Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 20.11.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Georg Restle, Susanne Gaschke, Walter Sittler, Armin Laschet, Christina Clemm
Die Gäste (v.l.n.r.): Georg Restle, Susanne Gaschke, Walter Sittler, Armin Laschet, Christina Clemm | Bild: WDR / Melanie Grande

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Was soll sich durch das sogenannte Gewalthilfegesetz ändern?

Was soll sich durch das sogenannte Gewalthilfegesetz ändern?

Im Anschluss an den ARD-Film "Bis zur Wahrheit" diskutierten die Schauspielerin Maria Furtwängler und die Rechtsanwältin Christina Clemm über den gesellschaftlichen sowie juristischen Umgang mit sexualisierter Gewalt. Dabei ging es auch um das sogenannte Gewalthilfegesetz der Ampel-Koalition. Was dieses Gesetz inhaltlich bedeutet und ob es trotz des Koalitionsbruchs noch verabschiedet werden könnte, schauen wir uns hier genauer an.

Mehr Schutz bei häuslicher Gewalt: Was genau soll sich durch das Gewalthilfegesetz verändern? | Video verfügbar bis 20.11.2025

Maischberger: "Es gibt ein Gewalthilfegesetz, das ist eines von denen, die jetzt quasi von der Ampel auf den Weg gebracht wurden, aber es nicht über die Ziellinie geschafft haben."

Furtwängler: "Vielleicht schaffen sie es noch."

Clemm: "Wir hoffen das."

Furtwängler: "Wir hoffen das, oder?"

Maischberger: "Im Wesentlichen geht es darum: Schutz und Beratung und Hilfe. Es soll mehr Frauenhäuser geben und der Bund soll eben mitfinanzieren. Das war das, woran es dann erstmal gescheitert ist. Wie groß ist die Hoffnung, dass die Politik das noch über die Ziellinie kriegt?"

Furtwängler: "Ist nicht auch Teil des Gesetzes, dass Männer, die zu Tätern geworden sind, eine Pflicht, wie sagt man –"

Clemm: "Genau. Wir reden immer viel über Täterarbeit, und das ist sehr wichtig, dass es überall auch Täterarbeit geben kann. Wir haben zu wenige Frauenhausplätze, wir haben zu wenige Frauenberatungsstellen. Und das muss verstetigt werden. Es muss sicher sein, dass die Frauen einen Anspruch darauf haben, und es muss sicher sein, dass die Kommunen genau diesen Anspruch auch durchsetzen können. Die Hoffnung ist groß."

Maischberger: "Stirbt zuletzt."

Clemm: "Ja, ich finde, es gibt überhaupt gar keinen einzigen Grund, warum man dieses Gesetz verhindern sollte, sondern eher – wir wissen, es können Menschenleben gerettet werden. Und das wissen wir. Dieses Gesetz ist wirklich ein großer Fortschritt."

Hintergrund: Was soll sich durch das sogenannte Gewalthilfegesetz ändern?

Ganz grundsätzlich soll das Gewalthilfegesetz den Zugang zu Schutz und Beratung in Fällen von häuslicher Gewalt garantieren. Konkret geht es dabei um den Ausbau und die Finanzierung von Frauenhäusern. Dass hier Handlungsbedarf besteht, zeigen aktuelle Zahlen aus der bundesweiten Frauenhaus-Statistik. Demnach verfügt Deutschland lediglich über ein Drittel der benötigten Frauenhausplätze. Laut der sogenannten Istanbul-Konvention, die europaweite Mindeststandards für die Rechte, den Schutz und die Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen festlegt, bräuchte Deutschland ca. 21.000 Plätze. Im Jahr 2023 waren allerdings nur etwa 7.700 Plätze vorhanden.

Frauenhäuser sollen für alle Betroffenen kostenfrei werden

Außerdem soll der Aufenthalt im Frauenhaus durch das neue Gesetz für alle Betroffenen kostenfrei werden. Aktuell gibt es bei der Finanzierung keine bundesweit einheitliche Regelung. In vielen Kommunen wird der Aufenthalt im Frauenhaus über die Leistungsansprüche aus den Grundsicherungssystemen, z.B. Bürgergeld, geregelt. In der Konsequenz bedeutet das: Frauen, die keine Sozialleistungen beziehen, müssen den Platz selbst bezahlen. Laut Frauenhaus-Statistik trugen im Jahr 2023 rund 14 Prozent der Betroffenen die Kosten für ihren Aufenthalt komplett selbst. Weitere 15 Prozent übernahmen die Kosten anteilig. Insgesamt bezahlte damit mehr als jede vierte Frau (29 Prozent) ihren Aufenthalt teilweise oder ganz selbst.

Wie Maria Furtwängler in der Sendung richtig sagte, sieht das Gesetz zudem vor, dass Maßnahmen zur Vorbeugung von Gewalt getroffen werden, etwa durch sogenannte Täterarbeit. Konkret bedeutet das: Durch die intensive Arbeit mit einem Psychotherapeuten oder Sozialarbeiter soll beim Täter eine nachhaltige Verhaltensänderung erreicht werden, um weitere Taten zu verhindern.

