Sa., 15.05.21 | 16:00 Uhr
Das Erste
Im Schatten: Leben ohne Sonnenschein
Der Sonne aus dem Weg zu gehen, ist nicht einfach. Kino statt Freibad, lange Kleidung und Handschuhe – selbst im Hochsommer. "Ich kann einige Sachen einfach nicht machen wegen der Sonne", sagt Lara Hepp. Die 13-Jährige reagiert extrem empfindlich auf Sonnenlicht: Schon wenige Minuten Sonne können ein Jucken oder Brennen und auch massive Schmerzen verursachen, die über Tage andauern.
Auch die 65-Jährige Elisabeth Peitz kennt diese Symptome: "Man hat das Gefühl, man verbrennt innerlich. Man will einfach nur in den Schatten und die Haut kühlen – egal wie." Sogar die eigene Körperwärme, aber auch jeder Berührung oder ein Luftzug können dann schmerzhaft sein. Der Grund für Lara Hepps und Elisabeth Peitzs Lichtunverträglichkeit ist die genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung Erythropoetische Protoporphyrie (EPP).
EPP ist eine seltene Krankheit
Etwa 800 Menschen sind in Deutschland von ihr betroffen, schätzen Expert*innen. Nicht nur weil EPP kaum bekannt ist, sondern auch weil die Beschwerden lange vor sichtbaren Hautreaktionen wie Schwellungen oder Rötungen auftreten, wird Betroffenen oft nicht geglaubt und die Diagnose EPP – wenn überhaupt – meist erst spät gestellt. Menschen mit EPP haben schon im Kleinkindalter Symptome, so auch Lara Hepp. Sie ist zwei Jahre alt, als ihre Eltern im Strandurlaub bemerken, dass auf ständiges Händereiben tagsüber schlaflose Nächte mit stundenlangem Weinen folgen. Die Eltern sind ratlos, wissen nicht, was die Schmerzen verursacht – bis zur Diagnose EPP, drei Jahre später.
Elisabeth Peitz dagegen kann sich jahrzehntelang nicht erklären, was mit ihr los ist. "Meine Mutter hat das immer in Verbindung gebracht mit Blumenpflücken", sagt sie und der Hausarzt habe immer nur von Hautjucken gesprochen – die erste von vielen Fehldiagnosen. Erst als Elisabeth Peitz 50 Jahre alt ist, stellt man ihr mit EPP endlich die richtige Diagnose.
Halbstarke Porphyrine vermitteln die Zerstörung
Bei Menschen mit EPP läuft die Blutbildung nicht nach Plan – schuld ist ein Gendefekt. Unfertige Vorstufen des roten Blutfarbstoffs Häm, sogenannte Protoporphyrine, reichern sich im Körper und vor allem in der Haut an. Die unerwünschten Halbstarken richten großen Schaden an, wenn sie mit Sonnenlicht in Berührung kommen. Sie nehmen nämlich seine Energie auf und geben sie weiter. Auf diese Weise entstehen Sauerstoffradikale und andere hochreaktive Moleküle, die das umliegende Gewebe zerstören, Entzündungen verursachen und die Nerven schmerzhaft reizen.
Besonders empfänglich sind die halbstarken Porphyrine für kurzwelliges Licht, also den blauen Anteil des Sonnenlichts. Auch künstliche Lichtquellen, die diese Wellenlänge bedienen, können für Menschen mit EPP problematisch sein, LEDs oder Tageslichtlampen etwa. Das ist bei Lara Hepp nicht der Fall, weil sie eine etwas mildere Form von EPP hat. Trotzdem kann sie sich höchstens insgesamt eine Stunde – über den Tag verteilt – frei unter bewölktem Himmel bewegen. Dann sind die Folgen noch erträglich. Für das von ihr geliebte Fußballspielen, reizt sie diese Grenze voll aus. "Ich nehme Schmerzen bewusst in Kauf, weil ich die Sachen, die mir Spaß machen, nicht so einfach aufgeben will."
Ein Medikament macht Hoffnung
Für Elisabeth Peitz gehört das Abwägen zwischen Freiheit und Schmerzen der Vergangenheit an – zumindest für acht Monate pro Jahr. "Ich liebe es, in der Sonne zu sein“, sagt sie. Und: "Ich kann das jetzt gut vertragen." Seit 2017 bekommt Elisabeth Peitz viermal jährlich ein Wirkstoffimplantat, das die Bräunung der Haut anregt und so den körpereigenen Lichtschutz verstärkt. Zwei Implantate mehr pro Jahr würde die Suche nach Schatten ganzjährig überflüssig machen, doch das übernimmt die Krankenkasse bislang nicht. Auch nur von acht Monaten Freiheit pro Jahr kann Teenagerin Laura Hepp nur träumen, denn das Medikament ist nur für Erwachsene zugelassen: "Ich stell mir es ziemlich schön vor, wenn man in die Sonne gehen kann, ohne dass man Schmerzen hat. Wenn man einfach draußen sein kann, wie man will."
Zusatzinfos (Fachausdrücke, Erklärungen):
Autorin: Uta Schindler (SWR)
Stand: 31.05.2021 11:12 Uhr