land zu lassen."

Lang: „Der große Teil der Menschen, [die] im letzten Jahr zu uns gekommen [sind], kam aus der Ukraine. Wo wir uns als Deutschland richtigerweise entschieden haben…"

Aiwanger: "Plus viele andere."

Lang: "…die sehr schnell in Schutz zu bringen aufgrund des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Wladimir Putins auf die Ukraine."

Hintergrund: Welche Herkunft haben die Menschen, die seit letztem Jahr nach Deutschland gekommen sind?

Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurden im Zeitraum zwischen Januar und Oktober 2023 insgesamt 286.638 Asylanträge gestellt. Davon waren 267.384 Erstanträge. Blickt man auf die Herkunftsländer der Antragstellenden, so machen Menschen aus Syrien den größten Anteil aus (83.336; 31,2 Prozent). Den zweiten Platz nimmt die Türkei mit einem Anteil von 16,9 Prozent (45.086) ein, gefolgt von Afghanistan mit 16,4 Prozent (43.958). Rund zwei Drittel aller Asylanträge entfallen im laufenden Jahr auf die drei genannten Nationalitäten. Danach folgen Iraker (9.484), Iraner (8.225) Georgier (7.644), Bürger der Russischen Föderation (6.460), Somalier (4.366) und Eritreer (3.615).

Flüchtlinge aus der Ukraine werden in dieser Statistik nicht berücksichtigt, da sie bei der Einreise nach Deutschland keinen Asylantrag stellen müssen. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022 bekommen sie automatisch einen Aufenthaltsstatus, sobald sie nach Deutschland kommen. Grundlage hierfür ist die sogenannte "Massenzustrom-Richtlinie" der Europäischen Union. In Deutschland wird die Richtlinie durch Paragraph 24 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) umgesetzt. 

Laut Bundesinnenministerium kamen zwischen März 2022 und September 2023 etwa 1,1 Millionen Menschen aus der Ukraine nach Deutschland. Der größte Teil kam im Jahr 2022, nämlich insgesamt 1.045.185 Menschen. Dem gegenüber standen insgesamt 244.132 Asylanträge aus anderen Ländern. Das bedeutet, dass acht von zehn Schutzsuchenden im Jahr 2022 aus der Ukraine kamen.

Inzwischen ist der Anteil aber deutlich zurückgegangen. Zwischen Januar und September 2023 waren es knapp 43.000 Menschen, die aus der Ukraine kamen, was derzeit einem Anteil von etwa 13 Prozent aller Schutzsuchenden entspricht. In der Größenordnung liegt die Ukraine also ungefähr gleich auf mit der Türkei und Afghanistan (siehe oben). 

Dass aktuell etwa 1.000 Menschen pro Tag in Deutschland Asyl begehren, wie Hubert Aiwanger in der Sendung sagte, ist laut BAMF-Statistik zutreffend. Im Oktober 2023 wurden demnach insgesamt 31.887 Erstanträge registriert. Das ist der bisherige Höchststand in diesem Jahr. In den beiden Vormonaten waren es jeweils rund 28.000 Erstanträge. Legt man diese Zahlen zugrunde, trifft auch Aiwangers Prognose zu, dass im Gesamtjahr 2023 über 300.000 Menschen nach Deutschland gekommen sein werden. Berücksichtigt man die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, ist das schon jetzt der Fall. 

Fazit: Im laufenden Jahr 2023 kamen die meisten der knapp 267.000 Menschen, die in Deutschland einen Asylerstantrag stellten, aus Syrien (31,2 Prozent), aus der Türkei (16,9 Prozent) und aus Afghanistan (16,4 Prozent). Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine liegen zahlenmäßig mit der Türkei und Afghanistan etwa gleich auf, sie müssen allerdings aufgrund einer EU-Richtlinie keinen Asylantrag stellen. Im Jahr 2022 überwog der Anteil der ukrainischen Flüchtlinge noch deutlich, acht von zehn Schutzsuchenden kamen damals aus dem von Russland angegriffenen Land. Dass aktuell etwa 1.000 Menschen pro Tag in Deutschland Asyl begehren, wie Hubert Aiwanger in der Sendung sagte, ist laut BAMF-Statistik zutreffend. Auch die Prognose, dass im Gesamtjahr 2023 über 300.000 Menschen nach Deutschland gekommen sein werden, ist auf dieser Datengrundlage sehr wahrscheinlich.

