Interview mit Annett Sawallisch als Melanie Kosse
Annett Sawallisch im Gespräch über den Film "Wolfswinkel"
Was bedeutet Heimat für Sie?
Heimat ist für mich ein Begriff für verschiedene Dinge: Heimat kann der Ort sein, an dem ich aufgewachsen bin, Berlin Mitte. Heimat sind meine Lieblingsmenschen, die ich gerne um mich habe, Familie, Freunde, egal an welchem Ort. Heimat ist aber auch Leipzig, der Ort, an dem ich wohne, wo ich meine täglichen Rituale habe und meine gewohnten Gänge mache. Heimat kann aber auch ein Geruch, ein Geschmack sein, der mich an meine Kindheit erinnert.
Melanie ist fest verankert im Dorf, als Polizistin beruft sie sich auf Neutralität und ist eher Beobachterin. Was denken Sie, bringt Melanie dazu, am Ende doch – im Dorf und in ihrem Leben – Stellung zu beziehen?
Wir verfolgen in „Wolfswinkel“, wie sich die Situation im Dorf und zwischen den drei Freundinnen zuspitzt und irgendwann Unrecht geschieht. Melanie bezieht einerseits als Polizistin Stellung, da stellt sie sich auf die Seite des Rechts. Andererseits tut sie es als Mensch. Sie entscheidet sich für ihre langjährige Freundin, weil sie sich ihr nahe fühlt und im Grunde richtig findet, wofür sie sich einsetzt. Mit Neutralität würde sie sich an ihrer Ausgrenzung beteiligen und selber schuldig machen. Von dem Moment an, als Anja tätlich angegriffen wird, kann es keine Neutralität mehr geben. Sie überwindet sich dazu, ihre Komfortzone zu verlassen und aktiv zu werden.
Wie würden Sie die Freundschaft zwischen Lydia, Melanie und Anja beschreiben?
Alle drei kennen sich seit der Schulzeit, sie sind gemeinsam durch die Kinderjahre, durch die Pubertät, buchstäblich durch Dick und Dünn gegangen. Viele gemeinsame Abenteuer verbinden sie. Dabei spielt sicher auch eine Rolle, dass es im Dorf keine große Auswahl für Freundschaften gab. Schon früher war Melanie die Streitschlichterin, wenn es zwischen Anja und Lydia mal gekracht hat. Als Lydia – der vermeintliche Star – nach Wolfswinkel zurückkehrt, bedeutet das, frischen Wind für ihre Freundschaft, aber auch für das ganze Dorf. Dass so jemand wieder in ihrem kleinen Nest leben will, bestätigt Melanie auch darin, dass sie immer dageblieben ist.
Wie geht Melanie mit der sich immer mehr zuspitzenden Situation zwischen ihren Freundinnen um?
Mir gefällt an dieser Geschichte besonders, wie sich die Unvereinbarkeit der politischen Ansichten wie Gift in die Freundschaft der drei Frauen schleicht. Im Kleinen wird nachvollziehbar, was im Großen passiert. Melanie will das lange nicht wahrhaben und tut, was sie immer getan hat: Sie schlichtet, beschwört die Gemeinsamkeit und ruft dazu auf, die Differenzen auszudiskutieren – bis sie merkt, dass sie damit nicht weiterkommt.
Was fällt Ihnen zu dem Satz: »Wir holen uns unsere Heimat zurück!« ein?
Vor allem einige Gegenfragen, zum Beispiel: »Von wem willst du dir denn deine Heimat zurückholen?« oder: »Wer hat sie dir denn weggenommen?« und: »Wen willst du denn aus dieser Heimat ausgrenzen?« Damit ließe sich schnell enttarnen, was für eine hohle Floskel das ist, und was sich dahinter eigentlich verbirgt: Hier geht es nicht um Heimat, sondern darum, Feindbilder zu kultivieren.
Wie würde Sie mit Freunden umgehen, die eine – ob politisch oder gesellschaftlich – extremistische Haltung bekommen haben?
Diese Frage stellt sich für mich nicht im Konjunktiv, das ist schon fast Alltag. Spätestens seit der Pandemie geht es wahrscheinlich vielen so wie mir. Persönlich versuche ich, den Kontakt zu diesen Freunden und Bekannten nicht abzubrechen und im Gespräch zu bleiben, auch wenn es noch so schwierig ist. Es ist viel zu einfach, jemanden als Verschwörungsgläubigen, Rassisten, Zecke, Nazi oder was auch immer abzustempeln, rechts oder links liegenzulassen und den Kontakt abzubrechen. Die fortschreitende Polarisierung in unserer Gesellschaft macht mir echt Sorgen. Solange wir miteinander im Gespräch bleiben, tun wir etwas dagegen.