Faktencheck zu "maischberger"
Sendung vom 29.05.2024
Faktencheck
Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.
Und das schauen wir uns an:
- Seit wann ist die AfD nach rechts gerückt?
Seit wann ist die AfD nach rechts gerückt?
Hans-Olaf Henkel war AfD-Mitglied und Abgeordneter im Europaparlament ab 2014. Mit Sandra Maischberger sprach er über die Entwicklung der Partei nach seinem Austritt. Henkel zitierte hierbei aus dem Wahlprogramm zur Europawahl 2014. Damals sei die AfD noch nicht rechts gewesen, erst danach sei sie "gekapert" worden. Seit wann vollzog sich der Rechtsruck der AfD? Schauen wir uns das einmal genauer an.
Henkel: "Ich habe mir erlaubt, mal das Wahlprogramm von damals mitzubringen."
Maischberger: "Was ist das, 2014? Europawahlkampf?"
Henkel: "Das ist das Europawahlprogramm von 2014."
Maischberger: "Sie sind ja dann auch ins Parlament gegangen."
Henkel: "Ich bin ins Parlament gegangen. Ich glaube es ist wichtig, dass ich mal ein paar Sachen vorlese. Hier steht, ausländische Arbeitnehmer sind in den Mitgliedsstaaten genauso zu entlohnen und unterliegen gleichen gesetzlichen Regelungen wie inländische Arbeitnehmer. Der Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen zulasten ausländischer und deutscher Arbeitnehmer ist zu unterbinden. Und jetzt noch ein Zitat: Die AfD tritt für ein offenes und ausländerfreundliches Deutschland ein und bejaht sowohl die Niederlassungsfreiheit als auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Und vielleicht noch eins. Humanitäre Hilfe und Hilfe für Kriegsflüchtlinge ist unbedingt zu gewährleisten und zu verbessern. Das war die AfD im Europawahlkampf von 2014. Vergleichen Sie das mit heute, dann wissen Sie, dass die Partei gekapert wurde."
Hintergrund: Seit wann ist die AfD nach rechts gerückt?
Am 19. Mai 2010 erklärte Angela Merkel im Bundestag, das zuvor beschlossene EU-Rettungspaket für Griechenland sei "alternativlos" für die Stabilität des Euros. Alternativlos wurde daraufhin zum Unwort des Jahres gewählt und zum Aufhänger im Protest gegen die Eurorettungspolitik nach der Finanzkrise, aus dem die Alternative für Deutschland (AfD) im Jahr 2013 gegründet wurde. Sie verstand sich als "Graswurzelbewegung des Widerstands gegen eine von den Eliten betriebene undemokratische, weil angeblich alternativlose Politik". Stimmungsmache gegen sogenannte "Altparteien" gehörte von Beginn an zu ihrer DNA. In ihrer Aufbau- und Gründungszeit wurde die AfD von Politikwissenschaftlern als liberal-konservative und eurokritische Partei eingeordnet. Während die Wahlkampagnen zur Bundestagswahl 2013 und Europawahl 2014 eine kontrollierte Auflösung der Währungsunion als Kernforderung hatten, habe die AfD ab 2014 begonnen ein rechtspopulistisches und rechtsextremes Profil herauszubilden.
Bereits von Anfang an "rechts der Union"
Doch wie vollzog sich das im Detail? Die FAZ schrieb schon einige Monate nach Gründung der AfD, im September 2013, die Partei positioniere sich mit Blick auf das Grundsatzprogramm "rechts von der Union" und umwerbe die von Merkel enttäuschten Protestwähler. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa verortete zeitgleich die Mehrzahl der AfD-Anhänger im rechts-konservativen Milieu, überproportional viele hätten früher bereits rechte Parteien gewählt. Obwohl die Parteispitze angab Mitgliedsanträge zu prüfen, um rechte Gesinnungen auszuschließen, ließen sich bei Parteimitgliedern und Funktionären im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 Verbindungen in die rechtsextreme Szene nachweisen. So unterhielt der damalige Bundestagskandidat (und heutige Abgeordnete) Kay Gottschalk Verbindungen zu der neurechten Identitären Bewegung.
Neben der Eurokritik nahm die AfD auch in der Zuwanderungspolitik konservative Positionen ein und kombinierte ökonomische und kulturelle Konfliktlinien auf Wahlplakaten zur Bundestagswahl 2013 mit Parolen wie "Klassische Bildung statt Multikulti-Umerziehung" und "Wir sind nicht das Weltsozialamt".