Widerspricht es der Genfer Flüchtlingskonvention, Menschen an der Grenze ohne Asylverfahren abzuweisen?

Hubert Aiwanger und Ricarda Lang diskutierten auch über den Umgang mit den gestiegenen Migrationszahlen in Deutschland. Aiwanger forderte, Deutschland müsse das Recht haben, Menschen an der Grenze zurückzuweisen, wenn sie ohne Pass aus einem Nachbarland Deutschlands einreisen wollen. Lang entgegnete, dies widerspreche der Genfer Flüchtlingskonvention, wonach jeder Mensch das Recht auf ein Asylverfahren habe.

Genfer Flüchtlingskonvention: Dürfen Menschen ohne Asylverfahren abgewiesen werden? | Video verfügbar bis 08.11.2024

Aiwanger: "Ich glaube, dass wir wirklich als Staat die Kontrolle über unsere Grenzen wieder zurückgewinnen müssen. Wenn wir schon sehen, dass wir viele Menschen zu uns ins Land bekommen, die ihren Pass weggeschmissen haben und nicht mal mehr zugeben, wo sie herkommen, dann können wir sie nicht mehr zurückweisen in irgendein Land. Wir haben die Leute aber im System."

Maischberger: "Sie haben das Recht, dass ihr Asylverfahren geprüft wird."

Aiwanger: "Genau, genau. Also müssen wir doch nach gesundem Menschenverstand an unseren Grenzen mit der Bundespolizei Menschen zurückweisen können, die aus Österreich, aus Tschechien, aus Polen kommen, weil sie dort nicht mehr verfolgt sind. Wenn sie schon dort ohne Pass ankommen an der polnisch-deutschen Grenze, muss ich doch sagen dürfen, wenn du schon nicht weißt, wo du herkommst, dann geh auch wieder zurück, vielleicht fällt’s dir wieder ein. Ich kann doch diese Leute nicht alle ins Land lassen und dann diskutieren, ob die Asylbewerberleistungsgesetz oder Bürgergeld bekommen. Wir kriegen die alle nicht mehr los. Da machen wir uns doch zum Deppen der ganzen Welt."

Lang: "Da muss ich jetzt mal nachfragen, weil die Genfer Flüchtlingskonvention sieht vor, wenn jemand hier ankommt, hat der erstmal das Recht, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Er hat nicht das Recht, dass das automatisch positiv beschieden wird, sondern dann wird geprüft: Ist diese Person bedroht? Wird sie entweder verfolgt oder flieht sie vor Krieg? Aber er hat das Recht, diesen Antrag zu stellen. Wenn Sie sagen, wer hier ankommt, der soll an der Grenze, ohne diesen Antrag zu stellen, ohne dieses Recht geltend zu machen, zurückgewiesen werden…"

Aiwanger: "Das hatten wir schon mit dem Thema 'Sichere Herkunftsländer'."

Lang: "…dann wollen Sie, dass Deutschland aus der Genfer Flüchtlingskonvention austritt."

Aiwanger: "Auf alle Fälle können wir so nicht weitermachen wie derzeit."

Lang: "Nein, ich will jetzt erstmal die Frage: Wollen Sie, dass Deutschland aus der Genfer Flüchtlingskonvention austritt?"

Aiwanger: "Ich würde auf alle Fälle sagen, dass die Genfer Flüchtlingskommission nicht abdeckt…"

Lang: "Konvention."

Aiwanger: "…dass Leute, die aus Österreich kommen, in Deutschland ohne mit der Wimper zu zucken über die Grenze gelassen werden müssen, wenn sie ohne Pass kommen."

Lang: "Ich habe Ihnen gerade gesagt, was die Genfer Flüchtlingskonvention abdeckt, und zwar das individuelle Recht auf Asyl. Also das Recht, einen Antrag zu stellen."

Aiwanger: "Genau. Den würde ich in Grenznähe festhalten."

Lang: "Das, was Sie eben gesagt haben, würde bedeuten, dass man [Anm. d. Red.: aus der GFK] austritt. Und ich will einmal kurz sagen, die Genfer Flüchtlingskonvention…"

Maischberger: "Moment, Sie [gemeint ist Herr Aiwanger, Anm. d. Red.] würden den in Grenznähe festhalten?"

