Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 14.11.2023

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Hajo Schumacher, Dagmar Rosenfeld, Claudia Major, Ina Ruck, Anja Kohl, Karl-Theodor zu Guttenberg
Die Gäste (v.l.n.r.): Hajo Schumacher, Dagmar Rosenfeld, Claudia Major, Ina Ruck, Anja Kohl, Karl-Theodor zu Guttenberg | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Was steht im aktuellen Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen?

Was steht im aktuellen Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen?

ARD-Börsenexpertin Anja Kohl äußerte sich in der Sendung zum aktuellen Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen. Wie Kohl erklärte, fordert das Expertengremium darin deutlichere Investitionsanreize für die Zukunft. Aber auch die Auswirkungen der wirtschaftlichen Lage auf die Sozialsysteme in Deutschland seien ein wesentlicher Aspekt, so Kohl. Die wichtigsten Punkte des Gutachtens schauen wir uns hier noch einmal genauer an.

"In die Zukunft investieren": Was steht drin im Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen?

Maischberger: "Das Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen ist gerade rausgekommen. Und da steht, Deutschland verzeichnet das geringste Wachstum aller Volkswirtschaften im Euro-Raum, ist also, wie viele sagen, der 'kranke Mann Europas'. Warum denn?"

Kohl: "Ja, ich finde den Begriff ganz schlimm, 'kranker Mann Europas'. Ich finde, das diskriminiert alle Kranken und alle Männer."

Maischberger: "Okay, die 'kranke Frau Europas'."

Kohl: "Ja, nee, auch das nicht. Wie gesagt, man kann es sich auch herbeireden. Aber dieses Wirtschaftsweisen-Gutachten war sehr, sehr interessant. Es heißt nämlich 'Wachstumsschwäche überwinden – In die Zukunft investieren', ich habe mir das extra aufgeschrieben. Und darin wird konstatiert, dass das eben nicht mit dieser Regierung begonnen hat, die Probleme, sondern dass das langjährige Probleme sind, die wir verschlafen haben anzugehen und die sich jetzt rächen. Und dass wir die einfach angehen müssen. Es hat mittlerweile Konsequenzen für unsere Sozialsysteme. Denn wenn der Kuchen kleiner wird, den man verteilen kann, dann heißt das einfach, dass gewisse Systeme, z.B. das Rentensystem, das kippt. Und die Wirtschaftsweisen haben erstmals einen Vorschlag, der einfache Umverteilung ist, dass man nicht mehr das rauskriegt, was man in die Rente eingezahlt hat, sondern dass die, die die höheren Renten haben, möglicherweise hergenommen werden, um die niedrigeren Renten quasi nach oben zu heben. Das ist eigentlich ein revolutionärer Vorschlag von Umverteilung innerhalb des Rentensystems, das die Wirtschaftsweisen jetzt andenken. Und was aber wichtig ist, deswegen fand ich den Titel so wichtig: 'In die Zukunft investieren'. Wir haben eine Investitionsschwäche, das heißt, der Kapitalstock ist veraltet im Prinzip. Das hat mit der Demographie zu tun. Wir stecken in einer Transformation, wo Vermögenswerte teilweise wertlos werden. Ein gutes Stichwort ist Verbrenner. Könnten wir eigentlich alles abschreiben, können die Konzerne aber nicht machen. Und jetzt haben wir neue Vermögenswerte, Stichwort Elektro, die werfen das aber noch nicht ab. Aber was die Wirtschaftsweisen wirklich festgehalten haben, und das ist superwichtig, ist: Transformation ist das Stichwort. In die Zukunft investieren. Sie haben explizit gesagt, erneuerbare Energien, weil sie sich rechnen."

Hintergrund: Was steht im aktuellen Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen?

Jedes Jahr veröffentlicht der "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" ein umfangreiches Gutachten zur ökonomischen Lage Deutschlands. Sein aktuelles Jahresgutachten veröffentlichte das Gremium, das umgangssprachlich auch als "die fünf Wirtschaftsweisen" bezeichnet wird, am 8.11.2023 unter der Überschrift "Wachstumsschwäche überwinden – In die Zukunft investieren".

Für das laufende Jahr 2023 gehen die Experten von einem Rückgang der deutschen Wirtschaft um 0,4 Prozent aus, was vor allem durch die Energiekrise sowie die Inflation bedingt sei. Im kommenden Jahr werde sich die Konjunktur dann immerhin ein bisschen erholen. Die Sachverständigen gehen von einem leichten Wachstum um 0,7 Prozent aus und liegen damit unterhalb der Einschätzung der Bundesregierung, die einen Anstieg um 1,3 Prozent prognostiziert. "Die konjunkturelle Erholung in Deutschland verzögert sich", schreiben die Volkswirte in dem 445 Seiten starken Gutachten. Zur Begründung für ihre Einschätzung verweisen sie auf die gestiegenen Zinsen, die Investitionen und die Nachfrage am Bau dämpften. Der private Konsum allerdings werde sich wegen steigender Löhne im nächsten Jahr voraussichtlich etwas erholen. Auch ein Rückgang der Inflation werde sich positiv auswirken: 2024 dürfte die Teuerungsrate laut Sachverständigenrat noch bei 2,6 Prozent liegen – gegenüber 6,1 Prozent im laufenden Jahr.

