So., 01.09.13 | 23:20 Uhr
Das Vermächtnis des L. Ron Hubbard
Scientology, Hollywood und die Innenansicht einer modernen Kirche
Sie möchte uns glauben machen, dass die Menschen vor 75 Millionen Jahren aus dem Weltall mit Raumschiffen auf die Erde geschickt, in Vulkanen versteckt und mit Wasserstoffbomben in die Luft gesprengt wurden. Und dass nur sie in der Lage ist, uns in die kosmische Klarheit zurückzuführen.
Religion mit "Science-Fiction-Qualität"
Die Rede ist von der Church of Scientology, einer der umstrittensten neuen religiösen Bewegungen weltweit. Während die Organisation in Deutschland seit 1997 vom Verfassungsschutz beobachtet wird, steht sie in den USA nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten als anerkannte steuerbefreite Religionsgemeinschaft unter dem Schutz der Verfassung. Ungestraft kann sie Praktiken nachgehen, die gegen Gesetze verstoßen. Die Vorwürfe, die Scientologen freilich immer wieder dementieren, reichen von Geschäftemacherei bis hin zu Freiheitsberaubung.
Ihre Lehren gehen auf die Schriften des US-amerikanischen Science-Fiction-Autors L. Ron Hubbard zurück, der Scientology 1953 gründete. "Auch seine Religion hat eine gewisse Science-Fiction-Qualität. Er selbst nannte es 'Weltraumoper'", sagt Lawrence Wright.
Insider-Report
Der Pulitzerpreisträger, der bereits 2010 über den Ausstieg des Drehbuchautors und Oscar-Preisträgers Paul Haggis einen Aufsehen erregenden Bericht publiziert hatte, hat sich in das Herz von Scientology begeben.
Er suchte Antworten auf eine Reihe von Fragen, die sich wohl nicht nur ihm stellen: Was genau die Attraktivität einer Kirche ausmacht, die immer wieder für Negativschlagzeilen sorgt, welchen Nutzen Scientologen aus ihrer Mitgliedschaft ziehen, wie scheinbar vernünftige Menschen Vorstellungen übernehmen, die vollkommen abwegig erscheinen. Und nicht zuletzt warum Stars wie Tom Cruise oder John Travolta sich zu einer Kirche bekennen, obschon das vermutlich ihrem Ansehen schadet.
Auf der Basis von rund 200 Interviews mit aktiven Mitgliedern, Aussteigern, allerdings ohne mit Scientology-Chef David Miscavige oder einer anderen Führungskraft gesprochen zu haben, sowie jahrelangen Archivrecherchen, schildert Lawrence Wright in seinem jetzt erscheinenden Buch "Im Gefängnis des Glaubens" die Geschichte der Organisation und ihres Messias L. Ron Hubbard, der als Kapitän über die Ozeane kreuzte, es immer wieder schaffte, sich Gerichtsverfahren und Steuerbehörden zu entziehen, und der Scientology als "Wissenschaft" betrachtete. Auf seinem Schiff versammelte er eine Gemeinschaft von Jüngern, die "Sea Organisation", die ihm und seiner Lehre bedingungslos ergeben waren.
Spirituelle Erlösung durch Dianetik
In den 50er-Jahren wurde L. Ron Hubbards Methode der Dianetik weltweit zum Erfolg: eine Psychotechnik, die spirituelle Erlösung versprach. Auf der Suche nach Heilung waren viele bereit, Hunderte von Dollars für sogenannte Auditings zu zahlen. Traumata sollten mithilfe des E-Meters, einer Art Lügendetektor, erkannt und überwunden werden.
"Der Wendepunkt kam, als er aus einer therapeutischen Methode eine Religion machte. Wenn ein Mensch wie Hubbard mit einem so instabilen Charakter und einem Hang zum Verfolgungswahn die totale Kontrolle über das Leben von Menschen bekommt, ist das ein sehr gefährliches Unternehmen", meint Wright.
Schon auf seinen Schiffen richtete Hubbard brutale Umerziehungs- und Straflager ein. In Ungnade gefallene Adepten mussten Zwangsarbeit leisten.
Unterdrückung und totale Kontrolle
"In einer seiner Schriften sagt Hubbard: 'Nur die Tiger werden überleben.' Diese Ideologie wird bei Scientology propagiert. Jeder Scientologe muss diese Schrift in jedem Kurs, bei jeder Gelegenheit lesen, immer und immer und immer wieder", sagt Marc Headley.
Der Scientology-Aussteiger, einer von 200 Zeugen, die Lawrence Wright für sein Buch interviewte, war 15 Jahre lang Mitglied der "Sea Organisation" und lernte dort auch seine Frau kennen. Weil es den Mitgliedern seit 1986 verboten war, Kinder zu bekommen, musste Claire Headley mehrmals abtreiben. "Als sie schwanger war und zur Abtreibung gezwungen wurde, bekam ich sogar sechs Monate lang nichts davon mit. Sie durfte mir nicht einmal davon erzählen. Das ist das Maß an Kontrolle, die es dort gibt", so Marc Headley.
Die Mitglieder der "Sea Organisation" leben umgeben von Stacheldraht in einem Klima der Angst. "Dort herrschten Furcht und Einschüchterung, die ganzen Jahre, die ich dort war. Wenn jemand zu fliehen versuchte, schickten sie ihm ein ganzes Einsatzteam hinterher. Neun von zehn Aussteigern brachten sie zurück. Jeder wusste also: Wenn du fliehen willst, brauchst du schon einen sehr guten Plan."
Tom Cruise - das Gesicht von Scientology
Immer wieder geriet Scientology auch international unter Beschuss. In Tom Cruise fand die Organisation einen wirkungsvollen Fürsprecher. Der Hollywoodstar ist das Gesicht der Organisation, sein Erfolg wird von den Bossen der Kirche gezielt eingesetzt. Niemand verkörpert die Ideologie des "Uns gehört die Zukunft" besser als der Held aus "Mission Impossible".
"Tom Cruise war mein erster Auditor. Ich kam in den Raum und da waren Tom Cruise und Nicole Kidman und Kirsty Alley. Ich war total aufgeregt und dachte: Wow, wo bin ich hier? Was für eine Menge Stars!", erinnert sich Marc Headley.
Scientology und Tom Cruise sind auf schicksalhafte Weise verbunden, schreibt Lawrence Wright. "Die einzige Möglichkeit, dass sich die Kirche irgendwann einmal ändert, ist, wenn Tom Cruise es verlangt. Ihre Zukunft hängt von ihm ab. Und deswegen glaube ich, dass er eine größere moralische Verantwortung trägt dafür, was bei Scientology passiert, als irgendjemand sonst", meint er.
Organisation vor dem Kollaps
In den USA ist Scientology als Religionsgemeinschaft dank der damit verbundenen Steuerbefreiung sagenhaft reich. Trotzdem, so Lawrence Wright, stehe die Organisation vor dem Kollaps: Denn eine Kirche, die ihre Anhänger verfolgt und Straflager unterhält, habe jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Das sieht Scientology selbst natürlich anders - und hat im Internet auch gleich eine Gegendarstellung zu Wright veröffentlicht.
Buchtipp
Lawrence Wright: Im Gefängnis des Glaubens.
Scientology, Hollywood und die Innenansicht einer modernen Kirche
DVA 2013, Preis: 24,99 Euro
Erscheinungstermin: 2. September 2013
Stand: 16.10.2013 10:26 Uhr
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