»2015 bot mir Nanni Erben an, auf Basis des Romans 'Eine Zierde in ihrem Hause' von Asta Scheib die Geschichte der Ottilie von Faber-Castell zu erzählen.
Nun lag es natürlich auf der Hand, dass im Rahmen des Drehbuchs, welches eine Zeitpanne von mehr als 20 Jahren umfasst, ein dramatischer Aufbau sowie ein Figurenensemble erstellt werden muss, das sich nicht immer an die Fakten hält. Gleichsam haben wir diese nie aus dem Auge verloren. Lothar von Fabers Entschluss, seine Enkelin Ottilie als Erbin einzusetzen, hatte weitreichende Konsequenzen für Ottilies Leben und machte dieses zu einem außergewöhnlichen im Vergleich zu dem anderer Frauen ihrer Zeit. Die Scheidung von Alexander zu Castell-Rüdenhausen (durch die Heirat Alexander von Faber-Castell) war eine weitere Ungeheuerlichkeit, ein Schritt, der neben der gesellschaftlichen Ächtung härteste Konsequenzen mit sich brachte.
Nach mehreren Wochen Recherche wurde für mich aber auch immer deutlicher, dass nicht nur die Frauen der damaligen Zeit einem gesellschaftlichen Diktat unterlagen, sondern auch Männer nicht einfach entscheiden konnten, ob sie Freidenker in Ehe und Beruf sein wollten oder nicht. Es gab Erbfolgen, um den Bestand ganzer Familien zu sichern. Frauen waren in diesen nur in Ausnahmefällen vorgesehen. Lothar von Faber war sicherlich kein Feminist und besonderer Frauenliebhaber, sondern ein hartgesottener Geschäftsmann mit einer hohen Moral und Verantwortung für seine Familie und auch seine Arbeiterschaft. Dass er Ottilie zu seiner Erbin machte, ist den tragischen Todesfällen bei seiner männlichen Nachkommenschaft geschuldet. Und die Tatsache, dass seine jüngeren Brüder, die mit ihm in der Fabrik und in den ausländischen Filialen tätig waren, nach und nach eigene Wege gingen, führte zu existenziellen Zerwürfnissen. Er wollte deren Söhne nicht als seine Nachfolger einsetzen, obwohl das logisch und angemessen für die Zeit gewesen wäre.
So sollte Ottilie als älteste Tochter nach dem Tod ihres Vaters und ihrer jüngeren Brüder offiziell das Familienerbe antreten. Ihre Ehe mit Alexander zu Castell-Rüdenhausen war vielleicht eine arrangierte, aber man kann davon ausgehen, dass auch Liebe im Spiel war, was diverse Tagebuchaufzeichnungen belegen. Aber diese Ehe unterlag meines Erachtens einer genauen Beobachtung. Schon die Hochzeitsreise nach Amerika wurde in Begleitung von Ottilies Mutter und Schwester angetreten. Meine These bei dem Drehbuch war, dass nach dem Tod Lothars schlussendlich die verbliebenen Frauen um Ottilie, also ihre Mutter sowie ihre Großmutter, nicht das Vertrauen hatten, dass Ottilie in der Firmenleitung ihren angemessenen Platz haben würde. Ob Alexander tatsächlich jemals bereit war, mit ihr im Schulterschluss die Firma zu leiten, ist fraglich. Auch er musste sich den Erwartungen der Zeit beugen und er war dabei sehr innovativ, geschäftstüchtig und erfolgreich. Ottilie wurde Mutter von fünf Kindern und so war es wohl auch abzusehen, dass man von ihr erwartete, sich mit ihrer Mutterrolle und der der Repräsentantin des Hauses Faber- Castell zufriedenzugeben. Sie hat sich mehr von ihrer Ehe und ihrem Leben erwartet. Die Ehe zerbrach Stück für Stück, vermutlich an Problemen, die Eheleute heute noch haben. Man hat irgendwann keine Sprache mehr miteinander. Aus der damaligen Zeit heraus betrachtet war Alexander ein perfekter Ehemann und liebender Vater. Doch Ottilie wollte wohl das klassische Rollenbild nicht erfüllen. Sie hat die Scheidung gefordert, trotz des Angebots seitens Alexanders, dass sie ihre Affäre mit Philipp auch im Stillen leben könnte. Sie wollte etwas anderes, frei sein, Liebe erfahren und ein neues Leben mit Philipp aufbauen. Dafür hat sie ihren Status aufgegeben und ihr Vermögen Alexander überlassen. Dass sie über Jahre die Kinder nicht sehen durfte, war eine tragische Konsequenz ihrer Entscheidung.
