Sa., 13.07.24 | 23:35 Uhr
Alexander Höner: Moment der Wahrheit
Guten Abend, meine Damen und Herren!
Es gibt Sätze, die vergisst man nicht. Sein ganzes Leben. Einen habe ich von einer befreundeten Nonne: „So wie jemand die Tür zu macht, so isser auch.“ Und wie Recht sie damit hat, habe ich nach der Schule auf einer Reise durch Kanada gemerkt. Da gab‘s in Vancouver eine Jugendherberge mit großen Schlafsälen. 19 andere Typen teilten mit mir dort in Doppelstock-betten einen Raum. Ans Durchschlafen war nicht zu denken. Ständig stand jemand auf, ging aufs Klo oder musste einen frühen Flug bekommen. Die einen gaben sich dabei Mühe, so wenig Geräusche wie möglich zu machen. Es gab aber auch welche, die mitten in der Nacht wie Elefanten durch den Saal trampelten und die Tür hinter sich zuknallten. Alle anderen wurden wach. Jedes Mal dachte ich: Ey, das gibt’s doch nicht. Wie kann man denn nur so sein?
Als ich diese Elefanten dann beim Frühstück sah, bewahrheitete sich der Spruch der Nonne: „So wie jemand die Tür zu macht, so isser auch.“ Wer die Tür nachts geknallt hatte, benahm sich auch beim Frühstück so, als wenn er alleine auf der Welt wäre. Rücksichtslos. Unsensibel. Es sind die kleinen Gesten, die verraten, wer und wie wir sind. Wer sie lesen kann, durchschaut, wie Menschen ticken. Eine menschliche Ureinsicht. „Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu; und wer im Geringsten ungerecht ist, der ist auch im Großen ungerecht.“ (Lk 16,10) Wer hat’s gesagt? Jesus natürlich! Ich musste bei einer besonderen Meldung über die Europameisterschaft genau daran denken.
Die rumänische Mannschaft hatte nämlich nach ihrem Ausscheiden ihre Kabine im Münchner Stadion pikobello hinterlassen. Keine Flaschen, kein Müll, alles glänzte sauber. Und auf einem Tisch in der Mitte liegt ein Brief. Ein DIN-A4-Blatt mit dem Emblem des rumänischen Fußballverbandes. Er ist in rumänischer und deutscher Sprache verfasst. Und er hat mich so berührt, dass ich ihn hier kurz zitieren möchte: „(…). Wir verlassen Deutschland mit dem Gefühl, dass wir für Rumänien alles gegeben haben, und sind dankbar für alles, was wir hier erlebt haben. Es war eine Ehre, Teil der großen Familie des europäischen Fußballs zu sein. Vielen Dank, dass Sie uns das Gefühl gegeben haben, zu Hause zu sein! (…). Die rumänische Nationalmannschaft.“
Was für eine schöne Geste! Kein Türen-Zuknallen nach der Niederlage im Turnier. Kein Fehler-Suchen bei anderen. Die rumänische Mannschaft verlässt den Raum mit Haltung. Sie hätten die Kabine nicht so sauber hinterlassen müssen. Sie hätten auch keinen Brief schreiben müssen. Mit dieser Geste hat sie aber meine Sympathie gewonnen, hat sie es geschafft, dass ich mich mit ihnen irgendwie auf einer Welle fühle, mich mit ihnen verbinde.
Es war nicht die einzige kleine Geste bei der EM. Es gab auch andere - problematische. Welche Werte und Haltungen haben Spieler, Mannschaften und Nationen dadurch gezeigt? Ich finde das wichtig zu fragen. Es entscheidet nämlich mit, wie wir uns als Menschen in Europa weiter entwickeln werden. Es sind die kleinen Gesten, die verraten, wer und wie wir sind – und wie wir gemeinsam leben wollen. In den eigenen vier Wänden und auch als große europäische Gemeinschaft.
Kommen Sie behütet durch die Nacht, hoffentlich ohne Tür-Knallen.