So., 23.10.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Auf der Spur der schwarzen Raucher
In der ewigen Dunkelheit der Tiefsee blieben sie lange Zeit verborgen - die steinernen Türme, aus deren Spitze schwarzer "Rauch" herausbrodelt. Doch dank so mancher Tiefsee-Expedition wissen wir inzwischen: Es gibt je nach Tiefe schwarze, weiße und klare Raucher. Diese Schlote sind die Ventile unserer Erde. Sie speien heißes, giftiges Wasser in die kalten Ozeane und nähren auf diese Weise den wohl fremdartigsten Lebensraum der Erde. Diese Raucher oder Hydrothermalquellen entstehen an den Zonen der ozeanischen Erdkruste, die aufbrechen - wie an den Rändern von Kontinentalplatten, wo eine Erdkrustenplatte unter die andern abtaucht, oder in den mittelozeanischen Rücken, an denen aufsteigendes Magma den Meeresboden auseinander treibt.
Wie schwarze Raucher entstehen
Schwarze Raucher entstehen, weil an diesen "porösen" Stellen Meerwasser durch Risse in tiefere Schichten der Erdkruste eindringt - in Tiefen von einigen hundert bis mehreren tausend Metern. Hier trifft es auf glühendes Magma, erhitzt sich auf bis zu 400 Grad Celsius und reichert sich mit vulkanischen Gasen an. So entsteht ein explosives Gemisch, das durch die Erdkruste zurück auf den Meeresboden schießt. Auf seiner Reise durch die Unterwelt nimmt das Meerwasser auch viele Mineralstoffe aus der sich abkühlenden Schmelze auf - von Schwefelverbindungen bis zu Schwermetallen. Das herausschießende Wasser ist deshalb nicht nur saurer als Essig, sondern auch schwarz gefärbt - daher der Name. Diese giftige Brühe wäre für die meisten Meeresbewohner tödlich, sofern sie den enormen Druck in großer Tiefe überhaupt aushalten können. In der eisigen Kälte des Tiefseewassers - dort herrschen meist nur wenige Grad Celsius - flocken die gelösten Mineralstoffe schnell aus, lagern sich ab und bilden Schicht für Schicht die charakteristischen Schlote. Mehrere dieser Schlote bilden sogenannte Hydrothermalfelder, die viele Dutzend Quadratkilometer groß sein können.
Die Vermessung des Meeresbodens
Das Erstaunliche an den schwarzen Rauchern ist: In diesem brodelndem Hexenkessel in sonst eisiger Dunkelheit ist Leben entstanden. Mehr noch: Ganze Ökosysteme mit einer Vielfalt von Arten existieren hier. Raucher sind die am dichtesten besiedelten Lebensräume der Tiefsee. Und viele von ihnen werden erst jetzt entdeckt.
Nicole Dubilier vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen hat im vergangenen September eine Expedition auf den mittelatlantischen Rücken geleitet. Doch in Tausenden Metern Tiefe nach Hydrothermalquellen zu suchen, ist sehr schwierig und ein großes Abenteuer. Der Unterwasserroboter kämpft in 2.000 Metern Tiefe mit starken Strömungen. Die Orientierung ist sehr schwierig. Doch das Team um Nicole Dubilier hat Hightech an Bord: Der Brasilianer Christian Ferreira testet ein neu entwickeltes Echolot, um den Meeresboden zu vermessen. Das Gerät misst 400 Mal detaillierter als herkömmliche Echolote. Auch aus der Wassersäule liefert es präzise Daten. So werden zum ersten Mal die Gasblasen sichtbar, die von den Hydrothermalquellen zur Oberfläche aufsteigen.
