So., 04.12.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Gefiederte "Mietnomaden"
Immer öfter klaffen kreisrunde Löcher in wärmegedämmten Fassaden, bevorzugt an Giebelwänden ohne Fenster. Es sind Buntspechte auf Nahrungssuche, die sich von Häusern mit Wärmedämmung magisch angezogen fühlen. Die Dämmung klingt beim Klopfen ähnlich hohl wie morsches Holz. Und der raue Putz ähnelt von der Struktur einer Borke, hinter der die Vögel Insekten vermuten. Also krallen sich die Buntspechte in den Putz und picken den Dämmstoff aus der Fassade. Besonders leicht fällt ihnen dies an Gebäudekanten, daher tauchen dort auch die meisten Löcher auf. Weder ein dicker Putz noch die Kunststoffbewehrung vor den Dämmplatten aus Polystyrol widerstehen seinem scharfen Schnabel. Sogar Klinkerimitate sind nicht vor ihm sicher. Hauptsache, es klingt dahinter hohl.
Rege Bautätigkeit
Allein in Hamburg gibt es 2.700 Buntspecht-Brutpaare, die jedes Jahr ein neues Nest bauen. In wärmegedämmten Fassaden fällt es ihnen leicht, eine sichere und energetisch optimale Bruthöhle zu bauen. Die Löcher bedrohen jedoch die Bausubstanz, denn durch sie kann Feuchtigkeit eindringen - und Wärmedämmverbundsysteme sind sehr anfällig gegen Nässe. Ist sie erst mal drin, kann sie kaum mehr entweichen. Dann ist zum einen der Dämmeffekt dahin, außerdem drohen Bauschäden. Die Löcher müssen daher nach Ende der Brutzeit repariert werden, bevor im Herbst viel Regen fällt. Da sie sich meist an schwer zugänglichen Stellen befinden, ist das ein lukrativer Job für Fassadenkletterer geworden.
"Es kann sein, dass der Specht ein Loch macht, einmal reinguckt, vielleicht ein paar Tage probewohnt und dann sagt, es gefällt ihm dann doch nicht so gut", sagt Kletterprofi Niko Plath. "Dann geht er vielleicht zwei Meter weiter und macht da das nächste Loch". Manche Fassade werde regelrecht durchlöchert und der Specht höhle die Wärmedämmung im großen Stil aus. "Dann liegt am Boden ein großer Haufen des Polystyrol-Dämmstoffs", sagt Plath.
Mieterschutz geht vor
Verliert der Specht das Interesse am neuen Nistraum, kommen nicht selten Nachmieter. Auch Spatzen, Stare und andere gefiederte Mietnomaden haben die Vorzüge der Spechthöhlen längst erkannt. Brütet ein Vogel in der Fassade, dürfen die Löcher allerdings nicht verschlossen werden. "Wenn ein Vogel drin wär, würden wir halt abbrechen und würden dann in ein zwei Monaten noch mal wiederkommen, gucken ob der Vogel weg ist, und dann gegebenenfalls zumachen", sagt Niko Plath. Die Fassadenkletterer müssen sich strikt an die Brutzeiten halten und dürfen die Vögel selbst dann nicht vertreiben, wenn Bauschäden drohen. Auch wenn längst nicht jede Wärmedämmung von Spechten heimgesucht wird: Manche Besitzer sind bereits so genervt, das sie ihr Haus mit Raubvogelattrappen oder Windspielen vor weiteren Hack-Attacken schützen - mit fragwürdigem Erfolg.
Spechtloch-Sanierung
Findet Niko Plath ein leeres Spechtloch vor, dann verfüllt er zunächst den entstandenen Hohlraum mit Mineralwolle. Sonst würde in der Dämmschicht eine Wärmebrücke entstehen und an der Innenwand zu Schimmelbildung führen. Noch wichtiger ist es, das Eindringen von Feuchtigkeit in den Dämmstoff zu verhindern. Ein vorgefertigtes Reparaturstück, meist aus Polystyrol mit Putzoberfläche, muss daher exakt eingepasst und sorgfältig versiegelt werden. Doch selbst reparierte Löcher sind vor den hackwütigen Spechten nicht sicher. Manchmal kommt er an just jene Stellen zurück und pickt exakt die sanierten Stellen wieder auf. Schlechte Nachrichten für Hausbesitzer und gute Aussichten für die Kletterprofis. Sie haben längst Routine in der Spechtlochsanierung. Hunderttausende Altbaufassaden werden jährlich gedämmt. Damit nimmt auch die Zahl der Spechtattacken zu. Das neue Arbeitsgebiet der Fassadenkletterer dürfte relativ krisensicher sein.
Autor: Güven Purtul (NDR)
Stand: 24.02.2017 15:38 Uhr