So., 09.05.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Intelligente Tintenfische
Ein Tintenfisch namens Eva
Wer den gemeinen Kraken (Octopus vulgaris) Eva im Vivarium in Karlsruhe besucht, bleibt erst einmal verwundert stehen. Dieses Tier dreht den Spieß um: Es beobachtet den Besucher, reagiert auf Berührungen der Scheibe und ahmt mit seinen Tentakeln Fingerbewegungen nach. Das Tier kommuniziert ganz offensichtlich mit dem artfremden Wesen Mensch, es scheint darin Inspiration zu suchen. Dem Besucher drängt sich schnell die Frage auf: Ist dieses primitiv wirkende Meerestier intelligent? Und wenn ja, wie intelligent kann ein Tier sein, dass nicht zu den höheren Wirbeltieren zählt?
Intelligente Weichtiere?
Schon die Definition von Intelligenz bei Tieren ist umstritten. Auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht ist Intelligenz ein Sammelbegriff für die kognitive Leistungsfähigkeit von Lebewesen. Also die Fähigkeit, Dinge zu erkennen, zu verstehen, zu abstrahieren. Höhere Intelligenz zeigt sich durch Lernfähigkeit, also das Vermögen Probleme zu lösen, Wissen zu sammeln und dank eines Gedächtnisses auch anwenden zu können.
Tintenfische sind zwar Weichtiere, ihre nächsten Verwandten sind Schnecken und Muscheln. Doch im Gegensatz zu denen haben Kraken & Co. ein relativ großes Gehirn mit gefalteten Lappen. Und das ist zu erstaunlichen Leistungen imstande. Eva hat uns bei folgendem kleinen Intelligenztest jedenfalls schwer beeindruckt.
Eva und ihr Spiegelbild
Wir wollten zunächst wissen, wie Eva auf ihr Spiegelbild reagiert. Kraken sind Einzelgänger mit ausgeprägtem Revierverhalten. Hielte sie ihr Spiegelbild für einen Konkurrenten, dann müsste sie eigentlich mit Aggression reagieren. Doch nichts geschieht. Eva mustert ausgiebig das eigene Spiegelbild, tastet es ab und verliert dann schnell das Interesse. Ob der Krake sich selbst erkannte, lässt sich nicht zweifelsfrei belegen. Allerdings hat Eva schnell begriffen, dass sie keinen Konkurrenten vor sich hat. Allein das ist eine kognitive Leistung: Eva abstrahiert aus dem Geschehen, dass keine reale Gefahr besteht.
Der Schraubverschlusstest
Eva hat eine Leibspeise: Shrimps. Allerdings befindet sich ein leckeres Exemplar sicher verstaut in einem Becher mit Schraubverschluss. Um heranzukommen muss sie den Deckel richtig herum aufdrehen. Wie das funktioniert, das haben die Wissenschaftler Eva einige Wochen zuvor gezeigt. Sie hat es schnell gelernt, aber kann sie sich nach so langer Zeit noch an die Lösung des Problems erinnern? Als sie sich den Becher schnappt, dreht sie den Deckel sofort in die richtige Richtung. Die kognitive Leistung: Problem erkannt, Problemlösung erlernt und sich längere Zeit daran erinnert.
Lernen durch Beobachtung
Kognitionspsychologen der TU Dresden verwenden Kraken als Beispiel für das soziale Lernen durch Beobachtung (Siehe Link). Ein Krake wurde darauf trainiert, eine rote Kugel in seinem Wasserbecken anzugreifen. Weiße Kugeln konnten dagegen vernachlässigt werden. Nachdem dieser Krake trainiert war, ließ man andere Kraken als Beobachter durch eine durchsichtige Wand zusehen. Sie verhielten sich später in der gleichen Situation gegenüber den verschiedenen Kugeln genauso wie der Vorführer. Außerdem erlernten die Nachahmer dieses Verhalten wesentlich schneller als die Vorführer.
Antizipation und Werkzeugnutzung
Der Taucher Julian Finn vom Museum Victoria in Melbourne beobachtete einen Oktopus, wie er vor der Küste von Sulawesi Kokosnusshälften aufeinanderstapelte, die dort am Meeresgrund lagen. Als der Krake damit fertig war, schwang er seinen Körper in die offene Schale, und ließ die acht Arme über den Rand hängen. Dann versteifte er die Tentakel und rannte mit den Schalen auf Tentakelspitzen davon. Als der Taucher zu nahe kam, setzte der Krake die Schalen zu einer hohlen Kugel zusammen, um sich darin zu verstecken.
Dieses Verhalten konnte Finn noch bei drei weiteren Exemplaren beobachten und filmen. Das Verhalten zeigt die Fähigkeit zu vorausschauendem Handeln und entspricht der Definition von Werkzeuggebrauch: Die Tiere sichern die Kokosschalen, um sie später zu verwenden. Zum Zeitpunkt des Sammelns besteht gar keine Gefahr, die Schutzbedürftigkeit der Tiere liegt wenn überhaupt in der Zukunft. Trotzdem nimmt das Tier dafür den umständlichen Transport auf sich.
Vielfältige Intelligenz, verschiedene Charaktere
Volker Christian Miske, Diplombiologe am Zoologischen Institut und Museum der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald schreibt den Kraken sogar Charakter zu. Laut Miske konnte man beim Oktopus unterschiedliche Persönlichkeitstypen nachweisen. Die einen sind eher phlegmatisch, andere eher ängstlich. Manche sind sogar als aggressiv zu bezeichnen. Auch spielende Kraken, ein Merkmal, das eher Wirbeltieren zugeschrieben wird, werden immer wieder beobachtet: Eva zum Beispiel hat unsere Unterwasserkamera als Spielzeug betrachtet – nachdem klar war, dass es sich nicht um Beute handelt. Glücklicherweise war sie dem pfiffigen Kraken zum Mitnehmen aber zu schwer.
Stand: 11.10.2012 14:03 Uhr