SENDETERMIN So., 06.10.13 | 23:05 Uhr

Ein flottes Mädchen

Das bewegte Leben der Fotografin und Verlegerin Inge Feltrinelli

Die Verlegerin Inge Feltrinelli
Ein Leben wie ein Film: die Verlegerin Inge Feltrinelli | Bild: akg-images / Bruni Meya

Inge Feltrinelli, die 1930 in Essen geborene und in Göttingen aufgewachsene Tochter eines deutschen Juden, kann auf ein wahrlich bewegtes Leben zurückblicken. Es führte die heutige Präsidentin des Mailänder Feltrinelli-Verlages zunächst als Gesellschaftsfotografin aus dem biederen Nachkriegsdeutschland von Hamburg in die Welt: nach New York, Kuba und Paris, zu den Reichen, Klugen und Berühmten ihrer Zeit - von John F. Kennedy, Fidel Castro und Marc Chagall über Simone de Beauvoir und Gary Cooper bis hin zu Pablo Picasso.

Fotografin mit dem Gespür für den richtigen Moment

Ein flottes Mädchen: die junge Inge Feltrinelli, damals noch Schönthal
Ein flottes Mädchen: die junge Inge Feltrinelli, damals noch Schönthal  | Bild: Inge Feltrinelli/Steidl Verlag

"Ich war ein Nachkriegsmädchen, hungrig endlich etwas von der Welt zu sehen. Deshalb zog ich 1950 von Göttingen nach Hamburg. Ich lernte das ABC des Fotografierens, und da ich ein flottes Mädchen war, konnte ich als Fotomodell etwas Geld verdienen", erinnert sich die Verlegerin.

In der Hansestadt hatte die zwanzigjährige Inge Schönthal durch Zufall Hans Huffzky, den Gründer der Frauenzeitschrift "Constanze" kennengelernt. Er machte die junge Frau mit den Verlegern Rudolf Augstein, Axel Springer und Heinrich Maria Ledig-Rowohlt bekannt, stellte sie Schriftstellern und Künstlern vor. Und er bläute ihr das Credo von Henri Cartier-Bresson ein: beim Auslösen der Kamera stets auf den entscheidenden Moment, "the decisive moment", zu achten

Legendärer Schnappschuss: Inge Feltrinelli mit Ernest Hemingway
Legendärer Schnappschuss: Inge Feltrinelli mit Ernest Hemingway | Bild: Inge Feltrinelli /Steidl / Inge Feltrinelli

Dabei erwies sich Inge Feltrinelli als ebenso gelehrige wie talentierte Schülerin. Immer wieder gelangen ihr legendäre Schnappschüsse: In New York lichtete sie Greta Garbo auf der Madison Avenue an einer Ampel stehend ab. In Kuba fotografierte sie den späteren Literaturnobelpreisträger Ernest Hemingway, einen riesigen Schwertfisch und sich selbst. Ein Foto, das um die Welt ging und ihre Karriere als gefragte Gesellschaftsfotografin sicherte.

Ihre Arbeiten aus dieser Zeit, die Jahrzehnte lang unbeachtet in Kisten in einer Mansarde lagen, erscheinen jetzt bei Steidl als Bildband. Alle Motive verraten das ungezwungene, bisweilen gar freundschaftliche Verhältnis zwischen der Fotografin und ihrem Objekt: Marc Chagall machte für sie ein freundliches Gesicht, Simone de Beauvoir lächelte zufrieden, und Gary Cooper betrank sich in aller Ruhe weiter.

Von der Gesellschaftsfotografin zur Verlegerin

1958 lernte sie auf einer Party bei Rowohlts den Erben einer der reichsten italienischen Familien, Giangiacomo Feltrinelli, kennen. Der junge Verleger und Kommunist hatte gerade mit Pasternaks "Doktor Schiwago" einen Welterfolg gelandet, nachdem er das Manuskript selbst nach Italien geschmuggelt hatte, und schickte sich an, mit Lampedusas "Leopard" einen weiteren Bestseller herauszubringen.

Ein "Jahrhundertpaar"

Inge Schönthal wurde Giangiacomo Feltrinellis dritte Ehefrau und legte die Kamera zur Seite. "Die Fotografie", sagt sie rückblickend, "kam mir auf einmal unbedeutend vor". Stattdessen engagierte sie sich im Verlag, holte deutschsprachige Autoren wie Frisch, Bachmann oder Walser.

Fidel Castro (l) und Giangiacomo Feltrinelli (r)
Fidel Castro (l) und Giangiacomo Feltrinelli (r) | Bild: Inge Feltrinelli/Steidl / Inge Feltrinelli

Das "Jahrhundertpaar", so Klaus Wagenbach über Inge und Giangiacomo Feltrinelli, reiste um den Globus, besuchte Schriftsteller, lernte Fidel Castro und Che Guevara kennen. In Mailand gewährte es dem angeschossenen Rudi Dutschke Unterschlupf.

Doch mit der politischen Radikalisierung Giangiacomo Feltrinellis kriselte es zunehmend in der Ehe. Das Paar ging getrennte Wege. Als er 1969 eine Widerstandszelle gründete und in den Untergrund ging, übertrug er dennoch seiner Frau die Verlagsleitung. Nachdem er 1972 unter bis heute ungeklärten Umständen bei einem Sprengstoff-Attentat ums Leben gekommen war, begannen für sie schwere Zeiten. Für viele war Inge Feltrinelli die Gattin eines Terroristen. Sie erlebte Bombendrohungen und Hausdurchsuchungen. Auch im Verlag ging es bergab: Die Verkaufszahlen waren rückläufig, ein Drittel der Belegschaft musste entlassen werden.

Doch Inge Feltrinelli krempelte das Programm um und schaffte es, den Verlag zu retten, an dessen Spitze heute ihr Sohn Carlo steht. Für ihr kulturelles Engagement erhielt die 82-Jährige zahlreiche internationale Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz und zuletzt 2011 die Karlsmedaille für europäische Medien.

Buchtipp

Inge Feltrinelli: Mit Fotos die Welt erobern.
Steidl, ab 10. Oktober  2013
ISBN 978-3-86930-529-5, Preis: 38 Euro

Stand: 07.10.2013 10:28 Uhr

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