So., 10.01.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Essen macht glücklich – aber anders, als man denkt
Dass Essen glücklich macht, weil bestimmte Stoffe darin direkt auf das Gehirn wirken, glauben viele. Bananen, Nüsse, Schokolade und andere Lebensmittel sollen die Stimmung heben - doch leider ist davon kaum etwas wahr. Für W wie Wissen sagt Deutschlands prominentester Ernährungspsychologe, was an Glückstoffen im Essen wirklich dran ist. Und W wie Wissen macht den Test: Macht Schokolade glücklich – und wenn ja, warum?
Gute Laune auf dem Teller?
Glück durch Essen - was früher banal mit gutem Geschmack, Luxus oder Küchenkunst begründet wurde, kommt heute wissenschaftlich aufgemotzt daher: Hirnbotenstoffe oder geheimnisvolle Glückshormone sollen in bestimmen Lebensmitteln wirken. Sie stecken angeblich in bisher harmlosen Bananen, Tomaten, Nüssen oder Datteln, weshalb deren Verzehr die Stimmung heben soll. Auch der Glücklichmacher Nummer 1, die Schokolade, verdankt sein Suchtpotenzial laut hartnäckigen Behauptungen geheimnisvollen Inhaltsstoffen. Hauptverdächtig immer wieder: Serotonin, ein Neurotransmitter, der bei Depressiven oft in niedrigerer Konzentration vorliegt. Serotonin soll unter anderem in Bananen und Schokolade stecken, aber auch in Nüssen und Tomaten. Doch so plausibel die Vorstellung klingt, dass man sich glücklich essen kann - wahr ist leider kaum etwas davon.
Der geheimnisvolle Glückstoff
Serotonin ist ein Botenstoff für Nervenzellen, den der Körper überwiegend selbst herstellt. Er spielt bei Depressionen eine bestimmte Rolle, da man festgestellt hat, dass der Serotoninspiegel im Gehirn von Depressiven scheinbar niedriger ist als bei Gesunden. Im Körper reguliert Serotonin als Botenstoff die Darmbewegungen und ist daher vornehmlich dort zu finden - 95 Prozent des körpereigenen Serotonins sind im Darm. Zwar sind tatsächlich in einigen Lebensmitteln Spuren von Serotonin enthalten. Durch die Verdauung kommt es ins Blut, doch beeinflusst es dort den körpereigenen Serotoninspiegel kaum. Denn es sind nur winzige Spuren, die sich auf den Körper nicht auswirken. Zudem müsste das Serotonin, sollte es glücklich machen, nicht im Darm, sondern im Gehirn wirken können. Doch genau hier liegt der Haken: "Serotonin im Essen macht nicht per se glücklich", sagt Dr. Thomas Ellrott, Ernährungsmediziner und Leiter der Ernährungspsychologischen Forschungsstelle der Universität Göttingen. "Denn das Serotonin im Essen kommt gar nicht da hin, wo es glücklich machende Wirkung haben könnte, nämlich ins Gehirn. Und darum ist es ein Trugschluss zu glauben, dass man Serotonin essen kann und dann glücklich wird."
Das Gehirn schützt sich selbst
Dass das Serotonin aus dem Blut nicht ins Gehirn gelangt, liegt daran, dass das Denkorgan sich mit einer Schutzschicht gegen viele Stoffe von außen verbarrikadiert. Nur Serotonin, das im Gehirn selbst von Nervenzellen erzeugt wird, kann im Gehirn auch wirken. Der Schutzmechanismus in den Adern ist die sogenannte Blut-Hirn-Schranke, gemeint ist damit ein besonderer Aufbau der Gefäße im Gehirn. Das Blut und die darin transportierten Stoffe werden gefiltert, besondere Zellmechanismen in den Wänden der Blutgefäße sorgen dafür, dass nur wenige Substanzen wirklich ins Gehirn dringen können. Neben Wasser - sowie Zucker als Nährstoff - für die Hirnzellen treten unter anderem bestimmte Aminosäuren durch. Serotonin aus der Nahrung aber prallt an der Barriere ab.
