Sa., 29.04.23 | 23:35 Uhr
Das Erste
Wolfgang Beck: Der alte Mann und das Mietshaus
„Verrückt, dass es so etwas gibt!“ Das ist mein erster Gedanke noch während eines interessanten Gesprächs, liebe Zuschauer*innen. Es ist eine faszinierende Begegnung mit einem sehr unscheinbaren, älteren Herren: Wir begegnen uns bei einem Netzwerktreffen von Menschen, die sich mit neuen Formen des Wohnens, mit gemeinschaftlichem Wohnen beschäftigen. Wir lernen uns kennen und er erzählt davon, dass er ein großes Wohnhaus besitzt und sich Gedanken darüber macht, was sich künftig damit anfangen lässt. Er überlegt, sein Haus einer Gruppe von Menschen für ihr gemeinschaftliches Wohnen zu schenken. Seine Erben bräuchten eigentlich nicht noch mehr Geld, meint er. Und ihn bewege, dass so viele Menschen keine bezahlbaren Wohnungen in den Städten fänden. Ich bin sprachlos! „Verrückt, dass es so etwas gibt!“ Was es bedeutet, dass Eigentum zu sozialem Handeln verpflichtet, das ist für diesen Mann eine zentrale Frage.
Das Gespräch mit ihm hat mich fasziniert. Da ist ein Mensch, den die Frage nach bezahlbaren Wohnungen nicht unberührt lässt. Obwohl er selbst nicht von dieser Not betroffen ist, lässt sie ihn nicht kalt. Wir erhalten derzeit ja ständig die Nachrichten über explodierende Mietpreise, über zu wenige Sozialwohnungen, zu wenig große und bezahlbare Wohnungen für Familien.
Klar, auch ich gehöre zu den Menschen, die nach einem langen Tag gerne die eigene Wohnungstür hinter sich schließen. Für mich ist das großartig. Ich weiß aber natürlich auch, dass das ein riesiges Privileg ist, die Wohnung als Rückzugsort genießen und sich nicht darum sorgen zu müssen! Für andere fangen die Sorgen hinter der Wohnungstür erst an!
Klar, ich kenne die Älteren, die nach dem Auszug der Kinder alleine in riesigen Häusern leben. Meist ist das Haus mit Stolz auf die Lebensleistung verbunden. Und ich kenne auch diejenigen, die beim Vermieten und Verkaufen versuchen, so viel Erlös rauszuholen, wie nur irgendwie machbar ist. Das ist nicht nur die Logik von Immobilienkonzernen.
Gerade deshalb fasziniert mich der alte Mann mit seinem Haus. Ihn lassen die Meldungen über die Mietpreise und die Not vieler Menschen mit geringeren Einkommen nicht kalt. Er überlegt zumindest, wie sein Beitrag aussehen könnte. Schon das ist für mich als Christen ein Vorbild: Ich traf ihn bei einem Treffen vom „Mietshaussyndikat“, einem Netzwerk für Gruppen, die gemeinschaftlich leben. Sie sorgen mit ihrem Finanzierungskonzept mittlerweile in vielen Projekten in ganz Deutschland dafür, dass mit Häusern nicht mehr spekuliert werden kann. Dass dabei auch die Frage erlaubt ist, wie die Kirchen eigentlich mit ihren Immobilien und Grundstücken umgehen, ist klar. Ist bei allen Finanzproblemen, die die Kirchen längst haben, auch noch der Blick für so ein wichtiges und drängendes Problem der Gesellschaft möglich? Diese Fragen sind vor dem Hintergrund der kirchlichen Soziallehre für alle fordernd und unbequem. Und es ist eine Versuchung, einfach die eigene Haustür oder Wohnungstür zuzuziehen. Es ist keine Frage, bei der wir als Kirchen oder als einzelne Christ*innen einfach mit dem Blick in die eigene Tradition eine einfache Lösung anbieten können. Aber es ist eine Not, die uns eben auch nicht egal sein kann. Diesen Mindestanspruch habe Menschen mit christlichem Glauben: Dass wir mit allen aktuelle Nöte teilen und solidarisch sind. In den aktuellen Debatten um die Wohnungsnot sind unbequeme Fragen zu stellen. Mögliche Lösungen zu diskutieren, anstatt die eigene Wohnungstür zuzuziehen. Einen schönen Sonntag!