Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 15.05.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Gabor Steingart, Anja Maier, Petra Gerster, Ilse Aigner, Jürgen Trittin
Die Gäste (v.l.n.r.): Gabor Steingart, Anja Maier, Petra Gerster, Ilse Aigner, Jürgen Trittin | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Ist die Jobaufnahme seit Einführung des Bürgergelds gesunken?

Ist die Jobaufnahme seit Einführung des Bürgergelds gesunken?

Der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und die Präsidentin des bayerischen Landtags Ilse Aigner (CSU) diskutierten bei Sandra Maischberger unter anderem über das Bürgergeld. Dabei griff Sandra Maischberger eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit auf. Die Studie besagt, dass weniger Bürgergeldbezieher eine Arbeit aufnehmen würden als unter dem Hartz-IV-System.

Studie zum Bürgergeld: Ist die Jobaufnahme gesunken? | Video verfügbar bis 15.05.2025

Maischberger: "Und beim Bürgergeld gibt es jetzt eine Studie vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, die gerade festgestellt hat, dass seitdem das Bürgergeld eingeführt worden ist – es hat ja Hartz IV abgelöst – ist es offensichtlich so, dass weniger Langzeitarbeitslose eine Arbeit aufnehmen, minus 5,7 Prozent sind das. Gibt es dann Fehler bei den Anreizen beim Bürgergeld? Muss das reformiert werden, wie ja auch die Union fordert?"

Klingbeil: "Ich will erstmal beim Bürgergeld daran erinnern, dass wir da ein Bundesverfassungsgerichtsurteil umsetzen zum Existenzminimum. Es geht schlichtweg um die Frage, wie viel muss jemand haben vom Staat. Was ja überhaupt nicht diskutiert wird beim Bürgergeld ist, dass wir etwas ganz anderes im System machen als früher, wo man Leute irgendwie wahllos in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gesteckt hat, damit sie irgendwie beschäftigt sind. Jetzt gibt es einen Weg sie auf den ersten Arbeitsmarkt zu bringen und das ist das, was richtig ist. Und ein bisschen, würde ich sagen, bezweifle ich Studien, die nach so kurzer Zeit schon so heftige Aussagen treffen. Natürlich müssen wir uns das Bürgergeld angucken, da ist auch eine Evaluierung vorgesehen, ob es funktioniert oder nicht. Aber eine politische Debatte, die ich gerade erlebe, wo man sagt, wir müssen jetzt das alles unter das Existenzminimum drücken und wir müssen dann vielleicht die Löhne auch noch runterdrücken. Es muss doch genau in die andere Richtung gehen. Wer fleißig ist, wer arbeitet, der muss bessere Löhne haben."

Hintergrund: Ist die Jobaufnahme seit Einführung des Bürgergelds gesunken?

Zu Beginn des Jahres 2024 entfachte der politische Streit um das Bürgergeld erneut. Grund dafür war die Erhöhung der Regelsätze für Sozialleistungen um 12 Prozent aufgrund steigender Lebenshaltungskosten. Das Bürgergeld sei zu hoch und führe dazu, dass einige Bezieher nicht arbeiten würden. Arbeiten lohne sich schlicht nicht mehr, oder nicht genug. In einigen Fällen würden Arbeitnehmer sogar schlechter dastehen als Bürgergeldempfänger. Diese Aussagen hört man aus dem politisch liberalen und konservativen Lager. Als Konsequenz fordert die CDU, das Bürgergeld in seiner jetzigen Form abzuschaffen und durch eine neue Grundsicherung zu ersetzen. Diese solle sich nach dem Grundsatz "Fördern und Fordern" richten. Dabei "werden Menschen, die arbeiten können, auch arbeiten gehen müssen. Ansonsten entfallen Sozialleistungen", erklärte der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Die FDP sprach sich für eine Verschärfung der bestehenden Sanktionen aus. "Wer […] zumutbare Arbeit ohne gewichtigen Grund ablehnt, sollte mit einer sofortigen Leistungskürzung von 30 Prozent rechnen müssen", heißt es in einer Beschlussvorlage für den vergangenen Parteitag. Durch die Auszahlung von Bürgergeld tritt der Staat im Niedriglohnsektor mit der Privatwirtschaft in "Lohnkonkurrenz". Der Vorwurf von Kritikern der Bürgergeldreform lautet, der Staat entziehe dem Arbeitsmarkt Arbeitnehmer, da diese lieber das "Gehalt" des Staates (Bürgergeld) annehmen würden, statt für einen, relativ gesehen, geringen Lohn arbeiten zu gehen. Kurz: Das Bürgergeld verringere den Anreiz zu arbeiten. Dieser Mechanismus blase nicht nur den Sozialstaat durch hohe Kosten und verringerte Steuereinnahmen auf, sondern begünstige gleichzeitig den Fachkräftemangel. Doch stimmt diese Aussage eigentlich?

Wie ist die bisherige Studienlage?

