So., 10.03.13 | 23:05 Uhr
Zwischen den Fronten eines ethnischen Konflikts
Hetzjagd auf den aserbaidschanischen Schriftsteller Akram Aylisli
Er ist einer der bekanntesten Schriftsteller Aserbaidschans. Akram Aylisli schrieb mehrere Romane sowie Essays und Kurzgeschichten und übersetzte Turgenew, Márquez und Aitmatow ins Aserbaidschanische. 2002 wurde er für seine Verdienste um die Literatur seiner Heimat mit dem höchsten Orden des Landes ausgezeichnet.
Vom "Volksdichter" zur Hassfigur
Doch seit der Veröffentlichung seiner Novelle "Steinträume" gilt der 76-jährige "Volksdichter" als Verräter, der um sein Leben fürchten muss. Sie schildert, wie ein aserbaidschanischer Schauspieler 1990 in Baku Zeuge eines Pogroms wird. Bei dem Versuch, einem alten Armenier zu helfen, der vom aufgebrachten Mob verfolgt und schließlich zu Tode getreten wird, erleidet er selbst schwere Verletzungen. Im Krankenhaus erinnert er sich in Traumsequenzen an seine Jugend in dem kleinen Dorf Aylis, in dem Armenier und Aserbaidschaner friedlich zusammen lebten. "Es ist die Tragödie eines Mannes, der die Welt als Ganzes sieht. Menschen sind für ihn Menschen, unabhängig davon, welche Nationalität sie haben", sagt Akram Aylisli. Er verurteile in seinem Werk nicht seine Landsleute, sondern den Mord an einem Menschen.
Schwelender Konflikt um Bergkarabach
Mit seiner Novelle hat er an ein Tabu gerührt und ist zwischen die Fronten des in Europa fast vergessenen Konflikts um Bergkarabach geraten. Die südkaukasische überwiegend von Armeniern bewohnte Enklave war zu Sowjetzeiten ein autonomes Gebiet innerhalb der Republik Aserbaidschan. Mit dem Zerfall der Sowjetunion verstärkten die Armenier ihre Unabhängigkeitsbestrebungen. Immer wieder kam es zu Ausschreitungen zwischen beiden Ethnien, die 1991 in einen offenen Krieg mündeten und zu beiderseitigen Vertreibungen und Massakern führten. Trotz des 1994 unter Vermittlung Russlands geschlossenen Waffenstillstandsabkommens schwelt der Konflikt bis heute und ist wesentlicher Bestandteil des Nationalbewusstseins beider Völker. Der Hass sitzt tief - auf beiden Seiten.
Pogromstimmung in Baku
Wie tief, das zeigen die Reaktionen auf "Steinträume", mit der Akram Aylisli nicht provozieren, sondern die Tür für den Dialog öffnen wollte: "Die zentrale Idee meines Buches ist es, die Völker wieder anzunähern."
Doch das ist eine unpopuläre Botschaft in Aserbaidschan. "Die Propaganda sagt von morgens bis abends, die Armenier sind schlecht. Sie haben keine Kultur, keine Musik, gar nichts. Selbst das Land, das sie bewohnen, haben sie uns gestohlen. Und dann kommt ein Buch, das schreibt: Armenier sind auch Menschen, und unter ihnen gibt es ganz wunderbare Menschen. Das Volk konnte nicht begreifen, warum wir jeden Tag das eine hören, aber hier ein Schriftsteller auf einmal etwas völlig anderes erzählt", meint Akram Aylisli.
In der Tat kochte der Volkszorn in Baku hoch - obschon die Novelle hier gar nicht zu lesen ist, sondern nur in der russischen Literaturzeitschrift "Völkerfreundschaft" erschien. Manch einer forderte, Aylisli des Landes zu verweisen, ein führender Politiker rief gar dazu auf, ihm ein Ohr abzuschneiden. Ihm wurden Ehrentitel und Pension aberkannt, seine Bücher verbrannt und die Aufführung seiner Stücke wurde verboten. Seine Frau und sein Sohn verloren ihre Jobs.
Nationalistische Töne der Kulturelite und der Opposition
Dabei wird die Kontroverse um ein literarisches Werk, das in Aserbaidschan keinen Verleger fand, auch von weiten Teilen der nationalistischen Kulturelite und der Opposition mitgetragen. "In Aylislis Buch wird das aserbaidschanische Volk in ein sehr schlechtes Licht gerückt. Das dient weder einer guten Nachbarschaft, noch der Konfliktlösung", meint etwa Isa Gambar von der Oppositionspartei Musavt, der die persönlichen Angriffe auf den Autor allerdings verurteilt. Zudem würde sich die Regierung den Streit zu nutze machen, um von den Problemen im Land abzulenken. Auch die Journalistin Nurani von der Wochenzeitung "Echo Baku" hat Verständnis für die Empörung ihrer Landsleute: Das Buch "verfälsche" die historischen Tatsachen und zeige plakativ, wie "schlechte Aserbaidschaner gute Armenier töten".
Letzter Ausweg Exil?
Trotz der Hetze und den persönlichen Konsequenzen für ihn, denkt Akram Aylisli nicht daran, seine Novelle zurückzuziehen oder gar ihre Aussagen zu widerrufen.
Ob er ins Exil geht, will er davon abhängig machen, wie sich das Regime in den nächsten Wochen verhält. Wenn es an seiner Haltung festhält, bleibe ihm keine andere Wahl: "Ich befinde mich in einer ausweglosen Situation. Ich kann nicht schreiben. Um zu schreiben, brauche ich ein friedliches Umfeld."
Stand: 20.06.2013 16:11 Uhr
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