Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 16.04.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Heinz Rudolf Kunze, Helene Bubrowski, Franz Müntefering, Khesrau Behroz, Frederik Pleitgen, Wolfgang Ischinger
Die Gäste (v.l.n.r.): Heinz Rudolf Kunze, Helene Bubrowski, Franz Müntefering, Khesrau Behroz, Frederik Pleitgen, Wolfgang Ischinger | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Könnten Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen bald legal werden?

Könnten Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen bald legal werden?

Unsere Kommentatoren diskutierten in der Sendung u.a. über den juristischen Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen. Anlass war der Bericht einer Expertenkommission, die von der Bundesregierung eingesetzt wurde und die sich in dem Papier dafür ausgesprochen hat, Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der ersten zwölf Wochen eindeutig zu legalisieren. Welche Regelungen bislang gelten und was nun politisch aus dem Expertenbericht folgt, schauen wir uns genauer an.

Nach Empfehlung der Expertenkommission: Könnten frühe Schwangerschaftsabbrüche bald legal werden? | Video verfügbar bis 16.04.2025

Maischberger: "Es geht im Prinzip darum: Schwangerschaftsabbrüche sind bis jetzt bis zur zwölften Woche straffrei, aber eigentlich verboten. Und der Vorschlag dieser Kommission ist, macht’s doch gleich legal, Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche legal. Wären Sie – nur mal in der Sache – wären Sie dafür?"

Kunze: "Ich bin mittlerweile dafür. Ich habe mich da auf einem langen Weg in diese Richtung bewegt."

(…)

Bubrowski: "Es gibt jetzt in der Tat diesen rechtlich ja merkwürdigen Kompromiss von rechtswidrig, aber straffrei in den ersten zwölf Wochen. Was ja am Ende eine Art von so einer Formel ist, die man aus politischen Gründen gefunden hat nach einer langen Debatte, die ja ein echter Kulturkampf war in Deutschland. (…) Aber es ist ja schon interessant, dass die Bundesregierung, die eben, als sie die Koalitionsverhandlungen geführt hat, nicht in der Lage war, sich auf dieses Thema zu einigen. Und dann ist es ja wie immer, setzt man eine Kommission ein, um das Ganze erst mal in die Zukunft zu schieben. Jetzt liegt dieser 600-seitige Bericht vor, und jetzt heißt es, das wird jetzt erst mal ganz in Ruhe ausgewertet und gelesen. Das heißt, in dieser Legislaturperiode wird mutmaßlich gesetzgeberisch nichts mehr passieren. Es geht ja auch übrigens um die Themen Embryonenspende, Leihmutterschaft und so weiter. Also die ganze Reproduktionsmedizin, wo es ja auch viele ethische Fragen gibt, die damit zusammenhängen. Das ist ja alles ein Paket, also ein riesengroßes. Und insofern wird da jetzt mutmaßlich nicht mehr viel passieren, außer einer Debatte."

Hintergrund: Könnten Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen bald legal werden?

Am vergangenen Montag (15.4.2024) legte die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ihren Abschlussbericht vor. Darin empfiehlt das Gremium die Entkriminalisierung von Abtreibungen in den ersten Wochen einer Schwangerschaft. "In der Frühphase der Schwangerschaft (...) sollte der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch mit Einwilligung der Frau erlauben", heißt es wörtlich in einer Zusammenfassung des Berichts. Als Frühphase einer Schwangerschaft werden gemeinhin die ersten zwölf Wochen bezeichnet.

Sind Abtreibungen in den ersten Wochen bislang verboten?

Ein Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase ist faktisch auch heute schon möglich, wenn dieser von einem Arzt durchgeführt wird und die Frau sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen. Allerdings ist dies bisher als Ausnahmeregelung im Paragraph 218a Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Formaljuristisch sind Abbrüche in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen nicht legal, sondern lediglich straffrei. Abbrüche, die zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen werden, sind dagegen eindeutig verboten und können mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet werden. 

Warum wird eine Reform des Abtreibungsrechts gefordert?

In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Ampel vereinbart, durch eine Kommission prüfen zu lassen, inwieweit Schwangerschaftsabbrüche auch außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden könnten. Die zuständige Koordinatorin in der Kommission Liane Wörner hält dies für dringend geboten: "Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Abbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft – derzeit Paragraf 218a des Strafgesetzbuchs – ist nicht haltbar. Hier sollte der Gesetzgeber tätig werden und den Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig und straflos stellen", betonte die Strafrechtlerin bei der Präsentation des Berichts in Berlin.

