Interview mit Regisseurin Ruth Olshan
Regisseurin Ruth Olshan im Gespräch über ihren Film "Wolfswinkel"
Was bedeutet Heimat für Sie?
Heimat ist der Ort, wo man sich sicher fühlt. Dort, wo Freiheit der Meinung, der Presse und der Persönlichkeit ein hohes Gut ist. Heimat ist aber auch der Ort, der uns unsere Sprache und Kultur geschenkt hat. Nicht zuletzt ist Heimat der Ort, wo meine Freunde sind und ich mich aufgehoben fühle. Ich selbst bin in und mit diversen Kulturen aufgewachsen. Heimat ist mir also vielschichtig, hat viele Facetten, ist nicht zwingend ein Ort oder bestimmte Kultur, sondern ein Gefühl, ein Zustand der Geborgenheit.
Rechte Influencerinnen sind ein recht neues Phänomen. Worin liegt die Gefahr?
Die Gefahr liegt in der Ablehnung demokratischer Werte und der einfachen Idee von Mitmenschlichkeit. Mitmenschlichkeit verstanden als Grundlage dafür, dass wir alle einen Weg finden müssen, zusammenzuleben. Rechte Influencer nutzen die demokratische Ordnung, die Freiheit der Meinung und die selbstverständliche Möglichkeit diese zu äußern. Gleichzeitig untergraben sie das zentrale Verständnis, das der Demokratie zugrunde liegt. Der erste Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Das heißt: Die Würde aller Menschen. Rechtes Gedankengut sucht eine Hierarchie unter verschiedenen Menschengruppen herzustellen. Ich sehe, wie einzelne Persönlichkeiten sich ein Selbstbewusstsein stricken, indem sie andere für wertloser halten als sich selbst. Aber es ist ein Weg in den Streit.
Warum wollten Sie bei dem Film Regie führen und was war Ihnen besonders wichtig?
Der Film erzählt unter anderem davon, wie eine Gemeinschaft von einer einzelnen Person gespalten werden kann. Die Hauptfigur, die Dorfpolizistin Melanie, erkennt, dass sie den eskalierenden Konflikt nicht einfach laufen lassen kann, sie muss ihre Freundin schützen und gibt damit dem Dorf die Möglichkeit, die Gefahr zu erkennen und zu bewältigen. Sie entwickelt Zivilcourage.
Ich glaube, das ist eine wichtige Entscheidung. Ich selbst habe Rassismus erlebt und weiß, wie zerstörerisch dieser sein kann, auch wenn die Attacken vermeintlich nur durch rassistische Sprache geschieht. Das Zuschauen, Duckmäusertum ist verletzend, wenn man Opfer von Ungerechtigkeit wird und niemand für uns aufsteht, wenn die Betroffenen es nicht mehr können. Das genau macht Melanie: Sie steht für ihre Freundin auf. Im Sinne von Hannah Arendt: „Niemand hat das Recht zu gehorchen.“
„Wolfswinkel“ zeigt solche Prozesse auf vielschichtige Weise beispielhaft an Menschen in einem kleinen Dorf, die eine Lösung finden müssen für ein gemeinsames Zusammenleben.
Inwiefern war das Thema Alltagsrassismus im Team während der Dreharbeiten relevant? Wie sind Sie (alle) damit umgegangen?
Alle im Team waren sich bewusst, was wir erzählen, und waren entsprechend sensibel und achtsam in der künstlerisch-kreativen Umsetzung der Nuancen und Ambivalenzen, die das Drehbuch auslotet. Natürlich gab es einen engen Austausch mit dem Cast, der Produzentin Susanne Mann, der Autorin Scarlett Kleint und Co-Autor Alfred Roesler-Kleint. Wir analysierten Dialog-Sätze, Figurenhaltungen, weil wir wussten, dass es eine feine Linie gibt zwischen der unkommentierten Darstellung von Rassismus in einzelnen Szenen einerseits und deren Einordnung dieser über die filmische Erzählung andererseits. Das Publikum, so hoffen wir, wird den Film als das verstehen, was er ist: Die Darstellung eines Problems, das in vielen Gemeinschaften vorkommt.
Was fällt Ihnen zu dem Satz „wir holen uns unsere Heimat zurück!“ ein?
Der Satz ist aggressiv und gefährlich. Gleichzeitig entblößt er eine Schwäche: Etwas ist verloren gegangen, glaubt man. Man fühlt sich degradiert und ist - hier liegt die Gefahr - bereit zum Kampf, um das vermeintlich „Verlorene“ wiederzugewinnen. Der Blick zurück entwirft eine Wunschfantasie. Diese Fantasie wird ausgekleidet mit den wenigen Dingen, die man gerade zur Verfügung hat: die eigene Hautfarbe, die eigene Religion, der eigene Gartenzaun, die eigene Angst. Es ist ein Akt der Realitätsverweigerung. Die Realität ist vielfältig, komplex und bunt und Zusammenleben ist ein ständiger Prozess, der ohne die Anerkennung des anderen nicht funktionieren kann. Es ist ein gefährlicher Satz, weil er so simpel ist und eine einfache Lösung für eine komplexe gesellschaftliche Aufgabe verspricht.
Wie würden Sie mit Freunden umgehen, die eine extremistische Haltung bekommen haben?
Das ist eine der zentralen Fragen, die der Film stellt. Wie geht eine Gemeinschaft, wie gehen Individuen damit um, wenn eine extreme Gruppe sich formiert und Macht über die Gemeinschaft beansprucht? Die Antwort ist klar: Es geht nicht einfach vorbei, die Herausforderung muss verstanden und angenommen werden. Für Lösungen gibt es keine vorgestanzten Muster. Ob in kleinen oder in größeren Zusammenhängen – entscheidend ist, zu Lösungen zu kommen, die uns ein Zusammenleben ermöglichen.