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Einsturz des Kölner Stadtarchivs

Trümmer des eingestürzten Archivs
Trümmer des eingestürzten Archivs | Bild: AP

Am dritten März 2009 öffnete sich neben einer Baugrube mitten in Köln ein riesiges Loch und verschluckte das Historische Stadtarchiv. Zwei Menschen verloren ihr Leben. Unersetzliche Kulturgüter versanken in Trümmern und Morast. Es scheint, dass beim Bau einmal zu oft nach dem Motto gehandelt wurde: Augen zu und durch.

Spurensuche in der Tiefe

Auch ein Jahr nach dem Kölner Unglück ist die Suche nach den Ursachen noch längst nicht abgeschlossen. Aber fast täglich gibt es Nachrichten über Fehler, Pfusch und Betrügereien rund um diese Baustelle. Von gefälschten Messprotokollen, schlampigem Betonieren und Diebstahl sicherheitsrelevanter Baustahlteile reicht inzwischen die Palette der Verfehlungen. Nach und nach rücken weitere Baustellen in Deutschland ins Visier der Ermittler.

Um die genaue Unfallursache festzustellen, müssen die Ermittler die Einsturzstelle allerdings genau untersuchen. Hierzu soll im Herbst 2010 neben der Baugrube ein eigenes Bauwerk errichtet werden, das den Zugang zur vermuteten Schadstelle ermöglicht - entweder für Taucher oder, noch aufwändiger, für die Gutachter selbst. Und diese Bauarbeiten können erst beginnen, wenn die noch unter dem Grundwasserspiegel im Schutt verborgenen Archivschätze geborgen wurden. Hierzu müssen Spundwände den Einsturztrichter stabilisieren. Erst dann kann der mit Archivstücken durchsetzte Schutt ohne Gefahr ausgebaggert werden. So lange gilt an dieser Baustelle Baustopp.

Es kann also noch ein weiteres Jahr vergehen, bis die tatsächliche Ursache festgestellt wird. Was sich aber immer deutlicher abzeichnet, ist, dass wirkungsvolle Kontrollen das Unglück hätten vermeiden können.

Riskante Baumethode?

Grafik der geplanten Baumethode. Grube ausgehoben ohne Beton. Abdichtende Schicht hervorgehoben.
Eine zwei Meter dicke Erdschicht soll von unten abdichten | Bild: WDR

Direkt vor dem Stadtarchiv unter der Severinstraße in der Kölner Südstadt soll eine unterirdische U-Bahn-Rangierhalle entstehen. Eine besondere Herausforderung für die Ingenieure, denn die Halle muss hier über 20 Meter tief ins Grundwasser hineingebaut werden. Im Jahr 2003 erhalten die Baufirmen den Zuschlag für eine besonders preisgünstige Baumethode, die aber auch Risiken aufweist: Dabei soll die Grube nach unten hin zunächst nicht von Beton, sondern von relativ wasserundurchlässigen Bodenschichten in 35 Metern Tiefe abgedichtet werden. Zwei Meter tief reichen die seitlichen Betonwände in diese Schichten hinein. Brunnen, die das nachströmende Wasser abpumpen, sollen die Grubensohle trocken halten. Nachteil: Der Boden der Grube bleibt dabei monatelang relativ ungesichert. Bis die Betonsohle gegossen ist, droht ein sogenannter hydraulischer Grundbruch. Dabei könnte das Grundwasser die abdichtenden Schichten durchbrechen und mit hohem Druck die Grube fluten.

Auf den Seitenwänden lastet während der Bauphase ebenfalls der Druck des Grundwassers. Sie müssen auch unterhalb des Grubenbodens absolut dicht sein, damit eindringendes Wasser keine Erdpartikel in die Grube spülen kann. Denn dies würde das empfindliche Gleichgewicht in der Tiefe stören, das diese Methode überhaupt erst ermöglicht.

Fehleinschätzung im Untergrund

Dem Geologischen Dienst NRW sind die Eigenschaften der abdichtenden Schichten seit langem bekannt. Er ist das geologische Gedächtnis des Landes, verwaltet in seinem Archiv Daten von 260.000 Bohrungen. Der Dienst berät Kommunen und Bauherren normalerweise bei Großprojekten. Prof. Josef Klostermann, Leiter des Dienstes, hätte die für die Rangierhalle gewählte Baumethode nicht empfohlen. Denn in den vermeintlich abdichtenden Schichten sind feine Sande einheitlicher Korngröße enthalten. Diese Feinsande unter dem Stadtarchiv sind nicht nur durchlässig und können leicht ausgespült werden. Sie sind noch viel gefährlicher. Sie sind thixotrop, das heißt, sie können komplett in Bewegung geraten und bei Druckunterschieden plötzlich fließen wie Wasser. Selbst in den Schichten rund um die Baugrube muss man immer wieder mit solchen Sanden rechnen. Wer hier tief im Grundwasser bauen möchte, muss den Untergrund zuvor sehr genau untersuchen.

Und tatsächlich berichteten 2006 Mitarbeiter der Baufirmen auf einem Fachkongress der Baugrundtagung in Bremen über eine Fehleinschätzung des Untergrundes. Die abdichtenden Schichten würden viel mehr Wasser durchlassen als erwartet. Für die Ausschreibung hatte man 37 Meter tiefe Schlitzwände geplant. Laut Berechnungen seien aber bei diesem Untergrund teilweise mehr als 60 Meter tiefe Wände notwendig, um vor einem hydraulischen Grundbruch sicher zu sein. Solch tiefe Wände seien aber nicht mehr zuverlässig zu bauen und dicht zu bekommen. Der Kompromiss der Baufirmen: Nur 45 Meter tiefe Seitenwände, dafür aber zusätzliche Brunnen, die das Wasser viel tiefer, bis zur Unterkante der Wände absenken.

