Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 12.06.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Vassili Golod, Julie Kurz, Waldemar Hartmann, Klaus Wowereit, Marina Weisband
Die Gäste (v.l.n.r.): Vassili Golod, Julie Kurz, Waldemar Hartmann, Klaus Wowereit, Marina Weisband | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wie schätzte Sahra Wagenknecht in einer "Anne Will"-Sendung vom 20. Februar 2022, vier Tage vor Beginn des russischen Angriffskriegs, die Kriegsgefahr für die Ukraine ein?
  • Haben die Nato-Staaten höhere Militärausgaben als Russland?
  • Hat der damalige Vizeaußenminister der Ukraine, Andrij Melnyk, auf Twitter zu einem Attentat an Sahra Wagenknecht aufgerufen?

Wie schätzte Sahra Wagenknecht in einer "Anne Will"-Sendung vom 20. Februar 2022, vier Tage vor Beginn des russischen Angriffskriegs, die Kriegsgefahr für die Ukraine ein?

Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht äußerte sich bei "maischberger" u.a. zum Kriegsverlauf in der Ukraine. In diesem Zusammenhang sprach Sandra Maischberger sie auf einen Auftritt kurz vor Kriegsbeginn in der ARD-Sendung von Anne Will an, wo Wagenknecht einen baldigen Einmarsch Russlands in die Ukraine als unwahrscheinlich einschätzte. Was Sahra Wagenknecht genau in der "Anne Will"-Sendung vom 20.Februar 2022 sagte, schauen wir uns hier noch einmal näher an.

Wagenknechts Einschätzung kurz vor Kriegsbeginn: Was sagte sie in der "Anne Will"-Sendung vom 20.2.2024? | Video verfügbar bis 12.06.2025

Maischberger: "Sie haben sich einmal fundamental geirrt, und zwar am Vorabend des Krieges, wo Sie gesagt haben, Putin wird auf keinen Fall in die Ukraine einmarschieren. Und Sie haben noch einen Satz gesagt, den ich wirklich interessant finde. Sie haben gesagt: 'Wir können heilfroh sein, dass der Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird, nämlich ein durchgeknallter russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben. Wenn das so wäre, dann wäre wahrscheinlich Diplomatie hoffnungslos verloren.' Nur die Frage: Haben Sie einen Plan B, nur für den Fall, dass Sie sich wieder irren?"

Wagenknecht: "Ich bin überzeugt, dass der Krieg nicht deshalb begonnen hat, weil sich jemand daran berauscht, Grenzen zu verschieben. Ich finde diesen Krieg entsetzlich –"

Maischberger: "Haben Sie einen Plan B, wenn Putin anders ist, als Sie ihn einschätzen? Das wäre nur meine Frage."

Wagenknecht: "Wir müssen ja nicht nur sehen, was wir einschätzen, sondern es gibt ja auch Zahlen."

Maischberger: "Es ist eine Einschätzung gewesen, die Sie getroffen haben. Sie haben gesagt, er wird die Ukraine nicht überfallen."

Wagenknecht: "Was heißt denn Plan B? Ich meine, der Plan B ist, dass wir in der Lage sein müssen, unser Land zu verteidigen. Das sind wir allerdings nicht."

Maischberger: "Frau Wagenknecht, Sie haben gesagt, er wird die Ukraine nicht überfallen. Er hat sie überfallen."

Wagenknecht: "Nein, Frau Maischberger. Ich habe es so nicht gesagt."

Maischberger: "Doch. Ich habe das ganze Skript hier."

Wagenknecht: "Ich habe gesagt, wenn die Ukraine weiterhin Teil der amerikanischen Einflusszone und vor allem auch ein militärischer Vorposten wird, dann wird es Krieg geben. Ich habe allerdings tatsächlich diesen Satz gesagt, weil ich nicht der Meinung war, dass der Krieg unmittelbar bevorsteht."

Hintergrund: Wie schätzte Sahra Wagenknecht in einer "Anne Will"-Sendung vom 20. Februar 2022, vier Tage vor Beginn des russischen Angriffskriegs, die Kriegsgefahr für die Ukraine ein?