Der Rohstoff für das Glück: die Aminosäure Tryptophan
Raffiniertere Autoren von Ratgebern und Vielschreiber in Internet-Foren sind da aber auch schon einen Schritt weiter. Sie führen ihre Ernährungsempfehlungen gleich auf den Rohstoff für Serotonin zurück, die Aminosäure Tryptophan. Dieser Eiweißbaustein ist in Fleisch, Käse und allen eiweißhaltigen Lebensmitteln wie Milch enthalten. Aus Tryptophan stellen die Nervenzellen im Gehirn ihr eigenes Serotonin her, und der Eiweißbaustein passiert die Blut-Hirn-Schranke. Wer sich glücklich essen will, so lautet der Rat, der soll Tryptophan zum Beispiel aus Datteln zu sich nehmen, wo es in günstiger Konzentration vorliegt, oder eiweißreiche Lebensmittel mit Zucker kombinieren, da Zucker die Aufnahme von Tryptophan ins Gehirn fördert.
Viel hilft viel?
Leider aber bedeutet viel Tryptophan im Gehirn nicht automatisch viel Serotonin. Denn die Hirnzellen müssen Tryptophan erst umwandeln. Das dauert seine Zeit. Und wann sie in die Produktion gehen, hängt von Tageszeit, Licht, Bewegung, Hormonen und anderen Faktoren ab. Zudem sind Experten sicher, dass Lebensmittel die Tryptophan-Konzentration im Gehirn nicht stark erhöhen können, was die Voraussetzung für irgendeine Wirkung wäre. Das gelingt, wenn überhaupt, nur mit hohen Dosen von Tryptophan als Medikament, in Mengen, die durch Ernährung nie erreicht werden können. Die amerikanische Neurobiologin Dawn Richards schreibt dazu in einem Studienüberblick: "Es ist unwahrscheinlich, dass eine Veränderung beim Tryptophan durch eiweißhaltige oder zuckerreiche Ernährung in irgendeinerweise Effekte hat."
Es ist gar nicht das Serotonin
Allerdings lässt es sich nicht leugnen, dass es Glücksgefühle beim oder nach dem Essen bestimmter Lebensmittel wirklich gibt. Das beschwören Feinschmecker und Fans von Schokolade, Eis oder Kaffee. Doch an besonderen Stoffen, so Dr. Thomas Ellrott, liegt das nicht, für ihn sind es vor allem Lern-Effekte: "Man koppelt den Geschmack eines Lebensmittels an eine parallele, ganz positive Lebenssituation. Und später, wenn man dieses Lebensmittel zu einer anderen Situation isst, kann man automatisch dieses positive Gefühl mit dem Geschmack des Lebensmittels wieder abrufen. Und das ist eher der typische Weg, wie bestimmte Lebensmittel uns glücklich machen, wie sie ein richtiges kleines High auslösen können. Dafür ist allerdings nicht der Botenstoff Serotonin im Gehirn entscheidend, sondern ein ganz anderer Botenstoff: das Dopamin."
Auch dieser Botenstoff wird im Gehirn selbst erzeugt. Er spielt vor allem beim Lernen und im sogenannten Belohnungssystem eine Rolle. Das ist eine Gruppe von Hirnregionen, die einen Schwall von Dopamin ausschüttet, wenn man Erfolg oder einen plötzlichen Geistesblitz hat, wenn man motiviert ist, wenn ein Plan aufgeht – und wenn man Handlungen vollzieht, von denen man weiß, dass sie einem gut tun.
Erfüllte Erwartungen stimulieren das Gehirn
So erklärt sich auch der Glückskick beim Essen von Schokolade, von dem viele Schokoliebhaber sprechen. Der, sagen Fachleute wie etwa die Schokoladen-Forscher beim Branchenriesen Nestlé, kommt einfach davon, dass derjenige, der Schokolade isst, Schokolade mag. Und zwar das köstliche Aroma, den zarten Schmelz auf der Zunge, den süßen Geschmack. Dazu kommt noch die Gewohnheit, Schokolade in besonderen Situationen zu essen – als Trost etwa oder als Belohnung. So gewinnt die Schokolade an emotionaler Bedeutung und diese Gewohnheit verankert sich im Gehirn: Sobald Schokolade in der entsprechenden Situation gegessen wird, reagiert das Belohnungssystem mit der Ausschüttung von Dopamin. Schon seit Jahren ist bekannt, dass das Belohnungssystem bei Menschen anspringen kann, wenn sie Dinge essen, die sie mögen. Das Glücksgefühl beim Schokoessen entsteht durch diesen Vorgang im Gehirn – und nicht, weil etwa Dopamin in der Schokolade steckt.
