Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 30.04.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Tilo Jung, Claudia Major, Kristina Dunz, Constantin Schreiber, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Vassili Golod
Die Gäste (v.l.n.r.): Tilo Jung, Claudia Major, Kristina Dunz, Constantin Schreiber, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Vassili Golod | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Ist der Taurus eine Langstreckenrakete?

Ist der Taurus eine Langstreckenrakete?

Unsere Kommentatoren diskutierten in der Sendung über die Frage, ob Deutschland den Taurus an die Ukraine liefern sollte. Der Journalist und Podcaster Tilo Jung äußerte dabei Verständnis für die Position von Bundeskanzler Olaf Scholz, der eine Lieferung bislang klar ablehnt. Schließlich, so Jung, handele es sich beim Taurus um eine Langstreckenrakete, mit der potentiell russisches Staatsgebiet erreicht werden könnte. 

Diskussion um Taurus-Lieferung: Handelt es sich bei dem Waffensystem um eine Langstreckenrakete? | Video verfügbar bis 01.05.2025

Jung: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das sagt er ja."

Maischberger: "Und Sie sind der Meinung, das ist richtig so?"

Jung: "Ich kann ihn zumindest nachvollziehen, weil Olaf Scholz seit zwei Jahren zumindest konsistent in dieser Frage argumentiert. Erstens, dass keine Rüstung und Waffen geliefert werden, die russisches Staatsgebiet treffen könnten. Und beim Taurus ist das unweigerlich der Fall, dass dies passieren könnte. Das sind halt keine US-Kurzstreckenraketen, sondern unfassbare Langstreckenraketen –"

Maischberger: "Marschflugkörper."

Jung: "– die tatsächlich russisches Staatsgebiet erreichen könnten."

Stimmt das? Ist der Taurus eine Langstreckenrakete?

Der Definition nach handelt es sich beim Taurus nicht um eine Rakete, sondern um einen Marschflugkörper. Marschflugkörper zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Flugbahn- und Höhe eigenständig ändern können. Möglich machen dies eigene Navigations- und Steuersysteme. Durch Tragwerke können sie außerdem wie Flugzeuge Auftrieb gewinnen und verlieren. Das grenzt Marschflugkörper von ballistischen Raketen ab. Deren Flugkurve ist weitestgehend schon beim Start vorgegeben und entspricht einer Parabel. Deshalb sind Marschflugkörper in der Regel zielgenauer als ballistische Raketen und können auch schwer erreichbare Ziele präzise treffen. Dank ihres Trag- und Steuerwerks können Marschflugkörper außerdem vergleichsweise niedrig fliegen, auch unter feindlichem Radar, und sind deshalb schwer abzuwehren.

Der Taurus hat eine Reichweite von etwa 500 Kilometern. Zwar fliegt er damit weiter als die meisten anderen Marschflugkörper, aber immer noch deutlich kürzer als eine Langstreckenrakete, deren Reichweite üblicherweise zwischen 3.500 und 5.500 Kilometern beträgt. Was die bloße Reichweite angeht, ist der Taurus eher mit einer Kurzstreckenrakete vergleichbar, die der technischen Definition nach zwischen 300 und 800 Kilometer weit fliegen kann.

In diese Kategorie fällt z.B. das Waffensystem ATACMS (Army Tactical Missile System), das die USA bereits an die Ukraine liefern. Diese Kurzstreckenraketen haben eine Reichweite von bis zu 300 Kilometern. Vor dem Hintergrund, dass die USA diese Raketen bereits an die Ukraine liefern, forderte der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, Bundeskanzler Olaf Scholz unlängst dazu auf, sein Nein zur Abgabe von Taurus-Marschflugkörpern zu überdenken.

Wie oben gezeigt, sind Kurzstreckenraketen und Marschflugkörper allerdings nur bedingt miteinander vergleichbar. 

Neben den ATACMS verfügt die Ukraine bereits über westliche Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow, die aus Großbritannien und Frankreich geliefert werden. Taurus und Storm Shadow sind sich in vielen Aspekten ähnlich. Bei beiden handelt es sich um Luft-Boden-Marschflugkörper. Das bedeutet, dass sie aus der Luft abgeschossen werden, um Ziele am Boden oder zur See zu treffen. Viele Kampfjets können mit beiden Systemen gleichermaßen bestückt werden. 

Ein wesentlicher Unterschied liegt allerdings in der Reichweite: Während der Taurus, wie oben beschrieben, Ziele in bis zu 500 Kilometern Entfernung treffen kann, reichen die Storm Shadows nach Angaben des Herstellers etwa 250 Kilometer weit, andere Quellen geben bis zu 300 Kilometer an.

Die Reichweite ist für Olaf Scholz ein zentrales Argument, den Taurus nicht an die Ukraine zu liefern. "Das ist ein Marschflugkörper, der 500 Kilometer weit fliegen kann, wenn man das richtig macht. Und der ist auch effektiv und präzise. Damit können wir direkt ein Wohnzimmer ansteuern", sagte Scholz am 27.4.2024 bei einem SPD-Bürgerdialog in Lüneburg. Eine Lieferung sei nur verantwortlich, wenn Deutschland die Kontrolle über die Zielsteuerung behalte. "Das dürfen wir aber nicht machen. Weil, wenn wir das täten, wären wir beteiligt an dem Krieg", betonte der Kanzler. 

Scholz wird von der Union, aber auch von Politikern seiner beiden Koalitionspartner Grüne und FDP für sein Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern in die Ukraine scharf kritisiert.

Fazit: Der Taurus ist keine Langstreckenrakete. Vielmehr handelt es sich um einen Marschflugkörper, der mit seiner Reichweite von bis zu 500 Kilometern eher mit einer Kurzstreckenrakete vergleichbar ist. Dadurch dass der Marschflugkörper seine Route noch im Flug ändern kann, ist er aber deutlich zielgenauer als eine Rakete. Die Ukraine verfügt bereits über westliche Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow. Dieser ähnelt dem Taurus in vielen Aspekten, hat jedoch eine deutlich geringere Reichweite. Dass der Taurus mit seiner großen Reichweite auch Ziele auf russischem Staatsgebiet treffen könnte, ist für Olaf Scholz ein zentrales Argument, den Marschflugkörper nicht an die Ukraine zu liefern.

Stand: 01.05.2024

Autor: Tim Berressem