Faktencheck zu "maischberger"
Sendung vom 28.01.2025
Faktencheck
Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.
Und das schauen wir uns an:
- Wären dauerhafte Grenzkontrollen und Zurückweisungen rechtlich umsetzbar?
Wären dauerhafte Grenzkontrollen und Zurückweisungen rechtlich umsetzbar?
Ein Thema, das in der Sendung verschiedentlich diskutiert wurde, ist der aktuelle Vorstoß des Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz in der Migrationspolitik. Speziell seine Forderungen nach dauerhaften Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Menschen an der Grenze sorgten für kontroverse Debatten. Unklar blieb dabei, inwieweit Merz’ Pläne rechtlich umsetzbar wären.
Maischberger: "Die Zahlen sinken in Deutschland. Asylanträge: 100.000 weniger 2024 als im Jahr zuvor. Auf EU-Ebene sind es 12 Prozent weniger. Da ist also schon was passiert. Auch das, um noch mal festzuhalten, wahrscheinlich ist es zu wenig, meint Herr Merz, weil er jetzt morgen diesen Antrag in den Bundestag einbringt, wo er dann ein faktisches Einreiseverbot letztlich will. Mit Zurückweisungen an der Grenze, ausdrücklich auch, Zitat, 'für Personen mit Schutzanspruch'. Das widerspräche, sagen viele, sowohl dem Grundgesetz als auch dem EU-Recht. Riskiert Herr Merz da eine krachende Niederlage dann vor Gericht, um jetzt mal markig gewesen zu sein?"
Söder: "Ganz viele sagen, dass das genau dem Recht entspricht, auch dem europäischen Recht. Zum Beispiel ehemalige Bundesverfassungsrichter sagen das, deren Kompetenz in der Frage zumindest zu hören ist. Also wir glauben, wir sind – es gibt auch andere Meinungen, ist ja klar."
Maischberger: "Am Ende werden es die Gerichte entscheiden."
(...)
M’Barek: "Nach dem Schengener Grenzkodex gilt das nicht. Auch das, was Nancy Faeser schon angeordnet hat mit den Grenzkontrollen, ist eigentlich nicht zulässig. Das kann man vor Gericht anzweifeln. (…) Auch dieses Argument, dass es ein paar Leute gibt vom Bundesverfassungsgericht, Ehemalige, die sagen, es könnte gehen. Es könnte gehen, wenn eingehalten wird, dass eine Notlage da ist. Das kann man ebenfalls auch anzweifeln. Die würde dann aber auch nur für zwei Jahre gelten, in denen dann dieses Aussetzen, dass man Grenzkontrollen durchführen darf und die Leute abweisen darf, funktionieren würde."
Hintergrund: Wären dauerhafte Grenzkontrollen und Zurückweisungen rechtlich umsetzbar?
Der CDU-Chef und Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, löste nach dem Messerattentat von Aschaffenburg am 22. Januar 2025 eine kontroverse Debatte über die deutsche Migrationspolitik aus. Merz beklagte einen "Scherbenhaufen einer seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl- und Einwanderungspolitik". Daraus ergäben sich seiner Ansicht nach zwingende Schlussfolgerungen, die eine von ihm geführte Bundesregierung sofort umsetzen würde. Im Fall seiner Kanzlerschaft, so erklärte Merz, würde er am ersten Tag von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und "das Bundesinnenministerium anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen."
Merz: Fünf Punkte für die Migrationspolitik
In einem Antrag, den Merz am gestrigen Mittwoch (29.1.25) im Bundestag zur Abstimmung stellte, konkretisiert er seine Forderungen in Form eines Fünf-Punkte-Plans. Dieser umfasst folgende Maßnahmen:
Speziell die ersten beiden Punkte – dauerhafte Grenzkontrollen und die Zurückweisung von Personen an der Grenze – wurden in unserer Sendung kontrovers diskutiert. Inwieweit diese Maßnahmen rechtlich umsetzbar wären, ist unter Juristen umstritten.