Der besagte Auftritt von Sahra Wagenknecht bei Anne Will fand am 20. Februar 2022 statt – vier Tage vor Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine. Unter der Überschrift "Keine Entspannung im Konflikt mit Putin – wie ist ein neuer Krieg zu verhindern?" diskutierten neben Sahra Wagenknecht (damals noch Bundestagsabgeordnete in der Fraktion der Linken) der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil und die Juristin und Publizistin Constanze Stelzenmüller über die damalige Situation an der russisch-ukrainischen Grenze. Hintergrund war ein massiver Zusammenzug russischer Truppen entlang der Grenze, der einen baldigen Einmarsch befürchten ließ. US-Präsident Joe Biden hatte kurz zuvor in einer Pressekonferenz mitgeteilt, dass er von einer russischen Invasion binnen weniger Tage ausgehe.

Anne Will fragte Sahra Wagenknecht, ob sie der Meinung sei, dass beide Seiten – die westlichen Verbündeten und Russland – sich ausreichend anstrengten, um eine militärische Eskalation zu verhindern. Wagenknecht entgegnete, dass Russland "faktisch kein Interesse" an einer Invasion habe. Wörtlich sagte sie:

Wagenknecht: "Man muss sich ja schon fragen, wie wir da hingekommen sind, wo wir jetzt stehen. Und die Situation ist hochgefährlich. Und ich finde, sagen wir mal, die Aggressivität, mit der vor allem von amerikanischer Seite ein russischer Einmarsch geradezu herbeigeredet wird, also die ist ja schon bemerkenswert. Man hat manchmal das Gefühl, hier ist der Wunsch der Vater des Gedanken. Und ich meine, Russland, das ist ja relativ deutlich, hat faktisch kein Interesse daran, in die Ukraine einzumarschieren, natürlich nicht."

Anne Will fragte darauf hin:

Will: "Woran machen Sie das fest? Und woraus könnte man das ablesen, wenn man sieht, welche Truppenverbände da aufmarschieren? Und wenn Sie dann sagen, die hätten faktisch kein Interesse einzumarschieren – worum geht es denn dann?"

Auf diese Frage hin betonte Wagenknecht die Sicherheitsinteressen Russlands. Moskau wolle verhindern, "dass die Ukraine Mitglied der Nato wird, dass irgendwann amerikanische Soldaten, amerikanische Raketenbasen auch in der Ukraine stehen". Das "Säbelrasseln" Putins beschrieb Wagenknecht hier als letzten Ausweg. Wörtlich sagte sie:

Wagenknecht: "Naja, was soll ihnen das [Anm. d. Red.: gemeint ist der Einmarsch in die Ukraine] denn bringen? Also, es ist doch ganz klar, das haben ja auch die Russen immer wieder deutlich gemacht, es geht ihnen nicht darum, die Ukraine zu besetzen. Es geht ihnen darum, Sicherheitsgarantien zu bekommen. Das, was Russland will, und das offenbar auch im Notfall mit militärischen Mitteln vorantreiben wird, wenn sie keinen anderen Weg mehr sehen. Das, was sie wollen, ist, dass tatsächlich ausgeschlossen wird, dass die Ukraine Mitglied der Nato wird, dass irgendwann amerikanische Soldaten, amerikanische Raketenbasen auch in der Ukraine stehen. Und wenn man ihnen da Gewissheit gibt, und wenn man möglicherweise auch noch darüber redet, wie insgesamt in Europa eine stabilere Friedensordnung errichtet werden kann, dann wäre das genau der Weg, diesen Konflikt zu entspannen. Und ich finde deswegen wirklich, wir müssen doch einfach sehen, es ist doch eine Katastrophe, dass Russland aktuell offensichtlich gar keinen anderen Weg mehr sieht außer das wörtliche Säbelrasseln, um irgendwie seine Sicherheitsinteressen berücksichtigt zu sehen."