Anmerkung: Hans-Olaf Henkel sagte in Hinblick auf die Bundestagswahl 2013 in der Sendung fälschlicherweise:
"(…) ich muss auch noch mal darauf aufmerksam machen, dass zum Beispiel in der Bundestagswahl 2013, wo die AfD 4,7 Prozent bekommen hat, die NPD ebenfalls mit einem fast gleichen Ergebnis in den Bundestag eingezogen ist."
Dabei meinte er, dass AfD und FDP jeweils mit einem Ergebnis von 4,7 Prozent und 4,8 Prozent nicht in den Bundestag einzogen sind.
Vom Wirtschaftsliberalismus zu rechtspopulistischen Forderungen
Je mehr die Euro-Rettungspolitik in der Öffentlichkeit in den Hintergrund geriet und die Migrationsdebatte an Bedeutung gewann, umso stärker kristallisierte sich die Migrationskritik als Kernthema der AfD heraus. Wirtschaftsliberale Positionen verloren an Gewicht, während national-konservative Stimmen innerhalb der Partei die Oberhand gewannen. Der Rechtsruck wurde durch die erfolgreichen Landtagswahlen im Osten 2014 bestärkt, den die dortigen Landesverbände als Bestätigung dafür auffassten, den wirtschaftsliberalen Kurs gegen eine breitere rechtspopulistische Ausrichtung auszutauschen.
Der innerparteiliche Machtkampf
Im März 2015 gipfelte der Richtungskampf in der "Erfurter Resolution", die den gemäßigten Kurs des Vorstands in Frage stellte, da er zu nah an den etablierten Parteien sei. Ziel der Initiatoren der Resolution war die Verschiebung der AfD weiter an den rechten Rand. Zu ihren Erstunterzeichnern gehörten Björn Höcke und Alexander Gauland. In der Folge entstand der "Flügel", das völkisch-nationalistische Netzwerk der AfD unter der Führung von Höcke. Einer der damaligen Bundessprecher, Bernd Lucke, versuchte Mitglieder des "Flügels" aus dem Bundesvorstand fernzuhalten und bemühte sich um ein Parteiausschlussverfahren von Höcke. Es zeichnete sich jedoch ab, dass die mehrheitlich "gemäßigte" Parteiführung den Rückhalt der Mitglieder und Funktionäre verloren hatte: Als Gegeninitiative zur "Erfurter Resolution" rief Lucke den "Weckruf 2015" ins Leben, der den liberal-konservativen Kurs der AfD sichern sollte. Mit einer Satzungsänderung wollte er den innerparteilichen Machtkampf für sich entscheiden und zum alleinigen Parteivorsitzenden werden. Beim Bundesparteitag im Juli 2015 scheiterte Lucke mit seinem Vorhaben. Statt ihm wurde Frauke Petry, ebenfalls Gründungsmitglied, zur Bundessprecherin gewählt (zusammen mit Jörg Meuthen). Zwar gehörte Petry nicht dem "Flügel" an, sie stand aber zwischen den Lagern und galt damit als mehrheitsfähig.
Nach seiner Niederlage verließ Lucke, gemeinsam mit seinen Anhängern, die Partei und erklärte er wolle nicht länger als "bürgerliches Aushängeschild […] missbraucht werden", islam- und ausländerfeindliche Ansichten hätten in der AfD die Oberhand gewonnen. Der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann erklärte im Gegensatz dazu in einem Interview nach Luckes Austritt, die AfD sei von Beginn an eine populistische und rechte Partei gewesen. Lucke habe die Wähler und Mitläufer aus diesem Milieu toleriert, solange er die Macht hatte.
Erstarken rechtsextremer Kräfte
Nach Luckes Rücktritt wurde der Weg für die rechten Kräfte in der Partei frei. Im Zuge der Flüchtlingswelle 2015 erkannte die AfD, dass sich Krisennarrative für ihre Agenda eignen. Die Umfragewerte der Partei stiegen. Auf dem Bundesparteitag 2016 wurde das erste Grundsatzprogramm seit der Gründung 2013 beschlossen, es enthält Thesen wie "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" und "Der Zuzug von Flüchtlingen soll gestoppt werden". Die AfD bekleidete zunehmend Fundamentalpositionen und Frauke Petry, die vor Luckes Rücktritt Rückhalt vom rechtsnationalen "Flügel" bekommen hatte, galt nun in der Partei als zu gemäßigt. In einem erneuten Machtkampf wurden auf dem Parteitag 2017 Alexander Gauland und Alice Weidel als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl gewählt. Die AfD zog 2017 erstmals in den Bundestag ein und Frauke Petry verließ kurze Zeit später die Partei.