Aiwanger: "Genau, jetzt passen Sie auf: Er kommt von Österreich nach Deutschland. In Grenznähe festhalten und mit einem Schnellverfahren prüfen, wo ist der her. Dann ist dieses Asylverfahren ja soweit gewährleistet. Wenn er beweisen kann, er kommt aus einer Diktatur, wo er verfolgt wird, dann nehme ich den rein. Wenn der aber sagt, 'Ich sage nicht, wo ich herkomme, du musst mich aber reinlassen' – dann sage ich, nein, du kannst nicht beweisen, dann mache ich hier eben das Asylverfahren an der Grenze und schiebe den dann zurück, wenn ich dem nachweisen kann, dass er mich veräppelt."

Lang: "Wie soll das denn praktisch funktionieren?"

Aiwanger: "Genau so, wie wenn Sie den erst monatelang in der Unterkunft haben. Das macht die Schweiz so. Das macht die Schweiz so."

(…)

Lang: "Aber das, was Sie sagen, wenn Sie zurückweisen – jetzt wird’s ja ein bisschen durcheinander geworfen, jetzt ist es plötzlich ein Schnellverfahren an der Grenze, gerade eben war es noch einfach nur die Zurückweisung. Ich finde, Sie müssen sich schon mal klar machen, die Begriffe und auch Rechtskonstrukte, mit denen ihr hier spielt."

Aiwanger: "Das widerspricht sich nicht, das kann man beides parallel machen."

Lang: "Also wollen Sie jetzt wieder zurückweisen, und das widerspricht wie gesagt der Genfer Flüchtlingskonvention."

Aiwanger: "Ihr höchstes Ding ist die Genfer Flüchtlingskonvention, und wenn Deutschland draufgeht – Hauptsache die Genfer Flüchtlingskonvention."

Lang: "Wir müssen über praktische Lösungen diskutieren. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir die Kommunen unterstützen wollen. Aber das ist ja nichts, was ich mir ausgedacht habe, was im Grünen-Wahlprogramm steht, sondern das ist eine rechtliche Verpflichtung, die wir eingegangen sind."

Stimmt das? Widerspricht es der Genfer Flüchtlingskonvention, Menschen an der Grenze ohne Asylverfahren abzuweisen?

Staaten sind völkerrechtlich grundsätzlich frei, über Einreise und Aufenthalt von Ausländern auf ihrem Staatsgebiet zu entscheiden. Sie werden jedoch durch den Grundsatz der Nichtzurückweisung (sog. "Refoulement-Verbot") beschränkt, das in der Genfer Flüchtlingskonvention festgehalten ist. Dieses Prinzip besagt, dass Personen nicht in einen Staat zurückgewiesen werden dürfen, in dem für sie ein ernsthaftes Risiko von Folter bzw. unmenschlicher Behandlung besteht.

Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention enthält das Verbot "einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten auszuweisen oder zurückzuweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde."

Im Umkehrschluss steht das Refoulement-Verbot Zurückweisungen in Drittstaaten nicht entgegen, wo entsprechende Gefahren nicht zu befürchten sind. Das trifft auf die Nachbarstaaten der Bundesrepublik Deutschland zu. Flüchtlinge ohne Prüfung an den Außengrenzen Deutschlands zurückzuweisen widerspräche also nicht der Genfer Flüchtlingskonvention, erklärt Anuscheh Farahat, Professorin für Migrationsrecht und Menschenrechte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen.

Allerdings: Wichtig bei der Debatte um Migration ist, dass die Genfer Flüchtlingskonvention in Europäischem Recht umgesetzt ist. Spricht man also über die Regeln, die in Europa gelten, bezieht man sich nicht nur auf die Konvention, sondern vornehmlich auf Europäisches Recht. Und das gibt in Artikel 3 und 6 der Asylverfahrensrichtlinie sowie Artikel 3 der Dublin III-Verordnung vor, dass ein Asylantrag nicht nur im Hoheitsgebiet sondern auch "an der Grenze" gestellt werden kann.

