Denis Scheck empfiehlt "Amalthea" von Neal Stephenson

Neal Stephenson
Neal Stephenson | Bild: Manhattan

Als allererstes möchte ich Ihnen heute den tollsten Katastrophenroman vorstellen, den ich je gelesen habe: "Amalthea" von Neal Stephenson. Die Ausgangssituation: ein Astronomieprofessor blickt auf einer Fundraisingparty in Kalifornien versonnen zum Himmel, als vor seinen Augen der Mond urplötzlich in acht Teile zerbirst. Zunächst befürchtet man das Schlimmste, doch die Trümmer des Mondes scheinen einander auf stabilen Bahnen zu umkreisen – bis unser Astronom noch einmal nachrechnet und zu einem deprimierenden Ergebnis kommt: In zwei Jahren, so ergeben seine Berechnungen, wird die Erde von einem verheerenden Schauer von Mondmeteoren getroffen. Der Astronom nennt diesen Regen in Anlehnung des berühmten Bob-Dylan-Songs "Hard Rain". "A hard rain's gonna fall" ist aber eine gelinde Untertreibung, denn dieser desaströse Steinregen wird, so weiß unser Astronom, sage und schreibe fünftausend Jahre anhalten und die Erdoberfläche in ein Magmameer verwandeln.

Was tun? 7 Milliarden Menschen sehen ihrem absehbaren Tod mehr oder minder gelassen entgegen – wir wir erwachsene Menschen das hier und heute ja auch tun. Aber der bevorstehende Untergang löst auch frenetische Überlebensanstrengungen auf der Erde aus. Am Ende gelingt es, 1850 Menschen auf die Internationale Raumstation zu transportieren, darunter auch die amerikanische Präsidentin, die sich illegalerweise mit einem der letzen Space Shuttles rettet. In der Mitte des Romans wird man dieser Frau wegen ihrer gleißnerischen Rhetorik eine Stahlschraube durch die Zunge rammen und mit einer Mutter befestigen.

Das ungläubige Staunen

"Amalthea" von Neal Stephenson
"Amalthea" von Neal Stephenson | Bild: Manhattan/Das Erste

"Amalthea" ist ein enorm spannender, wenn auch aberwitzig technizistischer Apokalypsenporno aus der Schule der Hard SF. Differenzierte Charakterzeichnungen sind Neal Stephensons Sache nicht, dafür ersetzt die Lektüre ein halbes Physikstudium und berührt erstaunlich politische Fragen: Wie wählt man die Überlebenden aus? Wer regiert auf der Raumstation? Welche Verfassung soll dort gelten? Mich erinnert "Amalthea" daran, warum ich als Kind überhaupt zu lesen begonnen habe. Es geht um jenen berühmten "Sense of wonder", das ungläubige Staunen über die gebrechliche Einrichtung der Welt, das Neal Stephenson in seinem Roman durch Sätze auslöst wie der Kapitelüberschrift auf Seite 691: "5000 Jahre später."

Wenn Sie sich von diesem "Sense of wonder" anstecken lassen und wissen wollen, wie die Menschheit überlebt, obwohl am Ende nur noch sieben Frauen auf der Raumstation übrig sind, dann vertrauen Sie mir, ich weiß, was ich tue, und lesen Sie "Amalthea" von Neal Stephenson, erschienen in der deutschen Übersetzung von Juliane Gräbener-Müller und Nikolaus Stingl im Manhattan Verlag.

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