Einstufung als rechtsextrem
Zeitgleich gewann die rechtsnationale "Flügel"-Strömung zunehmend an Bedeutung. Seine Anhänger und ihm nahestehende Parteifunktionäre fielen (und fallen) durch offen zur Schau gestellte rechtsradikale Positionen und Verharmlosungen der NS-Zeit auf. In einigen ostdeutschen Bundesländern stellen "Flügel"-Vertreter die Mehrheit der Landesverbände und auch die Parteispitze auf Bundesebene verdankt ihm ihre Posten und ist auf die eine oder andere Weise mit ihm verbunden.
Im Januar 2019 stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz die Jugendorganisation Junge Alternative und den "Flügel" als Verdachtsfall für rechtsextremistische Bestrebungen ein. Fortan durfte der "Flügel" mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden. Ab April 2020 galt er als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung und Beobachtungsfall. Für die Partei wurde das zum Problem, da die Trennlinien zwischen Partei und "Flügel"-Strömung nicht klar waren. Der "Flügel" kennt keine Mitgliedschaft, sondern Zugehörigkeit. Da die Existenz des Netzwerks die Darstellung der AfD als bürgerliche Partei unglaubwürdig machte und Wahlerfolge gefährdete, wurde er kurze Zeit später vom Parteivorstand formal aufgelöst. AfD-Experten sahen die Auflösung jedoch schon damals als Vorwand. Sie gehen davon aus, dass Treffen des "Flügel"-Netzwerks weiterhin stattfinden.
Seit März 2021 stuft der Verfassungsschutz die Partei auf Bundesebene als rechtsextremen Verdachtsfall ein und beobachtet sie mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Sowohl dagegen als auch gegen die Einstufung ihrer Jugendorganisation ging die AfD in Unterlassungsklagen vor. Am 13.05.2024 urteilte das Oberverwaltungsgericht Münster, dass der Verfassungsschutz die gesamte AfD weiterhin als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen darf. Es gebe ausreichend Anhaltspunkte, "dass die Partei Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet" seien.
Heute sind neben dem Bundesverband der Jungen Alternative fünf weitere ihrer Landesverbände als gesichert rechtsextrem eingestuft. Zudem wurden die AfD-Landesverbände Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt als "gesichert rechtsextreme Bestrebung" eingestuft.
Fazit: Die AfD wurde vor dem Hintergrund der 2010 ausbrechenden Krise der Europäischen Währungsunion im Jahr 2013 gegründet. Die Partei sah die Eurorettungspolitik als gescheitert an und forderte in ihrem ersten Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 die Auflösung der Währungsunion. Während der Aufbau- und Gründungsphase der Partei sahen Politikwissenschaftler eine liberal-konservative Ausrichtung. Die AfD bewegte sich im Parteienspektrum rechts der Union und vertrat in der Familien- und Zuwanderungspolitik konservative Positionen. Als sich die öffentliche Debatte zunehmend vom Euro wegbewegte, geriet die Migrationskritik als Kernthema der AfD in den Vordergrund. In diesem Zuge verschoben sich die innerparteilichen Gewichte vom anfänglich dominanten Wirtschaftsliberalismus hin zu national-konservativen Positionen. Dieser Rechtsruck mündete in einen innerparteilichen Richtungskampf, bei dem die mehrheitlich "gemäßigte" Parteiführung den Rückhalt verlor. Auf dem Bundesparteitag 2015 verlor sie den Machtkampf gegen die radikalen Kräfte. Das rechtsnationale "Flügel"-Netzwerk dominierte seitdem das Parteigeschehen und galt bis zu seiner formalen Auflösung als gesichert rechtsextremistische Bestrebung. Ehemalige Funktionäre wie Hans-Olaf Henkel und Bernd Lucke betonten nach ihren Austritten, die AfD sei von Rechten "gekapert" worden. Politikwissenschaftler sehen jedoch Hinweise, dass die Partei von Beginn an rechte Wähler und Mitläufer tolerierte. Zudem wurden einigen Parteimitgliedern und Funktionären bereits vor der Bundestagswahl 2013 Verbindungen in die rechte Szene nachgewiesen.
In eigener Sache
In der Sendung vom 29.05.2024 ist uns in einem Einspieler ein Fehler unterlaufen. Die Politikerin Marine Le Pen wurde fälschlicherweise als Parteivorsitzende der "Front National" betitelt. Die Partei heißt seit Juni 2018 "Rassemblement National" und Marine Le Pen ist seit 2022 nicht mehr deren Vorsitzende, sondern Fraktionschefin in der französischen Nationalversammlung. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.
Stand: 31.05.2024
Autorin: Aylin Geweniger