SENDETERMIN So., 16.03.25 | 23:35 Uhr | Das Erste

Aufrüsten für den Frieden?

In Deutschland beginnt ein Umdenken

In Deutschland beginnt ein Umdenken über unsere Verteidigung | Video verfügbar bis 16.03.2027 | Bild: picture alliance/dpa / Patrick Pleul

Im Kreml sitzt ein Mann, der nur die Sprache von Macht und Abschreckung versteht. Und im Weißen Haus einer, der Europäer und Deutsche nun zwingt, selbst Verantwortung für die Verteidigung zu übernehmen. Plötzlich gibt es politische Entscheidungen zugunsten der Finanzierung von Aufrüstung. Die Bundeswehr und ihre Kriegstauglichkeit ist als Thema omnipräsent. Doch wie kriegstauglich will Deutschland sein? Sind wir nach Jahrzehnten des Runterwirtschaftens und der Missachtung der Bundeswehr bereit, nicht nur Geld, sondern auch Liebe und Respekt in unsere Streitkräfte zu stecken? Und was genau wollen wir damit erreichen? ttt hat darüber mit dem Schriftsteller Steffen Kopetzky und dem Militärhistoriker Sönke Neitzel gesprochen.

Kriegstauglich um jeden Preis?

Plötzlich ist wahnsinnig viel Geld da, die Bundeswehr soll Deutschland, soll Europa verteidigen können, "kriegstauglich" werden, um den Frieden zu sichern. Was heißt das? Und wie stehen wir zu denen, die unsere Verteidigung mit Kopf und Körper leisten? Sind wir als Gesellschaft kriegstauglich? So beantwortet Steffen Kopetzky diese Frage: "Wir müssen diese Anstrengungen, die wir jetzt leisten müssen, in unsere Gesellschaft integrieren. Wir brauchen eine Kultur, die sagt: 'Ja, wir wollen unabhängig bleiben, wir wollen frei bleiben. Also müssen wir auch akzeptieren, dass die Streitkräfte Teil unserer Gesellschaft sind.'"

Nukleare Drohung

Steffen Kopetzky beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Geopolitik und ihren sehr konkreten Folgen. Jetzt auch wieder in seinem gerade erschienenen Roman: Atom

Eine Spionageschichte angesiedelt im 2. Weltkrieg.  Sie handelt von englischen Agenten, den sogenannten „Wunder-Waffen“ der Nazis, von zynischer amerikanischer Realpolitik und vom Wettrüsten um die tödlichste aller Waffen, die Atomwaffe. Ein historischer Thriller mit überraschendem Bezug zur Aktualität, erklärt der Autor: "Es ist nach wie vor die zentrale Waffe, wenn es darum geht, seine eigenen Interessen durchzusetzen. Und jetzt kommen wir wieder in eine Situation, dass man der nuklearen  Drohung, der Atomdrohung eines anderen Landes gegenüber eigentlich nichts entgegenzusetzen hat."

Soldaten als Friedensbringer

Wie stark unsere Abhängigkeit von US-Atomwaffen ist, wissen viele nicht. Gegen amerikanische Pershing-II-Raketen, heute Exponate im Militärhistorischen Museum in Berlin gingen in den 1980er Jahren Hundertausende auf die Straße. Man fürchtete den Krieg als Folge des Wettrüstens, das Militärische war verpönt, ist bis heute überlagert von der NS-Zeit. "Der Soldat als Friedensbringer war ganz stark und das Militärische ist weit in den Hintergrund gerückt", erklärt der Militärhistoriker Sönke Neitzel, "und jetzt stehen wir vor der Aufgabe, die Bundeswehr mal wieder neu zu gründen. Muss diese Bundeswehr vielleicht kämpfen? Gott möge das verhüten. Aber das ist jetzt die große Frage. Und jetzt müssen wir die große Aufgabe vollbringen, den Krieg in den Referenzrahmen von Politik und Gesellschaft zurückbekommen. Da war er lange nicht drin."