Diesen Punkt unterstrich sie im weiteren Verlauf der Sendung:

Wagenknecht: "Jetzt scheint Putin irgendwo, ja, das Signal aussenden zu wollen, bis hierhin und nicht weiter. Und das bedeutet eine militärische Eskalation, die für uns alle höllisch gefährlich ist, und wo wir ganz, ganz schnell einen Ausweg finden müssen."

Wenig später äußerte sich die heutige BSW-Vorsitzende explizit über Wladimir Putin und beschrieb ihn als "relativ berechenbar". Dieses Zitat führte Sandra Maischberger auch in unserer Sendung an. Wörtlich sagte Wagenknecht bei Anne Will:

Wagenknecht: "Wir können heilfroh sein, dass der Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird. Nämlich ein durchgeknallter russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben. Wenn das so wäre, dann wäre es tatsächlich so, dann wäre wahrscheinlich Diplomatie hoffnungslos verloren. Und ich möchte mir eigentlich nicht ausmalen, wie lange Europa noch bewohnbar wäre. Aber es ist doch eindeutig anders. Putin ist ein kühl kalkulierender Machtpolitiker. So hat er sich immer verhalten, relativ berechenbar."

Dass diese Einschätzung ein Fehler war, räumte Sahra Wagenknecht einen Tag nach Kriegsbeginn, am 25.2.2024, gegenüber der "Welt" ein. Dort sagte sie:

"Dass Putin tatsächlich so weit gehen würde, wie er es jetzt getan hat, hätte ich nicht für möglich gehalten. In der Einschätzung seiner Person und Berechenbarkeit habe ich mich leider geirrt. Für diesen völkerrechtswidrigen Krieg gibt es keine Rechtfertigung oder Entschuldigung."

Fazit: In unserer Sendung sprach Sandra Maischberger die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht auf einen Auftritt kurz vor Kriegsbeginn in der ARD-Sendung von Anne Will an, wo Wagenknecht einen baldigen Einmarsch Russlands in die Ukraine als unwahrscheinlich einschätzte. Wagenknecht sagte in unserer Sendung, sie hätte eine Invasion damals nicht definitiv ausgeschlossen. Tatsächlich beschrieb sie einen baldigen Einmarsch Russlands in die Ukraine damals – vier Tage vor Kriegsbeginn – als unrealistisch, sah dabei aber das Risiko, dass Russland "im Notfall mit militärischen Mitteln" agieren würde. Die Situation im russisch-ukrainischen Grenzgebiet bezeichnete sie als "höllisch gefährlich". Gleichzeitig charakterisierte sie Wladimir Putin als "kühl kalkulierenden Machtpolitiker", der per se kein Interesse daran habe, Grenzen zu verschieben. Dass diese Einschätzung Putins ein Fehler war, räumte Sahra Wagenknecht einen Tag nach Kriegsbeginn öffentlich ein.

Haben die Nato-Staaten höhere Militärausgaben als Russland?

In unserer Diskussion über die Ursachen und den Verlauf des Kriegs kam Sahra Wagenknecht auch auf das Thema Aufrüstung zu sprechen. Konkret sagte sie: "Die Nato gibt zehnmal so viel für Waffen und Kriegsgerät aus wie Russland."

Rüstungsausgaben: Steckt die Nato zehnmal mehr Geld ins Militär als Russland? | Video verfügbar bis 12.06.2025

Wagenknecht: "Ich möchte wirklich auch noch mal auf die Zahlen der Hochrüstung eingehen. Weil immer gesagt wird, Russland ist jetzt die große Kriegswirtschaft. Wir haben weltweit Rekordausgaben für Militär. Zwei Drittel der Militärausgaben weltweit – über zwei Billionen – zwei Drittel werden von westlichen Staaten ausgegeben. Die Nato gibt zehnmal so viel für Waffen und Kriegsgerät aus wie Russland. Wenn Russland sich darauf vorbereitet hätte, einen riesigen imperialen Eroberungsfeldzug zu starten, hätten sie vor dem Krieg schon wesentlich höhere Militärausgaben haben müssen. Sie haben 60 Milliarden Militärausgaben gehabt, das ist weniger als Deutschland jetzt hat."

