Interview: Eine "echte" LKA-Kommissarin erzählt
Wie realistisch ist die Film-Kommissarin Karin Wegemann?
Im Film "Operation Zucker: Jagdgesellschaft" spielt Nadja Uhl die LKA-Kommissarin Karin Wegemann, die einem Kinderhändlerring auf der Spur ist. Was Nadja Uhl im Krimi spielt, ist für Christine Engelmann, so nennen wir sie in unserem Interview, Realität. Da sie im Bereich "Organisierte Kriminalität" tätig ist, möchte sie öffentlich nicht genannt oder gezeigt werden.
Die 44-Jährige arbeitet schon seit 20 Jahren bei der Polizei. Seit 2013 ist sie Kriminalhauptkommissarin beim LKA Baden-Württemberg. Ihr Spezialgebiet: Organisierte Schleusungskriminalität und Menschenhandel – vor allem zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Im Interview verrät sie, wie nah der Film an der Realität ist und warum man bei diesen Verbrechen einen langen Atem braucht.
Im Film kommen die Opfer aus gutem Haus. Ist das in der Realität auch oft so?
Ich denke nicht, dass man die Opfer einer bestimmten sozialen Schicht zuordnen kann. Es gibt Prostituierte aus allen sozialen Schichten. Speziell die Menschenhändler, die die Loverboy-Methode nutzen, sind sehr gute Psychologen. Sie haben feine Antennen und spüren, bei einem Mädchen, wo sie "andocken" können. Die Mädchen sind häufig auf der Suche nach Sicherheit, finanzieller Absicherung oder einfach einer starken Schulter.
Die Kontaktaufnahme durch die Menschenhändler erfolgt dabei häufig über soziale Netzwerke und Diskotheken. Und da sind alle soziale Schichten vertreten.
Im Film fällt der Satz: "Opfer haben Angst, reden selten und wenn, dann nur einmal". Stimmt das Ihrer Erfahrung nach?
Dass die Opfer Angst haben, kann ich bestätigen. Opfer von Menschenhandel werden oft ins Bordell gebracht. Ihnen wird der Pass abgenommen und sie werden darauf eingeschworen, nicht mit der Polizei zu sprechen.
Die Menschenhändler setzen sie unter Druck, indem sie ihnen oder Angehörigen mit Gewalt drohen oder damit, dass sie der Familie sagen, dass sie sich prostituieren.
Karin Wegemann hat ihre eigenen Methoden, um den Tätern auf die Spur zu kommen. In einer Szene befragt sie zum Beispiel den Staatssekretär allein. Sie will ihn verunsichern, damit er zu seinem Kontaktmann läuft und sie ihn verfolgen kann. Wie kommt man den Tätern denn am besten auf die Spur?
Über die Taktik, wie wir arbeiten, möchte ich Ihnen keine detaillierten Auskünfte geben. Was ich zu dieser Szene aber sagen kann, ist, dass wir nie irgendwo allein hingehen. Karin Wegemann hat keinen Zeugen dabei, der später bestätigen kann, wie dieses Gespräch abgelaufen ist. Der Staatssekretär könnte der Kommissarin im Nachhinein beispielsweise verbotene Vernehmungsmethoden unterstellen.
Mit dem Journalisten trifft die Film-Kommissarin sich im Wald, die beiden lassen ihre Handys im Auto und spazieren dann zwischen den Bäumen, um nicht abgehört zu werden. Ist das Hollywood?
Ja, das ist ein bisschen Hollywood. Klar können Telefone überwacht werden, aber da ist es egal, ob das Telefon im Wald oder in der Stadt ist. Ich würde mich als Polizistin niemals allein mit einem Informationsgeber im Wald treffen. Also wieder das Thema: Niemals allein und dann schon gar nicht an so einem Ort wie einem Wald.
Ein Landtagsabgeordneter sagt im Film "Operation Zucker: Jagdgesellschaft": "Organisierte Kriminalität in Zusammenhang mit Kinderhandel und Prostitution gibt es in unserem Land nicht". Stimmt das?
Es gibt durchaus Opfer von Menschenhandel, die unter 18 sind, aber auch das ist die Ausnahme. Den Großteil der Menschenhandelsopfer findet man im Bereich zwischen 18 und 20 Jahren.
Was ist das Besondere, wenn man im Bereich Menschenhandel ermittelt?
Man muss in dem Bereich einen langen Atem haben. Gerade bei Menschenhandel ist es extrem wichtig, Kontakt zu den Opfern zu halten. Die Bedeutung der Opferaussage ist unheimlich hoch.
Dann passt das Zitat "Wer das Schweigen bricht, bricht die Macht der Täter"?
Ja. Ein Täter kann nur weitermachen, indem er sein Opfer verängstigt und dadurch verhindert, dass es eine Aussage macht.
Ist es ein Vorteil oder ein Nachteil, wenn man als Frau in diesen Fällen ermittelt?
Es wird oft angenommen, dass weibliche Opfer lieber mit einer Frau sprechen möchten. Das ist aber nicht unbedingt so. Das Wichtigste ist, dass sich das Opfer verstanden fühlt und das kann mit männlichen Kollegen genauso gut funktionieren. Es ist wichtig, dass die Chemie stimmt und man einen Draht zueinander findet.
Und für Sie als Kommissarin?
Natürlich macht mich das betroffen. Insbesondere bei jungen Frauen, wenn man da manchmal den Weg betrachtet, wie sie in diesen Abgrund der Prostitution gekommen sind.
Das Erschütternde ist auch, dass ihnen manchmal gar nicht bewusst ist, dass sie Opfer einer Straftat geworden sind. Einigen muss man erst die Augen dafür öffnen, dass sie Opfer von Menschenhandel geworden sind.
Es ist ihnen gar nicht bewusst?
Nein. Manchmal nicht. Manche gehen davon aus, dass es völlig normal ist, dass sie all ihr Geld abgeben müssen und dass sie den ganzen Tag zur Verfügung stehen müssen. Ich hatte vor kurzem den Fall einer jungen Prostituierten, die mit der Loverboy-Strategie geködert worden ist. Sie ist aus allen Wolken gefallen, weil sie vor Liebe so verblendet war und für sich selbst nicht realisiert hatte, dass sie ausgebeutet worden ist. Die Naivität, die einem da manchmal begegnet, ist erstaunlich.
Gibt es Rituale, die Ihnen helfen, damit umzugehen, was Sie im Job erleben?
Konkrete Rituale habe ich nicht. Aber was immer ganz wichtig ist, ist der Austausch mit den Kollegen. Man sollte über das Erlebte oder das Gehörte sprechen und es nicht für sich behalten. Für mich ist es auch wichtig, Sport zu machen, um den Kopf wieder frei zu bekommen. Ich persönlich habe mir angewöhnt, die Dinge nicht mit nach Hause zu nehmen. Aber das ist etwas, das man erst im Laufe der Jahre lernt.