Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 28.08.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Kerstin Palzer, Cherno Jobatey, Frederik Pleitgen, Helene Bubrowski
Die Gäste (v.l.n.r.): Kerstin Palzer, Cherno Jobatey, Frederik Pleitgen, Helene Bubrowski | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wäre ein Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan rechtlich möglich?

Wäre ein Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan rechtlich möglich?

Cherno Jobatey äußerte sich in der Sendung zu der Forderung des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, einen Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan zu verhängen. Jobatey sagte, ein solches Vorgehen sei rechtlich überhaupt nicht umsetzbar, da laut Verfassung immer ein individuelles Recht auf Asyl bestehe.

Streit um Asylpolitik: Wäre ein Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan rechtlich möglich? | Video verfügbar bis 28.08.2025

Maischberger: "Ein Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan – stimmen Sie ihm (gemeint ist CDU-Chef Friedrich Merz, Anm. d. Red.) zu, wäre das der große Schlag?"

Jobatey: "Es ist Populismus. Es geht nicht. Also, die Rechtslage ist eindeutig. Es gibt immer das individuelle Recht auf Asyl, es ist in der Verfassung festgelegt. Es ist nicht in diesem Ewigkeitsteil der Verfassung drin. Aber es zu fordern, klingt gut, und wenn man sauer ist, verstehe ich es auch. Und er hat es ja schon so ein bisschen relativiert, nachdem Herr Buschmann wahrscheinlich ihn angerufen hat und gesagt hat, es hat einen Verfassungsrang, es geht nicht einfach so."

Stimmt das? Wäre ein Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan rechtlich nicht umsetzbar?

Das Recht auf Asyl ist in Deutschland ein Grundrecht. Laut Artikel 16a des Grundgesetzes muss politisch verfolgten Menschen, die auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, politischer Überzeugung oder Religion in ihrem Herkunftsland schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind, in Deutschland Schutz gewährt werden.

Das Asylrecht greift allerdings nur bei Menschen, die direkt von ihrem Heimatstaat, also konkret durch eine bestimmte Regierung bedroht sind. Bei Menschen, die durch nichtstaatliche Akteure, also z.B. Terrorgruppen, verfolgt werden, greift hingegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Im deutschen Recht wird sie durch Paragraf 3 des Asylgesetzes (AsylG) umgesetzt.

Besteht weder Anspruch auf Asyl noch Flüchtlingsschutz, weil der Betroffene nicht aus bestimmten Gründen verfolgt wird, kann unter Umständen subsidiärer Schutz nach Paragraf 4 AsylG gewährt werden. Das ist der Fall, wenn einer Person die Todesstrafe, Folter, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Außerdem kommt der subsidiäre Schutz in Frage, wenn das Leben oder die körperliche Unversehrtheit einer Zivilperson auf Grund eines bewaffneten Konflikts gefährdet sind. Anders als der Asyl- oder Flüchtlingsstatus kann der subsidiäre Schutz also auch bei allgemeinen Gefahren greifen, etwa im Rahmen eines Krieges.

Welche dieser drei Schutzformen eine Person erhält – oder ob das Schutzgesuch letztlich abgelehnt werden muss –, prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Dabei handelt es sich immer um eine Einzelfallentscheidung. Die meisten Syrer und Afghanen, die derzeit nach Deutschland kommen, werden nicht als politisch Verfolgte eingestuft. Sie erhalten überwiegend den subsidiären Schutz.

Schutzstatus ist immer Einzelfallentscheidung

Nach der Messerattacke von Solingen, bei der ein 26-jähriger Syrer mutmaßlich drei Menschen tötete und acht weitere Personen verletzte, forderte Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) einen pauschalen Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan. Die Mehrzahl der Fachleute hält dies jedoch für rechtlich unmöglich. Wie oben gezeigt, trifft das BAMF seine Entscheidung über den Schutzstatus immer auf Basis des Einzelfalls. Ganze Nationalitäten pauschal von dem Prüfverfahren auszuschließen, ist mit dieser Praxis nicht vereinbar.