(…)

Maischberger: "Wir setzen alles, was Sie gesagt haben bei dieser Sendung, damit sich alle ein Bild davon machen können, bei Anne Will am Vorabend, und wir setzen auch noch mal die Militärausgaben bei uns ins Netz, bei uns im Faktencheck. Der Unterschied ist vergleichsweise mit dem Bruttoinlandsprodukt, da ist Russland viel weiter vorne als die Nato-Länder. Nur einfach, um das reinzubringen."

Wagenknecht: "Weil sie natürlich auch ein viel niedrigeres Inlandsprodukt haben."

Stimmt das? Hat die Nato zehnmal höhere Militärausgaben als Russland?

Aktuelle Zahlen über die weltweiten Militärausgaben liefert regelmäßig das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI. Demnach stieg der Wert im Jahr 2023 auf ein Rekordniveau von etwa 2,4 Billionen US-Dollar. Laut dem Bericht bleiben die USA mit einer Summe von 916 Milliarden US-Dollar mit weitem Abstand das Land mit den größten Militärausgaben. Auf Platz zwei steht China (schätzungsweise 296 Milliarden US-Dollar), gefolgt von Russland (schätzungsweise 109 Milliarden US-Dollar). Die deutschen Militärausgaben lagen laut den SIPRI-Daten bei rund 67 Milliarden US-Dollar (rund 62,8 Milliarden Euro), neun Prozent mehr als 2022. In der Rangliste landete Deutschland damit wie im Vorjahr auf Platz sieben.

Mehr als die Hälfte der weltweiten Militärausgaben entfielen laut der Analyse 2023 auf die Nato-Staaten. Die Mitgliedsstaaten des westlichen Verteidigungsbündnisses gaben vergangenes Jahr demnach zusammen 1,34 Billionen US-Dollar für das Militär aus. Das bedeutet auch: Die insgesamt 31 Nato-Mitglieder investierten 2023 zusammen genommen etwa 12-mal so viel Geld ins Militär wie Russland.

Russland hat größere Militärausgaben im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung

Um eine bessere Vergleichbarkeit zwischen den Staaten herzustellen, setzen die Analysten die Militärausgaben üblicherweise in Relation zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt (BIP). Hierbei zeigt sich, dass Russland deutlich vor den USA und den übrigen Nato-Staaten liegt. Während Russland etwa 5,9 Prozent der Wirtschaftsleistung ins Militär steckte, waren es in den USA knapp 3,4 Prozent. Sämtliche Nato-Staaten zusammengenommen liegen bei 1,9 Prozent. Am größten ist der Anteil in der Ukraine: In dem von Russland angegriffenen Land machten die Militärausgaben im Jahr 2023 rund 37 Prozent des BIP aus.

Im Übrigen gehen die Analysten von SIPRI davon aus, dass die russischen Militärausgaben weiter deutlich steigen werden. So wird der Wert für das laufende Jahr 2024 auf rund 140 Milliarden US-Dollar geschätzt – ein Anstieg um knapp 29 Prozent. Der geschätzte Anteil am BIP läge damit bei 7,1 Prozent.

Vergleichbarkeit bei den Militärausgaben nur schwer herzustellen

Experten weisen jedoch darauf hin, dass das Verhältnis der Militärausgaben zum BIP nur bedingt Aufschluss über die tatsächlichen militärischen Kräfteverhältnisse zwischen den Staaten geben kann. Das liegt an der unterschiedlichen Beschaffenheit der Volkswirtschaften. Ein Panzer oder Kampfflugzeug ist im Geltungsbereich des Rubels zu großen Teilen billiger herzustellen als in den USA oder der Euro-Zone. Auch die Kosten für das Militärpersonal sowie für Güter und Dienstleistungen liegen in Russland teils beträchtlich unter dem Niveau der westlichen Staaten.