Insgesamt werde die konjunkturelle Entwicklung in den nächsten Jahren durch zwei wesentliche Faktoren gehemmt: Einerseits fehlen durch die demographische Alterung immer mehr Arbeitskräfte, andererseits mangelt es an jungen und innovativen Unternehmen, die sich in Deutschland ansiedeln. Um diese Probleme zu bekämpfen, seien "stärkere Erwerbsanreize, eine ambitionierte Zuwanderungspolitik, verbesserte Schulbildung und eine Stärkung der Universitäten" entscheidend. "Zugleich gilt es, den Strukturwandel zuzulassen und Investitionen zu mobilisieren, die die Produktivität steigern", erläutert Ökonomin Veronika Grimm, die Mitglied des Sachverständigenrats ist. Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier weist zudem auf die besondere Bedeutung der erneuerbaren Energien hin. Unternehmen durch staatlich gedeckelte Energiepreise im Land zu halten, wie es die Bundesregierung mit einem neuen Strompreispaket beabsichtigt, reiche auf lange Sicht nicht aus, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Malmendier betonte am Montag (13.11.23) auf dem "SZ Wirtschaftsgipfel", dass die Krise als Chance wahrgenommen werden sollte: "Wir müssen das Angebot an erneuerbarer Energie ausweiten."

Vor dem Hintergrund der alternden Gesellschaft regen die Wirtschaftsweisen in ihrem Gutachten auch eine umfassende Reform des Rentensystems an. Angesichts des bevorstehenden Eintritts der Babyboomer in den Ruhestand drohe bei der gesetzlichen Rente "ein sinkendes Sicherungsniveau bei stark steigenden Beitragssätzen". Dies mache eine "langfristig orientierte Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) erforderlich", heißt es in der Analyse. Wesentlicher Bestandteil dieser Reform soll eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die weiter steigende Lebenserwartung sein. Konkret bedeutet das: Schrittweise könnte aus der Rente mit 67 (im Jahr 2031) die Rente mit 69 (ab dem Jahr 2078) werden – vorausgesetzt, die Lebenserwartung steigt wie vermutet. Sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sprachen sich zuletzt aber klar gegen eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters aus. Das werde es "mit mir nicht geben", sagte Heil gegenüber t-online. In vielen Berufen, etwa in der Logistik, in der Pflege, im Handwerk und auf Baustellen, könnten Menschen mit 68, 69 oder 70 Jahren nicht mehr arbeiten.

Über die Frage des Eintrittsalters hinaus plädiert der Sachverständigenrat auch für eine Inflationsanpassung der Rente. Anders als bislang würde sich die Höhe der Bestandsrenten dann nicht mehr an der allgemeinen Lohnentwicklung orientieren, sondern an der Entwicklung der Verbraucherpreise. 

Zudem schlagen die Ökonomen mehrheitlich eine stärkere Umverteilung innerhalb der Rentenversicherung vor. So sollen die Renten von Besserverdienenden gekürzt werden, während Menschen, die weniger verdienen, überproportional höhere Rentenansprüche erhalten. Damit könnten für ärmere Haushalte "soziale Härten in Folge eines sinkenden Sicherungsniveaus abgefedert werden". In diesem Punkt sind sich die Mitglieder des Sachverständigenrates aber nicht einig.  

Die Opposition wertet die Ausführungen der Wirtschaftsweisen als deutliches Signal: "Das ganze Gutachten ist eine einzige Klatsche für die Ampel", so CDU-Fraktionsvize Jens Spahn. Deutschland brauche dringend eine wirtschaftspolitische Wende. "Strom ist viel zu teuer, deswegen muss die Stromsteuer runter. Arbeit muss sich wieder mehr lohnen, Steuern und Abgaben müssen auch runter", so Spahn weiter. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betont hingegen, dass man mit Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren bereits dazu beitrage, die Wachstumsschwäche zu überwinden. Bei der Entgegennahme des Gutachtens in Berlin zeigte er sich zuversichtlich, dass dies auch weiterhin gelingen werde. "Wir müssen dafür sorgen, dass wir wieder auf die Spur kommen", so der Kanzler.

Der "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" veröffentlichte sein Jahresgutachten in diesem Jahr zum 60. Mal. Das Gremium wurde 1963 auf Betreiben des damaligen Bundeswirtschaftsministers Ludwig Erhard (CDU) ins Leben gerufen. Die Mitglieder werden von der Bundesregierung vorgeschlagen und vom Bundespräsidenten für die Dauer von fünf Jahren berufen. Traditionell haben jedoch der "Gemeinschaftsausschuss der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft" als Vertreter der Arbeitgeber sowie die Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmer das Recht, jeweils ein Mitglied auszuwählen.

Fazit: Der "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" stellt in seinem aktuellen Jahresgutachten einen Rückgang der deutschen Wirtschaft um 0,4 Prozent fest. Im kommenden Jahr werde sich die Konjunktur aber voraussichtlich etwas erholen und um 0,7 Prozent wachsen. Um die Wirtschaft langfristig in Schwung zu bringen, müssen vor allem die Investitionen hierzulande deutlich steigen, so das Expertengremium. Eine besondere Herausforderung stelle zudem die demographische Alterung der Gesellschaft dar, wodurch immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Vor diesem Hintergrund regen die sogenannten Wirtschaftsweisen auch eine umfassende Reform des Rentensystems an. Diese Reform soll nicht nur eine weitere schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters beinhalten, sondern auch eine stärkere Umverteilung innerhalb des Systems. So sieht der Vorschlag vor, dass die Renten von Besserverdienenden gekürzt werden, während Menschen, die weniger verdienen, überproportional höhere Rentenansprüche erhalten. Inwieweit diese Vorschläge politisch umgesetzt werden, bleibt jedoch abzuwarten.

Stand: 15.11.2023

Autoren: Tim Berressem