Echte Geschmackssache: Schokolade
Bei Schokoliebhabern springt das Belohnungszentrum schon an, wenn sie nur Bilder von Schokolade sehen. Allein die Aussicht auf den Lieblingsstoff bringt das Gehirn in Wallung. Bei Menschen, die auf Schokolade nicht besonders scharf sind, gibt es diese Reaktion nicht – und so war es bei unseren Testkandidaten im Experiment: Wir haben zwei Freiwillige von Hirnforscher Dr. Bernd Weber am Institut Life&Brain in Bonn untersuchen lassen. Die Probanden lagen in einem Kernspin-Gerät und sahen Bilder von Schokolade und Bilder von anderen Lebensmitteln – Gemüse oder Wiener Würstchen. Das Kernspin-Gerät zeichnete währenddessen auf, wo sich in ihrem Gehirn die Durchblutung verstärkt. Und es gab einen deutlichen Unterschied: Heike van Beek, ausgesprochene Schokoliebhaberin, reagierte auf die Schokobilder mit einer erhöhten Aktivität im Belohnungszentrum. Dagegen gab es bei Sebastian Limprecht, der Schokolade nicht besonders mag, keinen nennenswerten Ausschlag. Hirnforscher sagen: Wichtig für den Glückskick ist die Präferenz, die individuelle Vorliebe, der eigene Wunsch, den man sich erfolgreich erfüllt. Und so macht sie doch glücklich, die Schokolade. Und zwar jeden, der sie mag.
Geprägt auf viele Kalorien
Thomas Ellrott plant jetzt eine Studie, die zeigen soll, welche Leckereien bei wem die Stimmung heben, denn "es gibt ganz klar nicht das eine Lebensmittel, das alle Menschen gesetzmäßig glücklich macht".
Individuelle Vorlieben – ob Süßes, ob eher Salziges und Pikantes, oder Fettiges und Fleisch – sind der Hauptfaktor. Auch der Luxus spielt eine Rolle, sagt Ellrott: "Oft verkneifen wir uns die Lieblings-Lebensmittel und gönnen sie uns nur in besonderen Situationen. Das erhöht die Glückswirkung, wenn man sie dann mal genießt." Dazu kommen auch gelernte Assoziationen sowie Verbindungen mit ganz bestimmten Stimmungen und Situationen. Ganz beliebig ist die Auswahl aber nicht: "Es gibt da so ein paar Gemeinsamkeiten unter den Lebensmitteln, die häufig genannt werden. Und das ist evolutionsbiologisch gut zu verstehen, es sind nämlich fast immer sehr kalorienreiche, sehr energiereiche, sehr zuckerreiche Lebensmittel. Und wir mussten in der Evolution immer solche Lebensmittel bevorzugen, die viele Kalorien enthalten haben. Darum ist es nur zu verständlich, dass wir ein Belohnungssystem haben, das den Verzehr kalorienreicher Lebensmittel auch mit einer guten Stimmung belohnt."
Adressen & Links
Website des Instituts für Ernährungspsychologie an der Universität Göttingen, Leitung: PD Dr. Thomas Ellrott. Es gehört zur medizinischen Fakultät, sein interdisziplinärer Ansatz ist einzigartig in Deutschland:
www.ernaehrungspsychologie.org
Das Schokoladenmuseum in Köln bietet nicht nur einen virtuellen Rundgang im Internet, sondern auch Informationen zu Herstellung und Geschichte der Schokolade:
www.schokoladenmuseum.de
Autorin: Johanna Bayer (WDR)
Stand: 31.10.2014 15:07 Uhr