So., 06.05.12 | 17:00 Uhr
Das Erste
Gespenst im Stall: Botulismus
Das stärkste Gift der Welt
Es ist der tödlichste Stoff, den es überhaupt gibt: Botulinumtoxin. Bereits ein Zehnmillionstel Gramm würde ausreichen, um einen erwachsenen Menschen umzubringen - mit nur 60 Gramm ließe sich rein rechnerisch die gesamte Menschheit auslöschen. Produziert wird dieses Nervengift von einem unscheinbaren Fäulnisbakterium: Clostridium botulinum. Sein Name, der sich aus dem lateinischen Wort für Wurst - Botulus - ableitet, lässt erahnen, wo sich der Keim besonders wohl fühlt: In Würsten, aber auch in Konserven, also überall dort, wo eiweißreiche Lebensmittel unter Luftabschluss verfaulen können. Genau diese Bedingungen braucht das Bakterium, um sich zu vermehren und dabei sein tödliches Toxin zu produzieren. Die meisten Vergiftungen gehen daher auf den Verzehr verdorbener Lebensmittel zurück. In einem Fall aus den USA soll eine Frau gestorben sein, die sich nach dem Öffnen eines mit dem Erreger befallenen Einweckglases lediglich die Spritzer von den Fingern geleckt hat.
Der Tod lauert im Stall
Doch offenbar sind verdorbene Lebensmittel nicht die einzige Möglichkeit, mit dem gefährlichen Bakterium in Kontakt zu geraten. Seit etwa 15 Jahren häufen sich die Berichte von Landwirten, die einen unerklärlichen körperlichen Verfall ihrer Rinderherden beobachten und auch selbst an einer Schwächung des Immun- und Nervensystems leiden. Der schreckliche Verdacht: Es könnte sich um eine schleichende, dauerhafte Vergiftung mit dem hochgefährlichen Botulinumtoxin handeln, das die Nervenübertragung blockiert und Lähmungen bis hin zum Atemstillstand verursacht. Einzelne Betriebe haben durch die rätselhafte Krankheit, die als "chronischer Botulismus" bezeichnet wird, über 1.000 Tiere verloren. Überall zeigt sich ein ähnliches Bild: Die Rinder, in einzelnen Fällen auch Rotwild, haben Lähmungserscheinungen, leiden an unterschiedlichsten Symptomen, werden apathisch und sterben.
Keine Seuche - keine Hilfe
Doch offiziell gibt es diese Krankheit gar nicht. Das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz bestreitet in einer Stellungnahme, dass sich die vielen unterschiedlichen Symptome auf einen einzelnen Erreger zurückführen lassen. Chronischer Botulismus sei als Krankheit nicht bewiesen, sondern diene lediglich als Hypothese zur Erklärung unspezifischer Krankheitserscheinungen. Für die betroffenen Bauern ist diese Einschätzung fatal: Solange die Krankheit nicht als Tierseuche anerkannt ist, bekommen sie keine Entschädigung. Viele Betriebe stehen daher vor dem Ruin und die Landwirte müssen hilflos zusehen, wie ihre Herden von einer unbekannten Erkrankung dahingerafft werden.
Hochleistungslandwirtschaft kann zum Teufelskreis werden
Kritiker des Krankheitsbildes "chronischer Botulismus" argumentieren, dass der Keim überall in der Natur vorkommt, und anderswo keinen Schaden anrichtet. Und tatsächlich ist der Bodenbewohner Clostridium botulinum gar nicht so selten. Allerdings bietet ihm unsere moderne Hochleistungslandwirtschaft viele Gelegenheiten, sich außergewöhnlich stark zu vermehren: Das kann zum Beispiel in einem luftdichten Silageballen sein, in dem tote Kleintiere verwesen. Auch die Düngung der Felder mit Hühnermist oder Biogasanlagen stehen unter Verdacht, dem Keim entscheidende Vorteile für eine Massenvermehrung zu bieten. Wo immer auch die Verseuchung ihren Anfang nimmt - ist das Bakterium einmal in kritischen Mengen in den Kreislauf eines landwirtschaftlichen Betriebes eingebracht, nimmt das Unheil seinen Lauf: Ställe und Böden werden nach und nach immer mehr verseucht, und die Tiere zeigen Symptome einer Vergiftung. So die gängige Hypothese.
Chronischer Botulismus ist nachweisbar
Eine breite Front von Tierärzten und Wissenschaftlern unterschiedlicher Sparten widersprechen inzwischen vehement der These, die rätselhaften Krankheiten seien nicht allein auf das Bakterium Clostridium botulinum zurückzuführen. Die Keime könnten in den Stuhl- und Gewebeproben sehr wohl nachgewiesen werden. Zusammen mit klinischen Befunden der Tierärzte bestehe kein Zweifel, dass die Symptome eine einzige Ursache haben: Die andauernde, schleichende Vergiftung mit dem gefährlichen Bakteriengift. Auch Erkrankungen beim Menschen seien inzwischen belegt, argumentieren Humanmediziner. Noch ist allerdings unklar, wie genau sich Tiere und Menschen mit dem Erreger infizieren. Doch erst, wenn die Möglichkeit einer Ansteckung nachgewiesen ist, kann die Krankheit als Tierseuche anerkannt werden, und erst dann können die betroffenen Bauern auf Hilfe hoffen.
Biokampfstoff vom Biobauern?
Noch ist der Streit zwischen Bauern, Behörden und Wissenschaftlern nicht entschieden und die Fronten verhärten sich zunehmend. Dabei müsste rasch die Ursache für die Krankheit gefunden werden, auch wenn man bedenkt, worum es sich bei dem Bakterium per Definition handelt: Der Organismus ist ein im Kriegswaffenkontrollgesetz angeführter Biokampfstoff! Bedenken von Seiten der Behörden gegen einen Vertrieb von Produkten aus betroffenen Betrieben gibt es dennoch nicht: Nach dem Gesetz dürften Bauern Milch und Fleisch von Tieren aus ihrem Bestand, die noch keine Symptome einer Erkrankung zeigen, weiterhin verkaufen. Die Landwirte verzichten allerdings oft freiwillig darauf und müssen selbst die Verluste tragen.
Autor: Frank Bäumer (BR)
Stand: 07.08.2013 09:14 Uhr