Auch die Öffentlichkeitsarbeit rund um das Thema häusliche Gewalt und diesbezügliche Schutz- und Beratungsangebote soll durch das Gesetz verstärkt werden.

Die Ampel formulierte bereits in ihrem Koalitionsvertrag das Ziel, "das Recht auf Schutz vor Gewalt für jede Frau und ihre Kinder" abzusichern und "einen bundeseinheitlichen Rahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern" sicherzustellen. Familienministerin Lisa Paus (B’90/Grüne) legte ihren Entwurf für das Gewalthilfegesetz am 6. November 2024 vor – wenige Stunden vor dem Koalitionsbruch.

Ampel-Aus: Wie geht es mit dem Gesetz jetzt weiter?

Kann das Vorhaben trotzdem noch vor Ende der Legislaturperiode verabschiedet werden? Theoretisch wäre das möglich. Nach Informationen des Familienministeriums wird das Kabinett den Gesetzentwurf wohl am kommenden Mittwoch (27.11.2024) beschließen. Doch im anschließenden parlamentarischen Verfahren müssten auch Bundestag und Bundesrat dem Entwurf zustimmen, ehe er in Kraft treten kann. Terminlich ist das ambitioniert, aber nicht unmöglich. Wenn es nach den Plänen des Familienministeriums geht, könnte das Gesetz noch vor Weihnachten in Bundesrat und Bundestag zur ersten Lesung eingebracht werden, eine zweite und dritte Lesung im Bundestag wäre im Januar möglich. Der Abschluss im Bundesrat könnte dann Mitte Februar erfolgen.

Doch bei der Abstimmung im Bundestag wäre die Minderheitsregierung aus SPD und Grünen auf die Unterstützung der Union angewiesen. Damit ist jedoch nach aktuellem Stand nicht zu rechnen. Die Union legte kürzlich einen eigenen Antrag zum Thema Gewaltschutz vor, der dem Gesetz von Familienministerin Paus in vielen Punkten ähnelt. Vor diesem Hintergrund machte die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Silvia Breher, den beiden verbliebenen Regierungsparteien wenig Hoffnung: "Wir können unser Konzept gern in der nächsten Legislatur beschließen." An dem Vorgehen der Rest-Ampel übte sie deutliche Kritik: "Es ist doch lächerlich: erst über Jahre nichts hinbekommen und dann uns im Parlament sagen: Ihr müsst jetzt das Gesetz retten!"

Dass die FDP dem Gesetz zustimmen wird, gilt als ausgeschlossen – nicht nur vor dem Hintergrund des Koalitionsbruchs. Den Liberalen waren die Kosten des Vorhabens stets zu hoch. Laut Familienministerium hätte der Bund zwischen 2027 und 2036 etwa 2,2 Milliarden Euro aufbringen müssen. Eine Einigung zwischen Familienministerin Paus und dem ehemaligen Finanzminister Christian Lindner (FDP) kam nicht zustande.

Verbände fordern Politik zum Handeln auf

Verbände drängen unterdessen weiter auf eine schnelle Einigung. "Es ist unerlässlich, dass Regierung und Opposition ebenso wie Bundesländer und Kommunen jetzt an einem Strang ziehen, um das Gesetz noch in diesem Jahr zu realisieren", sagt Sibylle Schreiber, Geschäftsführerin des Vereins für Frauenhauskoordinierung. "Sie alle tragen eine Verantwortung, die stärker wiegen muss als parteipolitische Streitigkeiten. Dieses Gesetz kann Leben retten." Das Bündnis Istanbul-Konvention, in dem sich mehr als 20 Organisationen aus der Prävention und Beratung zusammengeschlossen haben, appelliert bereits an eine künftige Bundesregierung. Es sei wichtig, "dass die neue Bundesregierung und die politisch Verantwortlichen das Thema mit hoher Priorität auf die Agenda setzen und die begonnene Arbeit fortsetzen", schreibt das Bündnis.

Fazit: Das Gewalthilfegesetz soll den Zugang zu Schutz und Beratung in Fällen von häuslicher Gewalt garantieren und kostenfrei machen. Konkret geht es dabei um den Ausbau und die Finanzierung von Frauenhäusern. Bislang gibt es in Deutschland deutlich zu wenige Frauenhausplätze. In vielen Fällen müssen die Betroffenen die Kosten selbst tragen. Nach dem Bruch der Ampel-Koalition ist jedoch unklar, wie es mit dem Gesetz weitergeht. SPD und Grüne wären auf die Unterstützung der Union angewiesen, um das Vorhaben durchzusetzen. Damit ist jedoch nach aktuellem Stand nicht zu rechnen. Verbände fordern die Politik unterdessen zu schnellem Handeln auf.

Stand: 21.11.2024

Autor: Tim Berressem