"Wenn das passiert, muss die Bundespolizei eine Person an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weiterleiten, damit dieses eine Dublin-Prüfung oder ein Asylverfahren einleitet", sagt Daniel Thym, Professor für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz. Sobald also jemand an der Grenze das Wort "Asyl" sagt, muss entweder geklärt werden, welcher EU-Staat verantwortlich ist oder aber ein Asylverfahren eingeleitet werden. Auch wenn eine asylsuchende Person an der Grenze keinen Pass vorweisen kann, darf ihr das Stellen eines Asylantrags nicht verwehrt werden. Gemäß Paragraph 15 Asylgesetz (AsylG) ist sie aber dazu verpflichtet, die Behörden bei der Identitätsfeststellung zu unterstützen, damit über den Antrag sachgemäß entschieden werden kann. Kann eine Identität jedoch nicht geklärt werden, ist eine Abschiebung nicht möglich.

Trotz dieser klaren Vorgabe wird immer wieder behauptet, dass die Bundespolizei im Rahmen von Grenzkontrollen diejenigen zurückweisen darf, die einen Asylantrag stellen. Daniel Thym dazu: "Tatsächlich erlaubt Paragraph 18 Absatz 2 AsylG eine Einreiseverweigerung und damit eine Zurückweisung nach Paragraph 15 Aufenthaltsgesetz bei der Einreise aus sicheren Drittstaaten und wenn andere EU-Länder für die Asylprüfung zuständig sind. In der Sache ist das jedoch irrelevant, denn das Europarecht genießt Vorrang."

Fazit: Die Zurückweisung an den Deutschen Außengrenzen ist nicht möglich, sobald jemand an der Grenze das Wort "Asyl" sagt. Denn eine Zurückweisung ohne Asylverfahren oder die Prüfung der Zuständigkeit für das Verfahren sind nach EU-Recht unzulässig. Das gilt auch, wenn die ankommende Person keinen Pass vorweisen kann. Ein Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention wäre es aber nicht, da bei allen Nachbarstaaten Deutschlands davon auszugehen ist, dass weder Leben noch Freiheit der Flüchtlinge bedroht ist.

Hat die Grünen-Bundesgeschäftsführerin gesagt, man müsse sich die Demokratie "zurückerobern"?

Die Grünen-Parteivorsitzende Ricarda Lang kritisierte in der Sendung die von Hubert Aiwanger im Sommer gehaltene Rede, in der er sagte, die Mehrheit müsse sich "die Demokratie zurückholen". Mit einer solchen Aussage, so Lang, würde Aiwanger rechtspopulistischen Positionen Vorschub leisten. Aiwanger entgegnete, die Bundesgeschäftsführerin der Grünen hätte öffentlich gesagt, man müsse sich die Demokratie "wieder zurückerobern". 

Hubert Aiwanger und Ricarda Lang diskutieren über politische Rhetorik

Lang: "Ich glaube, wenn eins die AfD stark macht, dann wenn ein demokratisch gewählter Politiker von einer Partei wie den Freien Wählern, der Vizeministerpräsident eines Landes sich hinstellt und impliziert, wir hätten keine Demokratie in Deutschland."

Aiwanger: "Das habe ich überhaupt nicht gesagt."

Lang: "Natürlich haben wir eine Demokratie, Sie wurden in dieser Demokratie [gewählt]."

Aiwanger: "Ich habe gesagt, ihr regiert gegen die Mehrheit. Das habe ich gesagt."

Lang: "Nein, Sie haben gesagt, 'Wir müssen uns die Demokratie zurückholen'. Ich muss mir ja nur was zurückholen, was weg ist."

(…)

Aiwanger: "Ihre Bundesgeschäftsführerin hat gesagt, 'Wir müssen die Demokratie zurückerobern'. Wissen Sie das? Ihre grüne Bundesgeschäftsführerin hat gesagt, 'Wir müssen die Demokratie wieder zurückerobern'. Also mit Gewalt zurückholen. Da haben Sie nicht protestiert dagegen. Sie haben’s nicht gehört."

Lang: "Nö, ich weiß auch nicht, worüber Sie gerade reden."

Aiwanger: "Okay, dann googeln Sie das mal, wenn Sie es nicht gehört haben."

Lang: "Das googele ich sehr gerne."

Stimmt das? Hat die Grünen-Bundesgeschäftsführerin gesagt, man müsse sich die Demokratie "zurückerobern"?