Bisherige Studien betrachteten vor allem die monetäre Dimension dieser Frage und kamen zu dem Ergebnis, dass Arbeit in jedem Fall lohnender sei als der Bezug von Bürgergeld. Das liege an Transferleistungen, die nur Erwerbstätige (mit geringem Einkommen) beantragen können, um ihre Lebenshaltungskosten zu bestreiten, wie Wohngeld, Kinderzuschläge, Unterhaltszuschuss oder Freibeträge. Ebendiese staatlichen Leistungen stehen Beziehern von Bürgergeld nicht zur Verfügung. Demnach hätten Arbeitnehmer am Ende des Monats immer mehr Geld zu Verfügung, das deutsche Sozialsystem sei darauf ausgelegt, das zu gewährleisten. Das Gegenteil könne nur der Fall sein, wenn Transferleistungen nicht in Anspruch genommen würden.

Die IAB-Studie

Die in der Sendung zitierte Studie des IAB ist die erste, die sich mit der Frage beschäftigt, wie sich der Bezug von Bürgergeld darauf auswirkt, ob Arbeitslose wieder beginnen zu arbeiten und welchen Einfluss Sanktionen auf diese Entscheidung haben. Dafür wurden Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) bis zum Ende des Jahres 2023 untersucht – dem Jahr, in dem das Bürgergeld eingeführt wurde. Der Einfluss anderer Faktoren, wie der Corona-Pandemie, die Rezession und die Herausforderung, ukrainische Geflüchtete, die Bürgergeld beziehen, in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wurden aus den Daten herausgerechnet, um allein die Effekte des Bürgergeldes zu betrachten. Von den rund 5,5 Millionen Leistungsbeziehern im Jahr 2023 waren 1,6 Millionen arbeitslos und erwerbsfähig. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Jobaufnahme der Menschen in Grundsicherung im Jahr nach der Reform monatlich um 5,7 Prozent gesunken ist. Rund sechs von hundert Stellen pro Monat, die zuvor von Hartz-IV-Empfängern ausgefüllt wurden, blieben somit unbesetzt. Zudem konnten die Forschenden beobachten, wie sich Sanktionen auf die Jobaufnahme auswirken. Im Jahr 2019, als ein Bundesverfassungsgerichtsurteil die maximale Sanktionshöhe auf 30 Prozent der Leistungen reduzierte, sank die Jobaufnahme um 2,6 Prozent pro Monat. In den sechs Monaten vor der Bürgergeldreform, von Juli bis Dezember 2022, setzte die Ampelkoalition die Hartz-IV-Sanktionen bei sogenannten "Pflichtverletzungen", wie der Ablehnung einer Arbeitsstelle, aus. Während diesem "Sanktionsmoratorium" sei die Jobaufnahme bereits um vier Prozent gesunken.

Diese Ergebnisse scheinen die Sorge, das Bürgergeld und seine zu lockeren Sanktionen würden die Anreize zu arbeiten verringern, zu bestärken. Härtere Sanktionen wirken sich laut der Studie nicht nur auf die kleine Gruppe der Sanktionierten aus, sondern auf das Verhalten aller Leistungsbezieher.

Woher könnten diese Ergebnisse kommen?

Die Autoren der Studie erklären die gesunkene Jobaufnahme unter anderem damit, dass die Bürgergeldreform, im Vergleich zum Hartz-IV-System, weniger streng sei. Die verhängten Sanktionen bei der Verweigerung eines Jobangebots hätten sich mehr als halbiert und auch die Kürzung der Leistungsbezüge aufgrund von Sanktionen sei um 43 Prozent zurückgegangen. Ein weiterer zentraler Faktor bestehe zudem in den geänderten Prioritäten, die die Bürgergeldreform mit sich gebracht habe. So sind Weiterbildungen und das Nachholen von Qualifikationen wichtiger als die reine Vermittlung eines Arbeitsplatzes, wie zuvor unter Hartz IV. Diese Grundidee des Bürgergeldes stelle die Studie nicht in Frage, betont der Autor Enzo Weber. Man müsse mehr Arbeitsaufnahmen und eine hohe Qualität der Jobs zusammenbringen. Angetretene Weiterbildungsmaßnahmen könnten in der betrachteten Frist zu einer Verringerung der Jobaufnahme geführt haben.

Fazit: Bisherige Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Arbeit aus rein monetärer Perspektive, im Gegensatz zum Bürgergeldbezug immer lohnt. Der deutsche Sozialstaat ist darauf ausgelegt, dass bei Erwerbstätigkeit und ergänzenden Transferleistungen, mehr Einkommen zu Verfügung steht. Betrachtet man die Frage, ob das Bürgergeld den Anreiz reduziert, einen Job aufzunehmen, liefert die IAB-Studie erste wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Forschenden kommen zu dem Ergebnis, dass die Jobaufnahme in den zwölf Monaten nach Einführung des Bürgergelds monatlich um fast sechs Prozent zurückgegangen sei. Auch die Lockerung des Sanktionsregimes habe sich nachweislich negativ auf die Jobaufnahme ausgewirkt. Jedoch sollte mit verfrühten Schlussfolgerungen vorsichtig umgegangen werden. Die Reform ist erst seit kurzer Zeit in Kraft und die Studie betrachtet ebendiesen Zeitraum, es kann demnach nur ein kurzfristiger Effekt errechnet werden. Es ist demnach unklar, wie sich Weiterbildungsmaßnahmen längerfristig auf die Qualität der aufgenommenen Arbeit auswirken. So könnten Betroffene Jobs finden, die ihnen eine Perspektive geben und sie nachhaltiger am Arbeitsmarkt integrieren. Das könnte auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels relevant sein.

Stand: 16.05.2024

Autorin: Aylin Geweniger