Um diese Effekte im Ländervergleich abzubilden, reicht es nicht aus, die jeweiligen Militärausgaben bloß in US-Dollar umzurechnen. Vielmehr ist ein Vergleich nach sogenannten Kaufkraftparitäten (KKP) notwendig. KKP geben an, wie viele Währungseinheiten eine bestimmte Menge von Waren und Dienstleistungen in unterschiedlichen Staaten kostet. Diese Umrechnung ist sehr kompliziert und wird in Bezug auf Militärausgaben nicht regelmäßig durchgeführt.

Welchen Unterschied der Vergleich nach KKP machen kann, zeigen exemplarische Berechnungen des australischen Militärökonomen Peter Robertson für das Jahr 2019. Das Ergebnis: Während sich die russischen Militärausgaben damals nach handelsüblichem Wechselkurs auf ca. 65 Milliarden US-Dollar beliefen, waren es nach KKP-Umrechnung etwas über 200 Milliarden US-Dollar – also mehr als das Dreifache. Peterson räumt dabei selbstkritisch ein, dass seine Berechnungen durchaus Unsicherheiten beinhalten. Zu weiten Teilen fußen sie auf Schätzungen.

Zusammenfassend kann man also festhalten, dass eine echte Vergleichbarkeit bei den Militärausgaben nur sehr schwer herzustellen ist.

Fazit: In unserer Diskussion über den Krieg in der Ukraine kam Sahra Wagenknecht auf das Thema Aufrüstung zu sprechen. Konkret sagte sie: "Die Nato gibt zehnmal so viel für Waffen und Kriegsgerät aus wie Russland." Schaut man sich die absoluten Zahlen an, zeigt sich, dass die 31 Nato-Staaten zusammengenommen im Jahr 2023 tatsächlich 12-mal mehr Geld ins Militär steckten als Russland. Den größten Teil machten dabei die USA aus. Setzt man die Militärausgaben aber ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, liegt Russland sowohl vor den USA als auch vor der Gesamtheit aller Nato-Partner. Eine echte Vergleichbarkeit ist aber nur schwer herzustellen. Um die volkswirtschaftlichen Unterschiede abzubilden, reicht es nicht aus, die jeweiligen Militärausgaben bloß in US-Dollar umzurechnen. Ein Vergleich nach sogenannten Kaufkraftparitäten wäre präziser. Diese Form der Umrechnung ist aber sehr kompliziert und wird in Bezug auf Militärausgaben nicht regelmäßig durchgeführt. Entsprechende Berechnungen haben jedoch bereits gezeigt, dass die Militärausgaben eines Landes nach bloßem Dollar-Umrechnungskurs teils drastisch unterbewertet werden.

Hat der damalige Vizeaußenminister der Ukraine, Andrij Melnyk, auf Twitter zu einem Attentat an Sahra Wagenknecht aufgerufen?

Sandra Maischberger fragte Sahra Wagenknecht in der Sendung, weshalb sie – anders als zahlreiche andere deutsche Politiker – seit Kriegsbeginn nie selbst in die Ukraine gereist sei, um sich ein Bild der Lage vor Ort zu machen. Frau Wagenknecht erwiderte, dass sie, im Falle eines Besuchs, um ihr Leben zu fürchten habe, da der damalige Vizeaußenminister der Ukraine, Andrij Melnyk, in einem Post auf Twitter zu ihrer Ermordung aufgerufen habe.

Aufregung um Melnyk-Äußerung: Hat der damalige Vizeaußenminister der Ukraine auf Twitter zu einem Attentat an Sahra Wagenknecht aufgerufen?

Maischberger: "Frau Wagenknecht, Sie sind seit Anfang an Kritikerin, auch der westlichen Waffenlieferungen und der Unterstützung. Waren Sie, nein, Sie waren nicht in der Ukraine. Warum eigentlich nicht?"

Wagenknecht: "Na ja, der damalige Vizeaußenminister Melnyk, der früher ja auch Botschafter war, hat ja per Twitter aufgefordert, mich umzubringen. Das ist jetzt nicht eine Einladung, in das Land zu fahren. Ich finde es entsetzlich, was in der Ukraine geschieht."

Maischberger: "Er ist ja zwischendurch weit weg, in Südamerika."