Doch unter bestimmten Umständen können die deutschen Behörden Asylbewerbern, Kriegsflüchtlingen oder subsidiär Schutzberechtigten einen Aufenthalt in Deutschland verweigern. Als Ausschlussgründe werden in Artikel 4 AsylG unter anderem begangene Kriegsverbrechen und schwere Straftaten genannt. Auch wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Person eine Gefahr für die Sicherheit oder die Allgemeinheit ist, können die zuständigen Behörden einen Schutzstatus in Deutschland verweigern. Aber auch hier gilt: Die Entscheidung ist immer abhängig vom Einzelfall. Die bloße Nationalität eines Schutzsuchenden kann nicht als Kriterium dienen.

Vor diesem Hintergrund ruderten CDU und Parteichef Friedrich Merz inzwischen zurück. In einem Positionspapier der Christdemokraten heißt es nun: "Eine Änderung des Asylrechts im Grundgesetz fordern wir nicht." Vielmehr fordere man, die irreguläre Migration künftig effektiver einzudämmen.

Merz stellt "nationale Notlage" zur Debatte

Merz’ Vorschlag: Asylsuchende sollen bereits an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden, da sie an diesem Punkt schon mindestens ein sicheres Land durchquert hätten, also nach den sogenannten Dublin-Regeln "mindestens ein Land zu weit gereist" seien, wie Merz auf einer Pressekonferenz am vergangenen Dienstag (27.8.2024) erklärte. Das Dublin-Abkommen sieht vor, dass eine geflüchtete Person den Asylantrag in dem EU-Mitgliedstaat stellen muss, über welches sie den EU-Raum zuerst betritt. Würde diese Grundregel strikt eingehalten, müsste Deutschland über deutlich weniger Asylanträge entscheiden, nämlich nur über die von Menschen, die aus einem Nicht-EU-Land direkt nach Deutschland gekommen sind. Das ist faktisch nur per Flugzeug möglich – ein seltenes Einreisemittel auf der Flucht.

Um Menschen an der Grenze zurückzuweisen, stellte Merz zuletzt auch das Ausrufen einer "nationalen Notlage" zur Debatte. Damit bezieht sich Merz offenbar auf Artikel 78 des Vertrags zur Arbeitsweise der EU (AEUV). Dort ist von einer Notlage die Rede. Konkret würde man durch das Ausrufen einer Notlage das nationale Recht der Bundesrepublik Deutschland über das europäische Recht stellen. Deutschland dürfte dann eigenständig Maßnahmen ergreifen, um diese Lage zu bewältigen, etwa durch Schließung der Grenzen. Jedoch: Der Ausruf einer nationalen Notlage kann nur erfolgen, wenn sich Bundesregierung und Bundestag darüber einig sind. Außerdem muss der Europäischen Kommission gegenüber begründet werden, warum die Zuwanderung hierzulande die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet. Erst wenn die EU-Kommission die Notlage billigt, kann sie in Kraft treten.

Ein vollständiger Alleingang wäre aber auch in diesem Fall nicht ohne Weiteres gegeben. Nach Ausrufen einer Notlage würde die EU-Kommission "vorläufige Maßnahmen" zugunsten Deutschlands vorschlagen, die der Rat der EU-Staaten dann – nach entsprechender Beratung des EU-Parlaments – erlassen könnte. Deutschland stände also weiterhin im politischen Austausch mit den übrigen Mitgliedstaaten.

Aktuell ist jedoch fraglich, ob die rechtliche Voraussetzung, eine Notlage auszurufen, überhaupt gegeben wäre. Gemäß Artikel 78 AEUV müsste hierzu "ein plötzlicher Zustrom von Drittstaatsangehörigen" vorliegen. Schaut man sich die aktuellen Zahlen an, kann von einem "plötzlichen Zustrom" jedoch kaum die Rede sein. Das BAMF registrierte im Juli 2024 gut 20.000 Asylanträge, rund 20 Prozent weniger als im Juli 2023. Von März bis Juni lag die Zahl nahezu konstant unter 20.000, während es etwa im November 2023 noch mehr als 37.000 Asylanträge waren.