Da ich das Drehbuch für die Ottilie selbst geschrieben und mich während der Recherchen sehr in die Zeit hineingelebt habe, musste ich mit dem Auge von damals auf die Geschichte schauen. Wir erfahren Vergangenheit heutzutage hauptsächlich über Sekundärwahrnehmung, vor allem durch Filme. Deswegen habe ich mich intensiv mit der zeitgenössischen Malerei beschäftigt, war in Berlin und London in den großen Galerien und Museen und habe sowohl Mode, Raumgestaltung sowie Attitüde der Menschen der damaligen Zeit studiert. Dabei ist mir aufgefallen, wie modern und ungezwungen sich die Menschen auch damals schon verhalten haben. Mein Ansatz im Drehbuch und in der Regie war also immer wieder zu überprüfen, wie man sich damals in Stil und Sprache artikuliert haben könnte.
Ebenso kam ich immer mehr zu der Annahme, dass die Probleme von damals den heutigen nicht so unähnlich waren und dass die Art und Weise, mit ihnen umzugehen, eines genauen Blicks bedürfen. Aus dem Stück von René Pollesch, 'Glanz und Elend der Kurtisanen', ist mir besonders ein Satz im Gedächtnis geblieben: 'Die Schönheit der Geste im öffentlichen Raum'. Ich glaube, wenn man ins vorletzte Jahrhundert zurückreist, wird einem bewusst, dass hinter der Opulenz der Kleider, der Bauten, aber eben auch der Gesten das 'Unaussprechliche' verborgen lag. Man konnte nicht wie heute einfach seine Meinung platzieren und diskutieren. Es bedurfte Verklausulierungen, Tarnungen und Masken. Gleichsam folgten diese auch einem gewissen Codex und waren durchaus zu entschlüsseln. Jede Schicht für sich besaß in diesem Sinne ihre eigenen Codes. Das fasziniert mich ungeheuer. All dies im Hinterkopf habend, war es also eine große Freude, mit den verschiedenen Abteilungen auf die Suche zu gehen. Vor allem was die Kostüme angeht, durfte ich mit meiner Kostümbildnerin Petra Kray und ihrem Team auf eine aufregende Reise gehen. Da unser Film eine Zeitspanne von über 20 Jahren abdeckt, haben sie viele Kleider entworfen und genäht, weil die Fundi unsere Vorstellung nicht in dem Maße bedienen konnten, das dem Film gerecht geworden wäre. Kristin Suckow, die die Ottilie spielt, hatte zum Beispiel über eine Woche Fittings für Maske und Kostüm. Es war jedes Mal eine 'Vorhang-auf'-Situation, wenn sie bei den Kameratests aus dem Maskenmobil kam. Mit neuer Frisur, anderer Robe und ein anderes Lebensjahr verkörpernd. So war der ganze Dreh für mich besonders. Das Ensemble ist im Laufe der Vorbereitungen schon sehr tief in die Rollen gewachsen. Und da wir uns alle sehr wohlfühlten und die Geschichte der Figur Ottilie uns auch in der Freizeit nicht losließ, waren die Schauspieler auch oft in ihrer drehfreien Zeit am Set und haben die anderen, die drehten, unterstützt. Ebenso intensiv wuchs sich auch die Verbindung zum Team aus. Ich hatte das Gefühl, dass wir wie ein großer Wanderzirkus immer das gleich Ziel vor Augen hatten: 'The show must go on'. Die unglaublichen Temperaturen, es waren drei Monate immer um die 30 Grad, und das dadurch entstandene Sommergefühl, die schönen Motive und die Sichtungen des Rohmaterials am Abend haben mich einfach glücklich gemacht.«
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