SENDETERMIN Sa., 23.09.23 | 23:35 Uhr | Das Erste

Stefanie Schardien: Heimliche Helfer

Stefanie Schardien
Stefanie Schardien | Bild: BR / Markus Konvalin

Guten Abend. Im letzten halben Jahr habe ich als Pfarrerin manchmal einen älteren Herrn besucht. Sein Zuhause war kein eigenes Haus, auch keine Wohnung, sondern nur ein einfaches Zimmer in einem Heim. So einfach, dass er mich lieber in der Küche seiner Wohngruppe treffen wollte Da gab’s eine kleine Sitzecke, Spüle, Kühlschrank. Gemütlich ist anders, hab ich das erste Mal gedacht. An der Wand ein Zettel: Heimversammlung mittwochs um 12. Herr Otto, so nenne ich ihn mal, hat im sozialtherapeutischen Übergangsheim der Fürther Bahnhofsmission gewohnt. Einer von ganz vielen Arbeitsbereichen der evangelischen Diakonie.
Eine Mitarbeiterin hatte mich angerufen: Unser Herr Otto würde mal gern mit Ihnen sprechen. Weil er schwer an Krebs erkrankt ist. Als er reinkommt, sehe ich ihm das an. Und: dass er sehr einfach lebt. Er zeigt mir aber Anderes - was er hat: Riesige OP-Narben über den halben Oberkörper. Er erzählt mir von Lieblingsstädten und von den miesen Zeiten früher. von Alkohol und Straße. Aber das ist vorbei! Gott sei Dank.

Wer in der Diakonie arbeitet, kann unzählige solcher Geschichten erzählen. Davon, wie Menschen an so vielen Stellen plötzlich rausrutschen aus dem vermeintlich „normalen“ Leben. Das muss nicht immer Obdachlosigkeit oder Armut sein: Auf einmal sind Angehörige pflegebedürftig. Oder Frauen ungewollt schwanger. Familien überfordert. Menschen sind krank oder brauchen Unterstützung bei einer Behinderung. Manche sind auf der Flucht oder einsam oder alt. Manche sind Opfer – oder ja: Die Nagelprobe von Nächstenliebe: Manche sind Täter geworden: Um sie alle, alle! kümmert sich die Diakonie und versucht, sie wieder reinzuholen in dieses Leben, in unsere Gesellschaft. Warum? Weil es tiefste christliche Überzeugung ist: Kein Mensch gehört an den Rand, niemand darf ausgestoßen bleiben. Alle sollen teilhaben können. Diakonia, Dienst am Menschen.

Was mal ganz klein losging vor 175 Jahren, ist riesig geworden: Über 33 000 Einrichtungen. Mehr als 600 000 Hauptamtliche, rund 700 000 Ehrenamtliche.

Anne, eine Sozialpädagogin in der Bahnhofsmission, sagt mir: "Es geht gar nicht nur drum, den Menschen Geld in die Hand zu drücken oder Formulare für sie ausfüllen. Auch wichtig, aber warum ich diese Arbeit mache: Ich will was weitergeben. Mir geht’s gut. Ich kann den Menschen zuhören, zeigen, dass ich mich wirklich für sie interessiere. Dann erleben sie sich als Teil von unserer Gemeinschaft und sind nicht nur außen vor." So geht Nächstenliebe ...

Mehr als 10 Millionen Menschen jährlich nutzen die Diakonie. Wer erlebt, dass ihm geholfen wird, gibt oft gern selbst etwas weiter an andere.   Herr Otto war arm und krank und brauchte viel Unterstützung - Aber: Immer hat er mir einen Kaffee serviert. Ganz allein gekocht. Weil er das selbst in diesem Haus vom ersten Moment erfahren hat – Freundlichkeit und Wertschätzung.

Letzte Woche ist Herr Otto gestorben. Bald beerdige ich ihn. Sein Zimmer wird neu vergeben. Aber seine Geschichte soll weitererzählt werden: Als Dankeschön an alle, die in der Diakonie arbeiten oder sich engagieren.
Uns allen eine gesegnete Nacht!

Sendetermin

Sa., 23.09.23 | 23:35 Uhr
Das Erste

Produktion

Bayerischer Rundfunk
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DasErste