Hubert Aiwanger bezieht sich auf ein Interview, das die Grünen-Bundesgeschäftsführerin Emily Büning am 9.10.2023 dem Politiksender phoenix gab. In dem Gespräch ging es vor allem um die Ergebnisse der Landtagswahlen, die am Vortag in Bayern und Hessen abgehalten worden waren. In beiden Ländern wurden die Grünen nur viertstärkste Kraft und verzeichneten dabei von allen Parteien die größten Verluste. Emily Büning zeigte sich in besagtem phoenix-Interview unzufrieden darüber. Insbesondere das starke Abschneiden der AfD bei beiden Wahlen bezeichnete sie als "sehr besorgniserregend". Alle "demokratischen Parteien", so Büning, müssten fortan besser zusammenarbeiten, um die AfD einzudämmen. In diesem Zusammenhang sagte Büning auch den von Hubert Aiwanger in der Sendung zitierten Satz: "Unsere Demokratie ist stark, aber wir müssen sie uns jetzt auch zurückerobern."

Hier der gesamte Wortlaut:

"Vor allen Dingen auch noch mal die Ergebnisse der AfD müssen uns da auch noch mal aufwecken – oder wecken uns auf. Denn die sind sehr besorgniserregend. Ich glaube insgesamt, wir müssen als demokratische Parteien uns jetzt anschauen, wie agieren wir, wie agieren wir auch gemeinsam. Auch die Opposition und eben wir in der Ampel müssen da gemeinsam – haben einen Auftrag. Unsere Demokratie ist stark, aber wir müssen sie uns jetzt auch zurückerobern. Denn ich nehme das schon als große Gefahr auch wahr für unsere Demokratie, aber auch für unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft, wie es da die Ergebnisse der AfD auch sind."

Das Interview ist in voller Länge auf dem YouTube-Kanal von phoenix zu sehen.

Fazit: Hubert Aiwanger reagierte in der Sendung auf die Kritik von Ricarda Lang, die ihm vorwarf, mit seiner Rede, in der er sagte, die Mehrheit müsse sich "die Demokratie zurückholen", hätte er rechtspopulistischen Positionen Vorschub geleistet. Aiwanger entgegnete, die Bundesgeschäftsführerin von Langs eigener Partei hätte öffentlich geäußert, man müsse sich die Demokratie "zurückerobern". Das stimmt. Die Grünen-Bundesgeschäftsführerin Emily Büning gebrauchte diese Formulierung in einem Fernsehinterview kurz nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen. 

Gibt es methodische Verzerrungen in der BKA-Statistik zu politisch motivierter Kriminalität?

Sandra Maischberger zitierte in der Sendung eine aktuelle Statistik des Bundeskriminalamts über politisch motivierte Straftaten in Deutschland. Demnach seien im Jahr 2022 rund 84 Prozent der antisemitischen Taten dem rechtsradikalen Spektrum zuzuordnen. Im Anschluss an die Sendung wurde diese Erhebung in den sozialen Medien kontrovers diskutiert. Kritiker sagten, die Statistik bilde die Realität nicht korrekt ab, da Straftaten, die nicht eindeutig einem politischen Spektrum zugeordnet werden können, in der Statistik pauschal der Kategorie "rechts" zugerechnet würden. Ob das stimmt, schauen wir uns genauer an.

Politisch motivierte Kriminalität: Wie kommt die BKA-Statistik zustande? | Video verfügbar bis 08.11.2024

Maischberger: "Bevor wir jetzt zu der Migration kommen, das ist tatsächlich ein Thema, einfach noch eine Zahl. Die kommt vom letzten Jahr, vom Bundesinnenministerium. 84 Prozent antisemitischer Taten gingen eben nicht auf das Konto von Zuwanderern, sagt diese Statistik, sondern auf das Konto von Rechtsradikalen."

Hintergrund: Gibt es methodische Verzerrungen in der BKA-Statistik zu politisch motivierter Kriminalität?

Die Statistik über Straftaten der politisch motivierten Kriminalität (PMK) wird jährlich durch das Bundesinnenministerium in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlicht. Ein Teil dieser Statistik beschäftigt sich speziell mit antisemitischer Hasskriminalität. Die diesbezüglichen Delikte werden gezählt und der jeweiligen weltanschaulichen Motivation des Täters zugeordnet. Die Zuordnung erfolgt mittels fünf verschiedener Kategorien: PMK -rechts-, PMK -links-, PMK -ausländische Ideologie-, PMK -religiöse Ideologie-, PMK -nicht zuzuordnen-.