Experte: Hohes Prozessrisiko für Deutschland

Der Europarechtler Daniel Thym von der Uni Konstanz verweist darüber hinaus auf Artikel 72 AEUV, der den einzelnen EU-Mitgliedstaaten die Zuständigkeit "für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit" zuspricht. Eine Abweichung von EU-Regeln wäre also rein formal erlaubt, jedoch nur als "Ultima ratio, wenn sich alle anderen Handlungsoptionen auf europäischer Ebene als unzureichend erwiesen haben", schreibt Thym in einem entsprechenden Rechtsgutachten aus dem Jahr 2023, das er aus aktuellem Anlass auf der Kurznachrichtenplattform X verlinkt hat. Der "Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit", so Thym, sei innerhalb der EU ein hohes Gut. Das habe sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, denn alle bisherigen Versuche der Mitgliedstaaten, eine solche Ausnahme für sich zu nutzen, seien vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gescheitert. So z.B. erklärten die Richter im April 2022 Österreichs Kontrollen an der Grenze zu Slowenien für rechtswidrig. Die Kontrollen waren seit den großen Fluchtbewegungen 2015 auf eigene Initiative der österreichischen Regierung mehrmals wiedereingeführt worden – unrechtmäßig, wie der EuGH entschied. Anhand solcher Präzedenzfälle bewertet Daniel Thym das Prozessrisiko für einen möglichen deutschen Vorstoß vor dem EuGH ebenfalls als hoch.

Vizekanzler Robert Habeck (B’90/Grüne) kritisierte Merz’ Vorstoß als "unverantwortlich". Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Sachsen am gestrigen Mittwoch (28.8.2024) wies Habeck darauf hin, dass ein deutscher Alleingang in der Flüchtlingspolitik zu großen Verwerfungen in der EU führen würde und sprach von einem "falschen Vorschlag".

Am heutigen Donnerstag (29.8.2024) einigte sich die Bundesregierung auf ein neues Maßnahmenpaket für die Migrations- und Asylpolitik als Reaktion auf die Messerattacke von Solingen. Für Asylbewerber, für die nach dem Dublin-Verfahren ein anderer EU-Staat zuständig sei, solle demnach künftig "der weitere Bezug von Leistungen in Deutschland ausgeschlossen werden." Zudem müssten ausreisepflichtige Ausländer "schneller und erfolgreicher" abgeschoben werden, sagte Justizminister Marco Buschmann (FDP) bei der Präsentation des Pakets in Berlin. Bei Messerangriffen werde ein besonderes Ausweisungsinteresse festgeschrieben, heißt es außerdem. Kriminelle Gefährder sollen zudem auch nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden. Auf den "Notlage"-Vorstoß von Oppositionsführer Merz ging die Bundesregierung bisher nicht weiter ein.

Fazit: Ein Aufnahmestopp speziell für Menschen aus Syrien und Afghanistan, wie ihn CDU-Chef Friedrich Merz nach der Messerattacke von Solingen zunächst forderte, wäre nach geltendem Recht nicht umsetzbar. Denn über den Schutzstatus einer geflüchteten Person entscheiden die Behörden immer im Einzelfall. Die bloße Nationalität darf nicht als Ausschlusskriterium dienen. Merz hat seine Forderung inzwischen relativiert und ruft die Bundesregierung dazu auf, irreguläre Migranten unmittelbar an der Grenze abzuweisen. Der CDU-Chef stellte zur Debatte, dies im Zweifelsfall auch durch das Ausrufen einer "nationalen Notlage" durchzusetzen, wodurch Deutschland weniger abhängig von geltendem EU-Recht wäre. Inwieweit dies möglich wäre, ist unter Fachleuten umstritten.

Stand: 29.08.2024

Autor: Tim Berressem