Des Rätsels Lösung
Diese Entdeckung eröffnet neue Möglichkeiten: Könnten so - ohne aufwändige Tauchfahrten mit dem Unterwasserroboter - Hydrothermalquellen gefunden werden? Nicole Dubilier wirft die Reiseplanung über den Haufen. Sie lässt die Meteor tagelang kreuzen. Das Echolot entdeckt eine Gassäule nach der anderen und lokalisiert auf zwei Meter genau die Austrittsorte. Es sind Dutzende auf nur ein paar Quadratkilometern. Jetzt soll der Roboter am Meeresgrund die Messung überprüfen. Er wird sofort fündig: ein klarer Raucher - wie diese Art der Hydrothermalquelle genannt wird. Die Farbe eines Rauchers ist abhängig von der Temperatur, den Stoffen, die aus dem Erdinneren gespült werden, und dem Wasserdruck. Die Entdeckung so vieler Hydrothermalquellen löst auch ein altes Rätsel der Tiefseeforschung: Wie können sich langsam kriechende oder festsitzende Tiefseebewohner ausbreiten, die ja nur an den Hydrothermalquellen leben?
Mit Zwischenpausen können Larven wandern
Die Hydrothermalquellen oder Raucher beherbergen die außergewöhnlichste Gemeinschaft von Organismen der Erde. Denn Lebensenergie wird hier nicht - wie von Pflanzen auf der Erde - per Photosynthese aus Licht gewonnen. Vielmehr nutzen Bakterien die im Wasser gelösten Schwefelwasserstoffe durch Chemosynthese, um Energie zu erzeugen. Und weil die Bakterien ihrerseits wieder anderen Lebewesen als Nahrung dienen, entstand auch hier eine große Artenvielfalt aus Muscheln, Röhrenwürmern und verschiedenen Arten von Krebstieren - und selbst Fischen! Lange dachte man, dass diese Raucher-Zonen nur sehr vereinzelt und isoliert auftreten, jetzt konnten die Forscher diese Vorstellung korrigieren, erklärt Nicole Dubilier: "Bisher dachte man immer, die Raucher seien ganz weit auseinander - Tausende Kilometer entfernt. Wir konnten uns nicht gut vorstellen, wie sich die Tiere ausbreiten können. Denn die Larven - die Jugendstadien, mit denen sie sich ausbreiten - müssten dann ja tausende von Kilometern zurücklegen. Jetzt - mit dem Wissen, dass es ganz viele kleine Hydrothermalquellen entlang der Rückenachse gibt - können wir uns vorstellen, dass sie immer kleine Zwischenpausen machen und sich dann endlich an der nächsten großen heißen Quelle ansiedeln, auch in tausend Kilometern Entfernung."
Der Einfluss der Hydrothermalquellen auf den Lebensraum Erde
Das Team beginnt, die neu gefundenen Hydrothermalquellen zu untersuchen. Diese Analysen sind die Basis für zukünftige Berechnungen der Zusammensetzung des heißen Wassers und der Prozesse tief im Innern des Rauchers. Fest steht schon jetzt: Diese Vielzahl an Quellen verändert unser Bild von den Ozeanen. Nicole Dubilier ahnt, was dies bedeutet: "Man macht sogenannte Wärmebudgets. Das heißt: Man kalkuliert, wie viel Wärme aus dem Erdinneren in das Meer eintritt und wie das den gesamten Wärmehaushalt der Meere verändert. Und wenn insgesamt an viel mehr Stellen am Meeresboden heiße Flüssigkeiten in das Meer eintreten als bisher angenommen, dann müssen wir untersuchen, ob dieser Wärmehaushalt von heißen Quellen anders beeinflusst ist als wir bisher dachten."
Die Tiefsee, der größte zusammenhängende Lebensraum der Erde, hat direkten Einfluss auf das Leben des Menschen. Wenn sich in Tausenden Metern Tiefe das Gleichgewicht verändert, wird sich auch das Gleichgewicht an der Oberfläche verändern - vielleicht sogar das Welt-Klima? Nicole Dublier schätzt, dass alleine auf dem Mittelatlantischen Rücken 10 Mal mehr Hydrothermalquellen existieren als angenommen. Es liegt noch viel Arbeit vor den Forschern.
Autor: Florian Guthknecht (BR)
Stand: 29.07.2015 11:18 Uhr