Laut aktueller PMK-Statistik wurden im Jahr 2022 2.185 von insgesamt 2.641 registrierten antisemitischen Straftaten dem rechten Spektrum (PMK -rechts-) zugeordnet. Das entspricht einem Anteil von 82,73 Prozent.

Doch wie kommt diese Zuordnung genau zustande? Werden antisemitische Straftaten, die nicht eindeutig einem politischen Spektrum zugeordnet werden können, automatisch der Kategorie "rechts" zugerechnet, wie Kritiker sagen?

Wie uns das BKA auf Nachfrage mitteilte, werden bei der Zuordnung verschiedene Kriterien berücksichtigt, wie z.B. der Hergang der Tat, das Tatmittel und das Angriffsziel, aber auch Hinweise auf die Weltanschauung des Täters, z.B. entsprechende Symbole auf der Kleidung oder ähnliches. Auch die Sicht der betroffenen Opfer werde dezidiert in die Bewertung miteinbezogen. Und tatsächlich gelten antisemitische Straftaten solange als rechts-motiviert, bis es Anhaltspunkte gibt, die die Zuordnung zu einer anderen Gruppe nahelegen. Das BKA wörtlich: "Im Rahmen des KPMD-PMK [Kriminalpolizeilicher Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität, Anm. d. Red.] sind antisemitische Straftaten dem Phänomenbereich PMK -rechts- zuzuordnen, wenn sich aus den Umständen der Tat und/oder der Einstellung des Täters keine gegenteiligen Anhaltspunkte zur Tätermotivation ergeben." Begründet wird dieses Vorgehen vom BKA damit, dass "sich in dem Themenfeld 'Antisemitisch' der für rechte Ideologien wesentliche Kerngedanke der Annahme einer Ungleichheit/Ungleichwertigkeit der Menschen manifestiert."

Aber wie kommt es dann, dass in der Statistik trotzdem 343 Fälle unter der Kategorie PMK -nicht zuzuordnen- gezählt werden? Laut BKA sind dies Fälle, in denen Anhaltspunkte zu einer Tätermotivation vorliegen, die nicht als "rechts" definiert werden, aber auch keiner der übrigen Kategorien entsprechen. Als Beispiel nennt das BKA gewisse antisemitische Straftaten im Zusammenhang mit Corona-Demos bzw. der Querdenken-Bewegung.

Kritiker bemängeln, dass durch die Zuordnungsmethodik des BKA ein verzerrtes Bild von der Realität entstehe. Marco Siegmund, Pressesprecher des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS), erklärt gegenüber der maischberger-Redaktion: "Der Bundesverband RIAS fordert eine Änderung der Zuordnungspraxis, damit wir ein klares Bild antisemitischer Vorfälle aus Sicht der Polizei bekommen." Der Pressesprecher der Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung OFEK, Alexander Rasumny, kritisiert zudem, dass die Zahlen der BKA-Statistik "nicht unbedingt etwas über die Schwere der Tat“ aussagen. Rasumny weiter: „Wenn ein Rabbiner geschlagen wird, ist das genauso eine Straftat wie ein volksverhetzender Tweet. Aber an den Wust an antisemitischen Kommentaren haben wir uns leider ein Stück weit gewöhnt und erinnern uns bald nicht mehr an einen einzelnen. Einen physischen Angriff zu vergessen, ist dagegen für die ganze Community schwer."

Fazit: Die jährlich veröffentlichte Statistik über politisch motivierte Kriminalität ordnet die registrierten Straftaten in fünf verschiedene Kategorien, die Aufschluss über die jeweilige weltanschauliche Tätermotivation geben sollen. Im Fall antisemitischer Hasskriminalität ist es tatsächlich so, dass eine Tat als rechts-motiviert bewertet wird, solange es keine gegenteiligen Hinweise gibt. Als "nicht zuzuordnen" wird ein Delikt eingestuft, wenn es Anhaltspunkte für eine Tätermotivation gibt, die in keine der übrigen vier Kategorien fällt.

Stand: 11.11.2023

Autoren: Tim Berressem, Alexander Westermann, Yannik Hohmann