Schengen-Abkommen verbietet dauerhafte Grenzkontrollen
Laut Schengener Grenzkodex gilt: Es gibt keine Grenzkontrollen zwischen den Staaten im Schengen-Raum. Ausnahmen erlaubt der Schengener Grenzkodex nur in dem Fall, dass "die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit in einem Mitgliedstaat ernsthaft bedroht sind." Aber auch diese Ausnahme gilt nur für begrenzte Zeiträume. Grundsätzlich gilt eine Frist von sechs Monaten, die bei Fortbestand der Gefahrensituation um weitere sechs Monate verlängert werden kann, aber auf insgesamt zwei Jahre gedeckelt ist. Im Februar 2024 einigten sich die EU-Mitgliedstaaten auf eine Reform der Schengen-Regeln, wonach die Frist bei akuter Bedrohung durch Terroranschläge oder organisierte Kriminalität auf drei Jahre verlängert werden kann. Dauerhafte, zeitlich unbefristete Grenzkontrollen sind aber nach wie vor nicht vorgesehen.
EU-Recht fordert ordentliches Asylverfahren
Auch beim Thema Zurückweisungen untersteht Deutschland vorrangig dem europäischen Recht. In der sogenannten Dublin-III-Verordnung ist festgelegt, wie mit Menschen zu verfahren ist, die an den deutschen Grenzen ankommen und dort Asyl suchen. Die Mitgliedstaaten dürfen diese Menschen demnach nicht einfach an der Grenze zum Umkehren zwingen, sondern müssen überprüfen, wer für das Asylverfahren in der EU zuständig ist. Nach diesem Verfahren müssen die Flüchtlinge in das zuständige Land überstellt werden.
Grundsätzlich gilt: Zuständig ist das Land, in dem die jeweilige Person erstmals registriert wurde. In aller Regel sind das nicht die deutschen Nachbarländer, sondern die Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen. Eine Zurückweisung in die Nachbarländer ist deshalb rechtlich umstritten. Der Asylrechtsexperte Dr. Constantin Hruschka von der Evangelischen Hochschule Freiburg wies in einem NDR-Interview darauf hin, dass laut geltendem Recht eine Vereinbarung mit dem jeweiligen Nachbarstaat notwendig sei, um Personen dorthin zurückweisen zu können. Ohne ein solches Rückübernahmeabkommen seien Zurückweisungen an der Grenze rechtswidrig.
Zurückweisungen sind rechtlich umstritten
Prominenter Befürworter von Zurückweisungen ist der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Hans-Jürgen Papier (CSU). Bereits im September 2024 erklärte er gegenüber "Bild": "Zurückweisungen sind sogar geboten." Papier bezieht sich auf Paragraph 18 des Asyl-Gesetzes (AsylG), wonach Personen, die aus sicheren Drittstaaten nach Deutschland kommen, die Einreise verweigert werden muss. Um dies umzusetzen, müsse nur zu geltendem Recht zurückgekehrt werden, so Papier: "Die Ausnahme, etwa aus humanitären Gründen, wurde an den Außengrenzen Deutschlands zur Regel, das widerspricht dem Sinn des Asylrechts."
SPD und Grüne betonen umgekehrt, dass es die geforderten Zurückweisungen an der Grenze seien, die nicht mit dem Asylrecht vereinbar wären. Konkreter Streitpunkt ist dabei Merz’ Forderung, die Zurückweisungen unabhängig davon durchzuführen, ob die betreffenden Personen "ein Schutzgesuch äußern oder nicht". Gegner dieser Forderung sehen darin einen Widerspruch zum im Grundgesetz verankerten Individualrecht auf Asyl.
Die Union argumentiert ihrerseits, dass Zurückweisungen nötig seien, weil in Europa das Dublin-Verfahren längst nicht mehr funktioniere. Deshalb wollen CDU/CSU in der Migrationspolitik das nationale Recht über europäisches Recht stellen, um gemäß Paragraph 18 des deutschen Asylgesetzes Menschen zurückzuweisen, die aus einem sicheren Drittstaat einreisen wollen. Wörtlich heißt es im Antrag der Union: "In dieser Gesamtsituation ist es die Pflicht Deutschlands und damit der Bundesregierung, nationales Recht vorrangig anzuwenden, wenn europäische Regelungen nicht funktionieren".