Wagenknecht: "Ja, schon. Aber er hat ja doch engagierte Anhänger, nehme ich mal an, auch in der Ukraine."

Stimmt das? Hat der damalige Vizeaußenminister der Ukraine, Andrij Melnyk, auf Twitter zu einem Attentat an Sahra Wagenknecht aufgerufen?

Wie ihr Büro unserer Redaktion auf Nachfrage mitteilte, bezog sich Sahra Wagenknecht bei ihrer Aussage auf einen Tweet Andrij Melnyks vom 23.04.2023. Darin heißt es: "Oskar Lafontaine und seine Frau Sahra Wagenknecht sind beide die schlimmsten Komplizen vom Kriegsverbrecher Putin, die als solche noch zur Rechenschaft gezogen werden. Und zwar sehr bald".

Wagenknecht sah in dieser Aussage eine "Morddrohung", wie sie bei einem Auftritt in der Sendung von Anne Will am 17.09.2023 ausführte: "Herr Melnyk hat mich öffentlich mit einer Morddrohung überzogen. Also, ich fahre doch nicht in ein Land, wo mir angedroht wird, dass ich umgebracht werde." Dass es sich bei seinem Tweet um eine Morddrohung gehandelt haben soll, bestritt Melnyk am Folgetag: "Nie habe ich sie 'mit einer Morddrohung überzogen'. Bullshit! Ich prophezeite nur, sie werde für ihre Mittäterschaft zur Rechenschaft gezogen".

Auch während der Ausstrahlung unserer Sendung vom 12.06.2024 wies Melnyk die Anschuldigung von Frau Wagenknecht auf X (vormals Twitter) zurück. Die Behauptung, er habe Wagenknechts Tod gefordert, bezeichnete der heutige ukrainische Botschafter in Brasilien als "dreiste Lüge", für die er Beweise oder eine Entschuldigung von der Politikerin verlange.

Die öffentliche Auseinandersetzung zwischen Andrij Melnyk und Sahra Wagenknecht im vergangenen Jahr sorgte nicht nur medial für Aufmerksamkeit, sondern hatte zudem auch diplomatische Folgen. Der damalige Vorsitzende der Linksfraktion, Dietmar Bartsch, wandte sich am 28.04.2023 mit einem Schreiben, welches der Redaktion vorliegt, an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Darin bezeichnet er Melnyks Tweet als "eindeutige Drohung", die eine "neue Qualität der Grenzüberschreitung" darstelle. Der Linken-Politiker fordert Bas ferner dazu auf, in ihrer Funktion als Bundestagspräsidentin zu protestieren und über das Auswärtige Amt eine Stellungnahme der ukrainischen Regierung zu ersuchen. Aus Bas' Antwortschreiben vom 15.05.2023, welches das Büro von Sahra Wagenknecht unserer Redaktion zur Verfügung stellte, geht hervor, dass die Bundestagspräsidentin die Einschätzung von Bartsch teilte und entsprechende Maßnahmen einleitete. Bas attestiert in dem Schreiben Melnyks Aussage einen "klaren drohenden Charakter", weshalb sie das Auswärtige Amt gebeten habe, über das ukrainische Außenministerium auf eine "Mäßigung der Wortwahl von Herrn Melnyk hinzuwirken".

Fazit: In seinem Tweet vom 23. April 2023 bezeichnet der damalige Vizeaußenminister der Ukraine, Andrij Melnyk, Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine als "Komplizen vom Kriegsverbrecher Putin", wofür sie "sehr bald" zur Rechenschaft gezogen würden. Wagenknecht sieht in dieser Äußerung eine öffentliche Morddrohung bzw. eine Aufforderung sie umzubringen – eine Darstellung die Melnyk zurückweist. Die Äußerung Melnyks hatte diplomatische Folgen. Nach Einschätzung von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas habe Melnyks Tweet einen "klaren drohenden Charakter". Sie bat daher das Auswärtige Amt, eine Beschwerde über die Wortwahl Melnyks an das ukrainische Außenministerium zu richten.

Stand: 14.06.2024

Autoren: Tim Berressem, Dennis Dobrowolski