Geschichte der Bundeswehr

Sönke Neitzel ist Deutschlands einziger Professor für Militärgeschichte, bekannt für seine steilen Thesen. Seit Jahren plädiert er für Streitkräfte, die auch militärisch überzeugen. Jetzt hat er einen kurzen Abriss zur wechselhaften Geschichte der Bundeswehr geschrieben. Er beschreibt, wie nach der umstrittenen Wiederbewaffnung der Soldat zum Bürger in Uniform wurde, die Bundeswehr zur Friedensarmee, wie sie im Ausland agierte, seit den 2000er Jahren vernachlässigt wurde. Und wie sie bis heute mit ihrer Identität hadert. "Die Bundeswehr ist nun mal eine Armee, die Gott sei Dank bislang kaum gekämpft hat. Also welche Identität, welche Tradition, welche eigene Geschichte hat eine Armee, die kämpfen soll, uns möglicherweise verteidigen soll? Aber in deren Identität Kampf kaum vorkommt", so Sönke Neitzel.

Eklat im Weißen Haus

Das Bedrohungsgefühl durch Russland ist seit dem Angriff auf die Ukraine massiv gestiegen. Und spätestens mit dem Eklat im Weißen Haus, der Herabwürdigung des ukrainischen Präsidenten vor den Kameras der Welt, ist das Vertrauen in die USA zerstört. Ein echter Schock. Darauf sind wir nicht vorbereitet, auch nicht mental. Steffen Kopetzky: "Es ist ein Epochenwandel. Die Weltordnung ändert sich und wir stehen eben naiv, hilflos, schutzlos im Grunde als Gesellschaft da und müssen uns jetzt erst in dieser neuen Welt zurechtfinden." Und Sönke Neitzel sagt: "Es kann sein, dass Russland uns testet. Und es kann sein, dass die Geschichte über die EU in dieser Form, wie wir sie kennen, hinweggeht. Da gibt es genug historische Beispiele. Es liegt an uns. Es ist an uns, zu zeigen, dass wir resilient sind und dass wir dieses Europa verteidigen wollen."

Mentalitätswandel

Also her mit den Waffen, egal was es kostet? Das Grundgesetz ändern, auch um zig Milliarden für die Verteidigung locker zu machen, das ist schon ein gewaltiger Mentalitätswandel. "Geld allein bringt es nicht", schränkt der Militärhistoriker Sönke Neitzel ein, "wenn Sie nur viel Geld in ein dysfunktionales System kippen, kommt sicherlich auch mehr hinten raus, aber nicht das, was wir erwarten. Und ich glaube, dass mit mehr Geld, mit Reformen die Bundeswehr und Verteidigung effizienter werden kann und dass zu den Reformen natürlich auch ein neues Mindset gehört." Steffen Kopetzky sieht noch einen anderen Ansatzpunkt: "Also ich glaube, dass sich emotional viel tut und dass die Leute aufwachen, aber dass wir natürlich jetzt erst mal beginnen müssen in anderen Zeiträumen zu denken. Wir müssen eine Strategie entwickeln, wir müssen sagen, wo wir hinwollen."

Starkes Europa

Steffen Kopetzky hofft wie viele nun auf eine gemeinsame europäische Verteidigung. Sein Großvater war Soldat und Flüchtling. Krieg, Vertreibung sind Teil der Familiengeschichte, auch das Wissen, dass von heute auf morgen alles anders werden kann. Und dass manchmal - leider - das Militärische zählt: "Wenn wir sagen, okay, wir müssen uns nun selber verteidigen. Wir dürfen uns nicht mehr von den Amerikanern abhängig machen. Dann müssen wir diese notwendigen Verteidigungsschritte als eine Möglichkeit sehen, Europa zu einigen."

Autorin: Claudia Kuhland

Buchtipp
Steffen Kopetzky: "Atom"
Rowohlt Berlin
416 Seiten, 26 Euro
ISBN: 978-3-7371-0152-3

Buchtipp
Sönke Neitzel: "Die Bundeswehr. Von der Wiederbewaffnung bis zur Zeitenwende"
C.H. Beck (ab 20.03.25)
128 Seiten, 12 Euro
ISBN: 978-3-406-83051-87

Stand: 16.03.2025 17:15 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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