EU-Recht kann nur in Ausnahmefällen ausgesetzt werden
Grundlage für diese Argumentation ist der Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Der erlaubt es den Mitgliedsstaaten in Ausnahmefällen, das Europarecht in Asyl- und Migrationsfragen außer Acht zu lassen, wenn die "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung" und der "Schutz der inneren Sicherheit" in Gefahr sind. Dass dies der Fall ist, müsste Deutschland aber sehr gut begründen. Denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bislang nie einem Staat Recht gegeben, der eine solche Ausnahme gemäß Artikel 72 erwirken wollte. Ob die Straftaten der vergangenen Monate, mit denen die CDU jetzt argumentiert, die Richterinnen und Richter überzeugen, bezweifeln viele Experten. Zumal die Flüchtlingszahlen gleichzeitig rückläufig sind. Auch muss sichergestellt sein, dass Deutschland vorher alles versucht hat, um die Probleme im Rahmen des europäischen Rechts zu lösen. So gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, dass der Europäische Rat Maßnahmen zugunsten von Staaten erlässt, in denen aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Flüchtlingen eine Notlage besteht. Auf eine solche Lösung hat Deutschland bisher aber nicht hingewirkt.
Sollte Deutschland trotzdem das nationale über europäisches Recht stellen, um Menschen an der Grenze zurückzuweisen, wäre dies mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Fall für die Gerichte. Zurückgewiesene Asylsuchende könnten im Eilverfahren vor den Verwaltungsgerichten der Grenzregion klagen. Bei ablehnenden Entscheidungen wären auch Eilanträge beim Bundesverfassungsgericht möglich. Maßgeblich wäre am Ende aber der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Er entscheidet abschließend darüber, wie EU-Recht auszulegen ist. Abgelehnte Asylsuchende können aber nicht selbst vor den EuGH ziehen. Im Laufe einer Klage würde ein nationales Gericht die entscheidenden Fragen dem EuGH vorlegen, der sie dann für das nationale Gerichtsverfahren beantwortet.
Die anderen EU-Mitgliedsstaaten sowie die EU-Kommission hätten darüber hinaus die Möglichkeit, wegen rechtlicher Bedenken direkt beim EuGH gegen Deutschland zu klagen. Kurzum: Ohne ein Gerichtsverfahren ginge es wohl nicht.
Bundestag stimmt Merz-Antrag zu
Am gestrigen Mittwoch (29.1.25) stimmte der Bundestag mehrheitlich für Merz’ Fünf-Punkte-Plan. Da es sich dabei nicht um einen Gesetzentwurf handelt, sondern lediglich um einen Antrag, ist dieser jedoch nicht bindend. Der Bundestag fordert damit die Bundesregierung nur auf, beim Thema Migration aktiv zu werden. Welchen Kurs die neue Bundesregierung einschlägt, die am 23. Februar gewählt werden wird, bleibt abzuwarten.
Fazit: Mit seinem Fünf-Punkte-Plan zur Migrationspolitik sorgte Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zuletzt für kontroverse Debatten. Besonders seine Forderungen nach dauerhaften Grenzkontrollen und Zurückweisungen an den Grenzen sind vor allem auch juristisch umstritten. Denn Grenzkontrollen können laut Schengen-Abkommen nur zeitlich begrenzt durchgeführt werden. Dauerhafte Kontrollen sind nach geltendem Recht nicht vorgesehen. Ob Personen an der Grenze direkt abgewiesen werden können, und zwar unabhängig vom Schutzgesuch, darüber streiten Experten ebenfalls. Einerseits fordert das EU-Recht ein ordentliches Asylverfahren, um festzustellen, welcher Staat für eine Person zuständig ist. Zudem gilt laut deutschem Grundgesetz das Individualrecht auf Asyl. Manche argumentieren hingegen, Zurückweisungen seien notwendig und gerechtfertigt, weil das EU-Recht nicht konsequent durchgesetzt werde. Insgesamt ist die juristische Gemengelage überaus komplex, sodass am Ende wohl die zuständigen Gerichte über das Vorgehen entscheiden müssten.
Stand: 30.01.2025
Autor: Tim Berressem