Ein Abbruch sei aktuell zwar unter bestimmten Bedingungen straffrei, "aber er ist nach wie vor als rechtswidrig, als Unrecht gekennzeichnet", kritisierte zudem die stellvertretende Koordinatorin, Frauke Brosius-Gersdorf, die geltende Regel. Eine Änderung sei nicht einfach nur eine Formalie. Für die betroffenen Frauen mache es einen großen Unterschied, ob das, was sie täten, Unrecht sei oder Recht. "Außerdem hat das Auswirkungen auf die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherungen."

Seit wann sind frühe Abtreibungen straffrei?

Die aktuelle Regelung gilt seit 1995. Der Bundestag hatte sich damals nach jahrzehntelangen Diskussionen in Politik und Gesellschaft auf eine entsprechende Neufassung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes geeinigt. Bereits 1992 hatte eine parteienübergreifende Gruppe von Bundestagsabgeordneten eine Gesetzesnovelle erarbeitet, wonach Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche legal sein sollten, wenn zuvor ein Beratungsgespräch stattgefunden hat. Die Bayerische Staatsregierung und 247 Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion stellten sich gegen das Vorhaben und zogen sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht.

Im Mai 1993 entschieden die Karlsruher Richter, dass das grundsätzliche Verbot eines Schwangerschaftsabbruchs weiterhin bestehen bleiben müsse. Das Grundgesetz verpflichte den Staat, menschliches Leben zu schützen. Dazu zähle auch das Leben des Ungeborenen. Weiter hieß es in dem Urteil allerdings, dass eine Abtreibung unter bestimmten Bedingungen straffrei bleiben könne, "wenn die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch einen Arzt abgebrochen wird" und ein bescheinigtes Gespräch mit einer anerkannten Beratungsstelle mindestens drei Tage vor dem Eingriff stattgefunden hat. 

Dieses Urteil setzte der Bundestag mit der Gesetzesänderung 1995 um.

Wie geht es nach dem Expertenbericht weiter?

Ob Schwangerschaftsabbrüche in der frühen Phase schon bald komplett aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden, ist unklar. Die zuständigen Minister ließen offen, ob sie noch in dieser Wahlperiode eine Gesetzesänderung angehen wollen. Am Ende brauche es dafür einen breiten gesellschaftlichen und parlamentarischen Konsens, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Man werde einen geordneten Prozess vorschlagen, "wie wir als Bundesregierung und Parlament damit umgehen", so der SPD-Politiker. 

Man werde den Bericht zunächst gründlich auswerten, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann. Über Konsequenzen zu reden sei noch zu früh, ergänzte der FDP-Politiker. "Was wir nicht gebrauchen können, das sind Debatten, die die Gesellschaft in Flammen setzen oder gar spalten." Bundesfamilienministerin Lisa Paus (B’90/Grüne) sagte, die Empfehlungen der Kommission böten eine gute Grundlage für einen "offenen und faktenbasierten Diskurs".

Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sprach von einem sehr sensiblen Thema, das stark in persönliche Bereiche gehe. Es gelte, unterschiedliche Güter gegeneinander abzuwägen. "Wir wollen eine Debatte führen, die letztlich uns weiterbringt in dieser Frage, und das ist nichts, was man unter Zeitdruck und 'jetzt machen wir das ganz schnell' führen kann. Das wäre wirklich der falsche Weg." Der Expertenbericht solle jetzt Grundlage sein für eine Debatte zwischen Politik und Gesellschaft. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei daran gelegen, dass diese Diskussion in ruhiger und sensibler Weise geführt werde, sagte Hoffmann.

Fazit: Schwangerschaftsabbrüche sind laut Strafgesetzbuch grundsätzlich verboten, werden aber unter bestimmten Voraussetzungen nicht bestraft. Das ist der Fall, wenn der Abbruch innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen von einem Arzt vorgenommen wird und sich die Frau zuvor entsprechend hat beraten lassen. Diese Regelung gilt seit 1995. Eine von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission plädiert aktuell dafür, Abbrüche in der frühen Schwangerschaftsphase grundsätzlich zu legalisieren. Inwieweit die Politik dieser Empfehlung folgt, ist aber noch unklar. Die Bundesregierung kündigte an, den Bericht der Kommission in Ruhe auswerten und diskutieren zu wollen.

Stand: 17.04.2024

Autor: Tim Berressem