Fehlerhafte Schlitzwände

Schlitzwände von 45 Metern Länge sind selbst unter besten Bedingungen selten völlig dicht. Und in Köln wurde offenbar dazu noch unsauber gebaggert und betoniert. Einige undichte Stellen konnten zwar rechtzeitig abgedichtet werden. Andere Stellen blieben offenbar bis zuletzt unentdeckt. Durch sie konnte unterhalb des Grubenbodens Wasser zwischen die Schlitzwände gelangen. Sogar Baustahl wurde von Bauarbeitern gestohlen: Nur ein Bruchteil der für die Stabilität der Wände wichtigen Verbindungsklammern wurde vermutlich angeschweißt, der Rest verscherbelt.

Missachtete Warnzeichen

Von Anfang an haben die Baufirmen das in die Grube eindringende Wasser nicht im Griff. Die Gründe: undichte Schlitzwände und ein durchlässiger Untergrund. Ende Juni 2008 nehmen die Baufirmen zusätzliche Pumpen in Betrieb. Am 8. September dringt trotzdem Wasser von unten durch den Boden der Grube: Für jeden Fachmann ein Alarmzeichen, um nach den Ursachen zu forschen.

Stattdessen wurden noch mehr Brunnen gebaut, insgesamt 23 statt der ursprünglich geplanten vier. Und es wurde viel mehr Wasser abgepumpt als ursprünglich geplant und offiziell erlaubt: zuletzt pro Stunde weit über 1.000 Kubikmeter. Das ist fast so viel wie ein Hallenbad - Stunde für Stunde.

Das in die Grube einströmende Wasser reißt offenbar feinen Sand mit. Wo der feine Sand fehlt, strömt Wasser noch schneller in die Grube – und es wird noch mehr Sand ausgespült. Ein Teufelskreis. Im Dezember 2008 stellte ein Gutachter Risse im Stadtarchiv fest, bis zu vier Zentimeter breit. Er empfahl, nach den Ursachen zu forschen. Stattdessen wird monatelang weitergepumpt. Am Auslass der Rohre in einem Rheinhafen bildet sich eine Sandbank. Offiziell wird sie erst nach dem Unglück bekannt. Aber das dort abgelagerte Material hätte in vorgeschriebenen Messungen des Pumpwassers eigentlich auffallen müssen.

Anfang Februar 2009, einen Monat vor dem Unglück, sackte das Archiv an einem einzigen Tag um sieben Millimeter ab; seit Beginn der Bauarbeiten sogar um 20 Millimeter. Ein Hinweis, dass unter dem Archivgebäude Material weggespült wurde.

Auf alle diese Warnzeichen wurde offenbar nicht angemessen und rechtzeitig reagiert. Vieles weist darauf hin, dass die Kontrollen unzureichend waren.

Das Desaster nimmt seinen Lauf

Am 3. März 2009 bemerkten die Arbeiter, dass plötzlich Wasser aus dem Grund der Grube dringt. Erst von diesem Moment an ist das Unglück nicht mehr aufzuhalten. Was dabei genau passierte, ist noch nicht endgültig geklärt. Entweder entstand ein sogenannter hydraulischer Grundbruch, das bedeutet, dass die Sedimente von unten, unter den Schlitzwänden hindurch in die Baugrube hineingedrückt wurden - ausgelöst etwa durch sich plötzlich verflüssigende Sande.

Als wahrscheinlicher gilt derzeit jedoch, dass die Schlitzwände im unteren Teil Öffnungen aufwiesen. Ähnlich wie beim hydraulischen Grundbruch wurde das Material durch den hohen Wasserdruck plötzlich in die Grube gerissen.

Die Wirkung ist bei beiden möglichen Ursachen dieselbe: Unter dem Archiv bildet sich ein Trichter, in den kippt das Gebäude und stürzt in die Baugrube. Zwei Nachbarhäuser folgen, darin sterben zwei Menschen.

Besonders tragisch: Das Unglück hätte bis kurz zuvor leicht vermieden werden können! Man hätte die Grube nur fluten müssen, um den immensen Wasserdruck von der Außenseite der Schlitzwand auszugleichen. Ein Jahr nach dem Unglück wird genau dies in einer anderen Kölner U-Bahn-Baugrube gemacht, wenn das Grundwasser steigt. Hier kommen die Hinweise auf mangelnde Stabilität der Schlitzwände durch Baumängel noch rechtzeitig.

Adressen & Links

Geologischer Dienst NRW: Diese Seite gibt einen Überblick über die vielen interessanten Aspekte der Arbeit der Landesbehörde - von der Erdbebendatei bis zur geologischen Karte.
www.gd.nrw.de

Wer sich über die Baumaßnahmen rund um den Bau der Kölner Nord-Süd-Stadtbahn informieren möchte, findet auf dieser Seite der Kölner Verkehrsbetriebe sehr viel Interessantes. Allerdings sind die Informationen der Bauherren zur Baumaßnahme am Historischen Stadtarchiv mehr als dürftig.
www.nord-sued-stadtbahn.de/

Autor: Vladimir Rydl (WDR)

Stand: 03.11.2015 13:50 Uhr

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